Teil 2

10 1 0
                                    

Meine Mama wird niemals mit mir im Freien auf einem Berg schlafen. Sie ist tot. Ich lehne mich an den nächsten Baum am Rand des Weges und sinke daran herab. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen und weine. Den ganzen Tag hatte ich den Kopf frei, ich bin einfach gewandert. Ich habe nicht an Mama gedacht. Nicht an Papa, der wahrscheinlich immer noch bei der Arbeit war. Nicht an Papas neue Freundin, die wahrscheinlich sehnsüchtig auf ihn wartete. Und ich habe auch nicht an meine einzige Freundin zu Hause in Berlin gedacht, die sich einfach nicht bei mir meldet. Ich vermisste sie, war aber auch wütend, weil sie nicht da war, als ich sie wirklich brauche. Auch Papa vermisste ich, den echten, der meine Mama liebte und nicht den, der sich hinter all seiner Arbeit versteckt und sich die nächstbeste Frau angelt, weil er denkt, ich bräuchte einen Mutterersatz. Da sitze ich nun den Kopf in die Hände abgestützt, vor mich hin schniefend. Es fängt schon fast an zu dämmern, als ich plötzlich ein Ast hinter mir knacken höre. Ich halte die Luft an und lausche. Ich höre jemand kommen, jemand der pfeift. Ich bleibe still, als der Jemand an meinem Baum vorbei kommt. Ich erkenne einen Mann, der ziemlich jung aussieht. Er hat kastanienbraune Haare und er trägt eine Wanderausrüstung. Sein Rucksack ist noch größer als meiner. Ich wundere mich, was so ein Typ wie er hier irgendwo im nirgendwo zu suchen hat. Er geht weiter auf die andere Seite des Weges, stellt sich an einen Baum und will sich gerade die Hose runterziehen, als ich wieder laut aufschluchze. Der Mann zieht die Hose eilig wieder hoch und dreht sich zu mir um. Er sieht mich wirklich verwundert an und hält weiterhin seinen Hosenbund umklammert, als ob er ihm Halt geben würde. Da fange ich wieder an zu weinen, denn dieser Mann hat bestimmt eine Mutter und Freunde, die er immer anrufen kann. 

Steinige Wege haben bekanntlich die schönste AussichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt