Mein Hass

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Als ich dreizehn war, hat sich meine Mama ab und zu drüber lustig gemacht, dass mein Papa beim Sitzen die Beine überschlug. Jetzt bin ich neunzehn, und bis letztes Jahr habe ich den frevelhaften Beinüberschlag tunlichst vermieden; tatsächlich war Sitzen für mich seitdem immer eine sehr kalkulierte Sache. Im gleichen Sinne ist mein ganzes Leben seit meinem zwölften oder dreizehnten Lebensjahr von allerlei Zwängen geprägt. Das ist für einen jugendlichen Menschen nicht unbedingt selten oder seltsam - je nachdem, was man so zwischen den Beinen hat, können die Zwänge, die man fühlt, aber sehr anders aussehen. Zum Beispiel habe ich vorgestern das erste Mal nach fünf Jahren wieder geweint - nachdem ich über die letzten zwei Jahre sehr bewusst und recht müsehlig versucht habe, mir das Weinen wieder anzugewöhnen. Bei "Midnight Sky" auf Netflix hat es dann für zwei oder drei Tropfen gereicht. Geschämt habe ich mich natürlich trotzdem.

Was ist mit mir passiert? Warum konnte ich so lange nicht mehr weinen, und warum schäme ich mich jetzt noch dafür? Warum habe ich die letzten fünf Jahre meine Zeit und meine ganze Bandbreite an Selbstreflexion dafür verschwendet, über meine Sitztechnik oder meine Gangart nachzugrübeln? Wer ist Schuld daran, dass ich erst letzten Monat entdeckt habe, dass Baden Spaß macht und Kerzen schön sind? Warum habe ich Angst vor Frauen, oder, warum habe ich Angst vor mir, und was ich mit Frauen anstellen könnte? Und: warum begehen Männer viel, viel, viel öfter Selbstmord? Warum morden und rauben und hassen und vergewaltigen sie mehr? Bin ich so einer? Einer, der Selbstmord begeht oder andere ermordet, der vergewaltigt, bedroht und Hasskommentare auf YouTube schreibt?

Vielleicht hast du dir nie meine Gedanken gemacht oder meine Gefühle gefühlt. Aber ich glaube, die meisten Männer werden verstehen, was ich hiermit meine. Und die meisten Frauen sowieso.

James Bond ist gewalttätig, sexistisch, alkoholabhängig und super cool. Han Solo küsst Leia, obwohl sie ihn sechs mal wegstößt, zurückweicht oder verbal ablehnt (ja, ich hab grad nachgezählt, und in den YouTube-Kommentaren schwärmen alle von der "Bad Boy-Dynamik"). Auch Han Solo ist "super cool". Ein richtiger Mann halt. Der Kanal "WatchMojo", der auf stattliche 23 Millionen Abonnenten kommt, hat 2016 ein Video mit dem Titel "Top 10 Manliest Men in Movies" veröffentlicht. Es beginnt mit den Worten "women want to be with them - men want to be them" ("Frauen wollen mit ihnen zusammen sein - Männer wollen (wie) sie sein"). Laut "WatchMojo" sind die entscheidenden Qualitäten eines männlichen Mannes "Charme, Furchtlosigkeit, Testosteron und Muskelmasse".

Auf der Liste stehen: Michael J. "Crocodile" Dundee, Snake Plissken aus "Escape from New York", Robert "Rocky" Balboa, Luke Hobbs aus "the Fast and the Furious", Indiana Jones, John McClane aus "Stirb Langsam", Maximus Decimus Meridius aus "Gladiator", Konan der Barbar, James Bond und "der Mann ohne Namen" aus der "Dollar-Trilogie" von 1961.

Männlicher Mann Nummer zehn, "Crocodile" Dundee, ist auf Basis der wahren Geschichte von Rod Ansell entworfen. Dessen Wikipedia-Artikel liest sich wie folgt:

Im Mai 1977, kurz nachdem er ein verlorenes Buffalo in Kununurra (Westaustralien) eingefangen hatte, entschied sich Ansell, zum Victoria River zu reisen - nach eigenen Angaben auf einem "fishing trip". Als sein Motorboot von "etwas großem" (laut Ansell von einem Wal) gekentert wurde und unterging, konnte ihn niemand finden. Ansell schaffte es, sich, seine zwei 8-wöchigen Terrier, ein Gewehr, ein Messer, ein wenig Dosenfutter und Bettwäsche auf ein kleines Beiboot zu retten. Er hatte nur ein Ruder. Ohne Trinkwasser war Ansell nun in einer vertrackten Situation - er war 200 Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt, und einer seiner Hunde hatte sich ein Bein gebrochen.

Über Nacht trieb sein kleines Boot auf die offene See und lief schließlich an der Küste einer kleinen Insel am Fitzmaurice River auf Grund. Ansell reiste 48 Stunden mit der Tide und fand endlich, halb verdurstet, frisches Wasser. Er überlebte dank einer Diät von Wildrindern und Buffalos, die er tagsüber jagte. Manchmal trank er Rinderblut, wenn er kein Wasser finden konnte - so hielt er sein Elektrolytenlevel stabil. Er folgte Bienen zu ihrem Stock und stahl ihren Honig. Nachts schlief er in einem Baum, außer Reichweite der Krokodile. Er teilte sich seinen Schlafplatz mit einer braunen Nachtbaumnatter, deren Gift lähmt und die ohne Warnung zubeißt. Einmal erschoss Ansell ein fünf Meter langes Krokodil und behielt seinen Kopf als Souvenir.

Er erwartete nie, gerettet zu werden; er hatte seiner Freundin erzählt, dass er für Monate Fischen sein werde, und jedwede Suchaktion würde entlang des Victoria River stattfinden - nicht entlang des Fitzmaurice River. Ansell hoffte, bis zum Eintritt der Regenzeit eine sonst unbewirtete Viehzucht zu erreichen. Eines Tages jedoch hörte er das einzigartige Geräusch von Kuhglocken, das ihn zu zwei Ureinwohnern und ihrem Viehhüter führte. Obwohl sehr abgemagert, war Ansell gesund. Als er wieder Zuhause war, behielt er sein 7-wöchiges Abenteuer für sich, aus Angst, seine Mutter aufzuregen. Später sagte er:

"All the blokes up in this country, who work with cattle, ringers, stockmen, bull-catches, whatever, all of them, have really narrow shaves all the time. But they never talk about it...I think the opinion is that if you come through in one piece, and you're still alive, then nothing else really matters. It's like going out to shoot a kangaroo. You don't come back and say you missed by half-an-inch. You either got him or you didn't. So that is how I looked at it. Until the paper got hold of the story, and that changed a lot of things."

Frei übersetzt: "Alle Jungs in dieser Gegend, die mit Vieh (...) arbeiten, kommen ständig so knapp davon. Aber sie reden nie drüber... Ich glaube man ist der Ansicht, dass wenn du in einem Stück durchkommst, und noch am leben bist, dann ist alles Andere egal.  Es ist wie wenn man losgeht, um ein Känguru zu erschießen. Du kommst nicht zurück und sagst, du hast es um einen halben Zentimeter verpasst. Entweder du hast es gekriegt oder nicht. Also, so hab ich das gesehen. Zumindest bis die Zeitung davon Wind bekommen hat, und das hat eine Menge verändert."

Im August 1977 machte Ansell als "moderner Robinson Crusoe" weltweit Schlagzeilen.

Ich glaube, Rod Ansell hatte Recht. In meiner Gegend reden die Jungs auch nicht so viel. Zugegeben, die erleben zwar nicht so krasse Abenteuer; aber jeder hat seinen Struggle. Und ich glaube, bei den meisten Jungs ist man der Ansicht, dass wenn du in einem Stück durchkommst, und noch am Leben bist, dann ist alles Andere egal. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Zeitungen mal davon Wind bekommen. Und, dass sich eine Menge verändert.

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⏰ Last updated: Dec 27, 2020 ⏰

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