8. Nicht mehr allein

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Marthe ist ganz anders, wenn man mit ihr allein ist. Nach außen wirkt sie oft kalt und beängstigend, aber sie ist genauso sensibel, emotional und witzig. Sie hilft mir wieder die guten Seiten des Lebens zu erkennen.

Es ist ein Dienstag Nachmittag im November und Marthe und ich gehen im Park spazieren. Sie hält meine Hand und streicht sanft mit dem Daumen über meinen. Ein leichtes Kribbeln zieht von der Stelle, an der wir uns berühren über meinen ganzen Körper. Ich lächele.
Da kommt jemand um die Ecke des Schulgebäudes und sie lässt meine Hand los. Das macht sie immer. Vor unseren Freunden verhält sie sich mir gegenüber genauso, wie wenn wir allein sind, doch wenn jemand Anderes dabei ist, tut sie als seien wir nur Freunde. Es verletzt mich ein wenig, wenn ich ehrlich bin, aber ich möchte sie nicht zu irgendetwas zwingen.
Wir beenden unseren Spaziergang, denn ich möchte noch mit Phyllis für die kommende Klausurenphase lernen.

In unserem Zimmer sammele ich meine Sachen zusammen und gebe Marthe einen kurzen Kuss und mache mich auf den Weg zur Bibliothek, wo Phyllis auf mich wartet.

Ich blättere in meinen Notizen, der Duft von Papier steigt in meine Nase, aber ich kann mich nicht so recht konzentrieren, meine Gedanken schweifen die ganze Zeit zu Marthe ab

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Ich blättere in meinen Notizen, der Duft von Papier steigt in meine Nase, aber ich kann mich nicht so recht konzentrieren, meine Gedanken schweifen die ganze Zeit zu Marthe ab. ,,Gehst du eigentlich mit Marthe zum Ball?" fragt mich Phyllis plötzlich. ,,Was für ein Ball?" frage ich verwirrt. ,,Hat dir niemand davon erzählt?" Phyllis schaut mich erstaunt an ,,Jedes Jahr Anfang Dezember veranstaltet die Schule einen Ball, um die Weihnachtszeit zu beginnen und ich habe mich eben gefragt, ob ihr zusammen hingeht. Leander hat mich gefragt."
,,Ich weiß nicht. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich garnicht so richtig was das zwischen uns ist. Sie ist in der Öffentlichkeit immer so abwesend.." antworte ich zögerlich.
,,Ich finde du solltest sie danach fragen. Kommunikation ist immer die beste Lösung" meint Phyllis. Sie hat eigentlich Recht. Ich werde Marthe fragen. Ich schreibe schnell meinen letzten Lernzettel über Stochastik zuende und verabschiede mich von Phyllis, um dann die langen Gänge zurück zu unserem Zimmer zu gehen. Meine Schritte hallen vom Boden wieder, wie die Gedanken in meinem Kopf.

Marthe sitzt in ihrem Sessel und schaut auf als sie hört wie ich den Raum betrete. Ich beschließe sie sofort auf die Situation anzusprechen, damit ich keinen Rückzieher mache. Also lege ich meine Sachen zur Seite und setzte mich auf die Sessellehne. Marthe zieht mich auf ihren Schoß und küsst mich liebevoll auf die Stirn. Sie will gerade von dort zu meinem Mund wandern, aber ich ziehe mein Gesicht zurück. Sie schaut mich verwundert an. ,,Ich muss dich was fragen" sage ich. Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und ich fahre fort: ,,Ich verstehe nicht warum du immer so distanziert bist, wenn wir in der Öffentlichkeit sind. Habe ich irgendwas falsch gemacht? Bin ich dir unangenehm?"
Sie schaut mich erstaunt an ,,Nein, nein du hast nichts falsch gemacht" sie zieht mich an sich heran und umarmt mich fest ,,ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll... Es ist so: ich hatte in der 11. Klasse eine Freundin, Sophia. Sie war im Jahrgang über mir und wir waren wirklich glücklich, aber da waren wir die Einzigen. Ihre Eltern waren sehr konservativ und wollten nicht, dass sie eine Beziehung führt. Erst recht nicht mit einem Mädchen, deswegen haben wir ihren Eltern nichts von uns erzählt. Hier in der Schule haben wir uns sicher gefühlt, aber eine Lehrerin hat ständig merkwürdige Kommentare abgegeben. Ich habe es erst nicht ernst genommen doch dann hat sie Sophias Eltern einen Brief geschrieben... Ihre Eltern haben uns gezwungen uns zu trennen und sie musste die Schule verlassen. Ich habe sie nie wieder gesehen und von da an wollte ich nie wieder jemanden so nah an mich heran lassen. Aber du. Ich konnte nicht anders. Deswegen wollte ich dich wenigstens davor schützen, dass irgendwer dich beleidigt und kritisiert. Ich will dich nicht verlieren."
,,Du wirst mich nicht verlieren" flüstere ich und küsse sie. Marthe umarmt mich fest, ich erwidere die Umarmung und lege meinen Kopf auf ihre Schulter.
,,Wir müssen niemandem von uns erzählen, wenn du dich im Moment nicht wohl damit fühlst" sage ich. Marthe und ich entscheiden uns schlussendlich als Freunde mit Phyllis und Leander zum Ball zu gehen. Jetzt, da ich weiß warum Marthe so reagiert, wie sie reagiert, stört es mich nicht mehr wirklich. Phyllis hatte Recht. Kommunikation ist die beste Lösung.
,,Ich liebe dich Lilla" haucht Marthe ,,Ich dich auch" lächele ich und unsere Lippen berühren sich wieder.
Der Moment ist wunderschön, aber Marthes Geschichte geht mir nicht aus dem Kopf. Warum sind manche Menschen so verbittert, dass sie das Glück anderer zerstören möchten und warum nehmen Eltern ihren Kindern die Chance auf Liebe. Ich verstehe es nicht. Sollten Eltern sich nicht wünschen, dass ihre Kinder glücklich sind? Ich weiß, dass ich warscheinlich niemals eine Chance bei Marthe gehabt hätte, wenn Sophia nicht gegangen wäre, aber sie tut mir trotzdem leid. Was wohl aus ihr geworden ist?

,,Woran denkst du Babe?" fragt Marthe.
,,Ich frage mich was aus Sophia geworden ist" meine ich ,,Ich denke auch noch öfters an sie, obwohl es schon 2 Jahre her ist." Meint Marthe ,,ich habe keine Gefühle mehr für sie, aber ich denke trotzdem oft darüber nach, wie es ihr geht und wo sie jetzt ist."

Wir sitzen noch einige Zeit so zusammen und hängen unseren Gedanken nach bis wir ins Bett gehen. Wir haben unsere Betten zusammen gestellt, um mehr Platz zu haben, aber am Ende liegen wir doch immer Arm in Arm zusammen auf 30 cm. Ich schlafe gut in Marthes Armen. Es ist als schirme sie mich von all meinen negativen Gedanken ab. Ich fühle mich sicher mit ihr.
Doch heute will mein Kopf einfach nicht zur Ruhe kommen. Marthe schläft schon lange, aber ich denke noch immer über Sophia nach. Vorsichtig winde ich mich aus Marthes Umarmung, nehme mein Handy und ziehe mir einen von Marthes Hoodies über.
Ich schleiche leise hinaus und gehe auf Zehenspitzen zu einer Fensterbank im Flur. Dort entsperre ich mein Handy und tue worüber ich die ganze Zeit nachgedacht habe. Ich suche Sophia. Marthe hat mir ihren Nachnamen gesagt und nach einer Stunde habe ich sie tatsächlich gefunden. Ich zögere kurz, aber schließlich schreibe ich ihr doch eine Nachricht.
Ich atme aus, schalte mein Handy ab und gehe leise zurück ins Zimmer. Meine Füße sind eiskalt und ich kuschele mich schnell zurück zu Marthe unter die warme Decke und atme ihren angenehmen Duft ein.
Endlich schlafe ich ein.

"And some things you just can't speak about"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt