Charlottes Sicht:
[geht ans Telefon…]
„Hallo…“
„Hi Charlotte, ich bin’s.“, sagt Miriam, welche auf der anderen Seite der Leitung ist.
„Und, was gibt es neues? Wie geht es Frederik?“
„Also, es gab ein paar Komplikationen, er ist aber wieder stabil und liegt auf der ITS. Er ist noch nicht bei Bewusstsein, denn wir haben ihn ins künstliche Koma gelegt, bis sich der Hirndruck gesenkt hat.“
„Okay…“
„Und wie geht es dir?“
„Naja, wie soll es mir gehen? – ich hatte heute Stress mit meiner Schwiegermutter, niemand möchte, dass ich heute meine Kinder bereue und mein Mann wurde eben notoperiert.“
„Konntest du dich denn ein bisschen ausruhen?“
„Nein, ich habe erstmal einen riesigen Scherbenhaufen beseitigt und muss gucken, dass der kaputte Glastisch aus dem Wohnzimmer kommt, bevor die Kinder wieder kommen.“
„Oh je… ich will echt nicht mit dir tauschen.“
„Wann kann ich denn zu ihm?“
„Morgen, wenn die Besuchszeit losgeht.“
„Okay, ich bin dann da.“
„Gut, ruh dich ein bisschen aus.“
„Ich werde es versuchen.“Dann legen wir auf. Auf der einen Seite frage ich mich, was das für Komplikationen waren, auf der anderen Seite bin ich froh, dass es gut gegangen ist, und er jetzt stabil ist. Der packt das ganze – das muss er. Frederik würde mich nicht einfach alleine lassen, oder?
Ich überlege außerdem, ob ich Ralf anrufen sollte. Einerseits ja, denn Frederik ist sein Sohn und er hat ein Recht darauf zu erfahren, wie es um ihn steht. Er und Helene machen sich ja bestimmt auch Sorgen. Andererseits kann es aber auch gut sein, dass letztere ans Telefon geht und mich wieder total zur Sau macht. Okay, ich hätte das Geschenkpapier wegräumen können und sollen – das hätte ich besser mal getan, aber bin ich nun daran Schuld, dass Frederik diesen Sturz hatte? Nein. Oder doch? Ich weiß es nicht, ich meine, ich hätte ja nicht ahnen können, dass das passieren würde, aber Helene hat schon recht, hätte das Geschenkpapier nicht dort gelegen, wäre es nicht passiert. Dann würden wir die Kinder jetzt ins Bett bringen und gleich nebeneinander in unserem Bett liegen und ich würde in seinem Arm einschlafen. Aber nein, Charlotte Seehauser muss ja so dämlich sein und so ein blödes Stück Geschenkpapier auf dem Boden liegen lassen. Und das alles an Levis Geburtstag. So hat sich das sicherlich niemand vorgestellt. Gut, dass sich Levi niemals an dieses Desaster erinnern kann. Ich mache mir Vorwürfe und ich glaube, dass man das auch merkt.
Ich entscheide mich doch dafür bei meinen Schwiegereltern anzurufen und ich hoffe so sehr, dass Ralf rangeht.
„Hallo Charlotte“, sagt Ralf und ich bin echt erleichtert.
„Hi Ralf. Ich hab Neuigkeiten aus dem Krankenhaus.“
„Dann erzähl mal“„Wer ist das?“, höre ich Helene im Hintergrund schreien.
„Charlotte ist das“, antwortet Ralf.
„Mach sie bitte auf Lausprecher.“
„Vergiss es, du kannst dich ja nicht beherrschen.“„So, da bin ich wieder.“, sagt er zu mir.
„Also Frederik kam direkt ins CCT, das ist eine Computertomographie des Schädels, bei der bei ihm Hirnblutungen festgestellt wurden.“
„Und dann?“
„Er musste sofort notoperiert werden. Es gab wohl Komplikationen, aber jetzt ist er stabil und liegt auf der Intensivstation.“
„Ach du scheiße.“
„Das kannst du laut sagen.“
„Wie geht’s Malia, die hat das ja gesehen?“
„Naja… ich denke nicht so gut. Die Kinder sind zumindest diese Nacht bei meinen Eltern. Die sind alle der Meinung, dass ich im Moment nicht in der Lage wäre, mich um meine Kinder zu kümmern.“
„Vielleicht tut es den Kindern auch gut, wenn sie ein bisschen abgelenkt sind.“
„Ja, kann sein. Abgesehen davon musste ich eben einen riesen Scherbenhaufen beseitigen. Jetzt steht hier ein kaputter Glastisch an der Couch. Nicht dass es noch mehr Verletzte gegeben hätte.“
„Ich kann auch morgen vorbei kommen und dir dabei helfen, den Tisch aus dem Wohnzimmer zu schaffen. Nicht, dass da noch mehr passiert.“
„Das ist eine gute Idee. Ich fahre aber morgen erst zu Frederik.“
„Mach das. Aber hol‘ die Kinder bitte erst nach Hause, wenn der kaputte Glastisch da weg ist.“
„Okay. Ich melde mich morgen nochmal bei dir.“
„Gut.“Etwas später…
Ich versuche ein wenig zu schlafen, doch ich kann nicht. In Gedanken bin ich die ganze Zeit bei Frederik. Was ist, wenn jetzt postoperativ noch irgendwelche Folgeschäden entstehen? Was ist, wenn er nie wieder der alte wird? Wird er wohl pflegebedürftig sein? Überlebt er das ganze überhaupt? Fragen über Fragen, und nicht eine davon kann ich nicht eine einzige beantworten, obwohl ich 12 Semester Medizin studiert habe. Es ist schon schwer, Angehörigen solche Sachen zu sagen, aber als Ehefrau diese Nachricht zu bekommen ist noch schwerer. Jetzt weiß ich auch, wie sich das anfühlt – nämlich beschissen – richtig beschissen!
Am nächsten Morgen…
Ich habe kaum geschlafen, vielleicht eine Stunde oder so. Dementsprechend bin ich sehr müde und vom gestrigen Tag noch sehr erschöpft. Ich mache mich auf den Weg ins Krankenhaus, denn ich will so schnell wie möglich bei Frederik sein. Aber ich nehme mir lieber ein Taxi, ich kann so nicht fahren. Nicht, dass mir auch noch etwas passiert und dann wären die Kinder möglicherweise ganz alleine. Das möchte ich nicht, da zahle ich lieber 30€ für ein Taxi. Es dauert eine Weile, bis es bei mir und schließlich in der Klinik ist, aber ich komme an.
Mit fokussiertem Blick laufe ich zur Intensivstation, welche im ersten Stock ist. Ich ziehe mi einen Schutzkittel in der Schleuse an und lasse mir von Pfleger Christian sagen, auf welchem Zimmer Frederik liegt. Ich gehe in das Zimmer und da liegt er, ganz ruhig und schläft. Er ist zwar nicht ansprechbar, aber dennoch bin ich beruhigt, denn auf dem Monitoring sehe ich, dass alle Werte in Ordnung sind. Was ein bisschen befremdlich ist, ist die künstliche Beatmung, welche allerdings Pflicht ist, wenn man einen Patienten ins künstliche Koma legt, da die Atemreflexe ausgeschaltet werden. Ich hoffe nur, dass das bald vorbei ist, und ich meinen Freddy bald wieder habe.
Ich bleibe bis zum Ende der Besuchszeit und werde dann von Ralf abgeholt, welcher den kaputten Glastisch entsorgt. Das ist echt nett von ihm. Die Kinder hole ich morgen ab, heute bin ich zu erschöpft.
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Die Geschichte von Team Engelhauser
FanficIn Studienzeiten lernen sich die angehenden Ärzte Frederik Seehauser und Charlotte Engel kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick, doch durch unglückliche Umstände konnte er sich nicht mehr bei ihr melden. Jahre später treffen sie dann in der Klini...