Kapitel 10 - Ungeheure Macht

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Mit einem eines Albtraums würdigen Poltern schloss sich die gewaltige Flügeltür. Celosias schwere Stiefel hinterließen dumpfe Klänge, während sie mit Andras den steinernen Gang entlangschritt. Der Dämon bewegte sich erhobenen Hauptes, sein orange-roter Blick schien jeden niedergestellten Dämonen, dem sie begegneten, mit einer Abschätzung zu betrachten, unter der ein gewöhnliches, schwaches Menschenwesen wohl vor bitterer, tief in die Seele stechender Furcht sterben würde. Einen solchen Todesblick setzte auch Celosia gerne ein, jedoch trat bei den Menschlein ihrer Welt nie die gewünschte lebennehmende Wirkung ein. In jenem Moment erst wurde Celosia wirklich bewusst, welche Macht Andras nun besitzen musste. Nicht nur an seinem leicht selbstherrlichen Gang konnte sie das festmachen, sondern sie spürte es auch an seiner Seele. Die Seele eines jeden Dämons war dunkel, das war bekannt, doch Andras' war...nun, sie war erschreckend, denn so etwas düsteres hatte sie zuvor bei einem gewöhnlichen Dämon noch nie wahrgenommen. Der Teufel besaß eine fragmentarische Seele, schwarz wie ein jegliches Licht absorbierendes Loch im Universum. Auch Andras' Seele besaß neben ungewöhnlicher Dunkelheit, die zwar nicht an den Teufel herankam, aber dennoch sehr düster war, ebenfalls eine Art Unvollständigkeit. Die Präsenz, die Celosia spüren konnte, war...lückenhaft. Und noch immer dem Teufel recht ähnlich, wenn auch nicht ganz gleich. Sie konnte es sich nicht erklären, aber war zutiefst erschrocken davon. Denn was auch immer es mit Andras' Seele auf sich hatte, es war verdammt nochmal etwas sehr schlechtes.

„Sieh mal", ließ Andras plötzlich mit einer aufgesetzt wirkenden Freundlichkeit von sich hören, nachdem sie eine Weile gelaufen waren, einige Male abgebogen waren und eine Treppe erklommen hatten, und wies, während er das sagte, auf eine der vielen schwarzen, schweren, mit Eisen verstärkten Holztüren in der Wand. Diese jedoch, auf die er deutete, befand sich ganz am Ende des in schwachem Kerzenlicht erleuchteten Ganges. In die Tür selbst war etwas geritzt, wie Celosia bei näherer Betrachtung feststellte, und sie konnte auch entziffern was:

Mortem patitur silentium, non videtur, non auditur, non loquetur.

„Der Tod leidet in der Stille", flüsterte Celosia, während ihre Stimme zitterte, „er sieht nicht, er hört nicht, er spricht nicht."
Während sie die so bekannten Worte von der Tür las, ruhte Andras' Blick auf ihr, er schien ihre Reaktion genau zu studieren, jedes der Worte mitzudenken, doch er, der dem Teufel diente, hatte diese Worte niemals verstanden, waren sie doch bedeutungslos für ihn und ohne Wert. Seine Aufgabe war es, sie, Celosia, hierherzubringen, und in diesem Moment, in dem sich ihr Innerstes beim Anblick der Tür zusammenzog, hatte sie verstanden.
Sie war in der Tat heute nach 500 Jahren das erste Mal wieder in die Hölle getreten. Aber sie würde nachher nicht wieder gehen, auch morgen nicht, nicht in 10 Jahren, nicht einmal in weiteren 500.

Sie kam hier kein zweites Mal weg.

Und kaum war diese Erkenntnis wie ein schmerzvoller Blitz in ihre Gedanken geschossen, so spürte sie einen heftigen Schlag in den Rücken, der sie gegen die schwere Tür schleuderte und sie nach innen aufstieß.
Hart schlug sie mit dem Gesicht auf den Boden, dann hörte sie nur noch ein entferntes, diabolisches Kichern, die Tür wurde zugeknallt und verschlossen.
Was war geschehen? Warum hatte sie sich dazu überreden lassen, heute mit Andras an den von ihr so verhassten Ort zurückzukehren? Jetzt war sie wieder hier, nun wohl für den Rest ihres endlosen Lebens.
Und das Ironische daran war ja, dass sie hier in ihrer Zelle saß. In ihrer. Die Zelle, die sie vor Jahrhunderten bewohnt hatte. In der sie Bilder ins Gestein und Worte in die Tür geritzt hatte. In der sie eine Wand eingerissen hatte. Die Gesteinstrümmer befanden sich noch immer an der hinteren Seite der Zelle, ebenso wie einige schwarze Flecken, die ein paar Steinbrocken sowie einen Teil des umliegenden Bodens besprenkelten. Dämonenblut. Unvergänglich, genau wie die verdammte Vergangenheit, die Celosia eingeholt hatte. Stöhnend richtete sie sich auf, sah sich genauer um. Es war wirklich nichts an ihrem Raum verändert worden. Hatte ihn überhaupt jemand in dem halben Jahrtausend betreten? „Sieht nicht danach aus", murmelte Celosia in die Stille hinein, verbittert, wütend, sich wünschend, die Wand möge noch stehen, damit sie sie erneut zerstören konnte.
Aber es half doch nichts. Celosia lief zu einer der noch stehenden Wände und setzte sich dort hin, darüber nachgrübelnd, was in der nächsten Zeit auf sie warten würde. Und was mit Andras geschehen war.
Sie musste einige Stunden dort gesessen haben, als plötzlich das Schloss aus nicht schmelzbarem Metall klackte und die massive Tür sich langsam und knarzend öffnete. Ein  giftgrünes Augenpaar blitze Celosia entgegen.
„Steh auf", blaffte die großgewachsene, ziemlich drahtige Dämonin, die die Tür geöffnet hatte. Sie hatte eine gespaltene Zunge, was ihr zusammen mit dem Rest ein ziemlich schlangenhaftes Aussehen verlieh. Da Celosia sich um keinen Millimeter bewegte, zischte die andere Dämonin genervt und machte eine schnelle Handbewegung. Die Luft um Celosia bewegte sich urplötzlich und riss sie nach oben.
„Komm jetzt", befahl die Winddämonin unfreundlich und widerwillig setzte Celosia sich in Bewegung.

Wieder durchschritt sie Korridor für Korridor, diesmal mit der zickigen Winddämonin. Ja, es gab durchaus Dämonen, die Celosia sympathisch waren, auch wenn sie eine eher kühle Art zeigten, doch diese Dämonin nervte sie einfach nur. Noch dazu schien sie stärker zu sein, was sie leider daran hinderte, sie einfach anzugreifen. Während Celosia sich noch unzählige Methoden ausdachte, den Kopf mit den vergleichsweise kleinen, nach hinten gerichteten Hörnern der Grünäugigen von ihrem Körper zu trennen, wäre sie beinahe in ihr imaginiertes Opfer hineingelaufen. Die Winddämonin war vor einer Tür stehen geblieben, die sich von den anderen nicht auffällig abhob, lediglich ein verzierter Rahmen umrandete sie. Seltsame Runen waren in die steinerne Umrahmung eingeritzt und es sah fast aus wie eine magisch versiegelte Tür. Dieser Gedanke brachte Celosia zum Schmunzeln. Doch bald schon setzte sich die Winddämonin wieder in Bewegung und die Tür schwang ungehindert auf. Stirnrunzelnd folgte Celosia ihr in den angrenzenden Raum, wo sie erst einmal mit großen Augen innehielt. Vor ihr tat sich ein Gewölbe auf, das sowohl sehr hoch, als auch sehr tief zu sein schien. Die weit über ihr liegende Decke war kaum zu erkennen, da das riesige, mehrstöckige Gewölbe schlecht ausgeleuchtet war. Celosia befand sich auf einer Art langem steinernen Steg, ähnlich wie eine Brücke, und konnte von dort sowohl in die höheren als auch in die tieferen Bereiche blicken. Das Ganze erinnerte sie an ein gotisches Schloss, nur besaß das Gewölbe keine Fenster, zumindest keine, die nach draußen führten. Hin und wieder erkannte die Feuerdämonin von der Brücke ausgehende Abzweigungen, die nach links und rechts abgingen und dort zu breiten, betretbaren Simsen führten, die sich über die gesamten Seiten erstreckten...und das ganze, wie Celosia feststellte, über alle Stockwerke hinweg. Gerade, als sie darüber nachdachte, wo die Treppen wohl waren, fiel ihr an den Rändern noch etwas auf: die „Simse" waren im wahrsten Sinne welche, denn an den Seitenwänden befanden sich in regelmäßigen Abständen riesige, spitz zulaufende...Fenster!? Wie war denn das möglich. Immerhin waren sie metertief unter der Erde...doch bei genauerer Betrachtung wurde ihr der eigentliche Zweck dieser Fenster klar. Sie hatten keine Scheiben, sondern waren vergittert, was sie wie Gefängnisfenster wirken ließ. Celosia realisierte, dass sie genau das waren und ging mit einem seltsamen Gefühl weiter hinter der anderen Dämonin her.

Sie machte schon bald Bekanntschaft mit den von ihr zuvor gesuchten Treppen, sie stiegen ein Stockwerk tiefer. Die Schlange, wie Celosia beschlossen hatte, die nervige Winddämonin zu nennen, führte sie zu einem Kerkerfenster mittig in der Reihe, welches sich absolut nicht abhob von den anderen, sodass sie glaubte, es sei geradezu willkürlich ausgewählt worden.
Doch nein.
Als sie gemeinsam den Seitensteg betraten, der zum Sims und damit auch zu jenem Fenster führte, erkannte Celosia eine schemenhafte, dunkle Gestalt neben dem Fenster stehen. Schon bevor die gehörnte Person ihren Kopf zu ihr drehte und die roten Augen auf sie richtete, wusste Celosia wer es war.
„Da bist du", bemerkte Andras, in seiner Stimme lag nicht viel, sie klang leer, neutral, gleichgültig.
Die Schlange wollte irgendetwas sagen, doch Celosia kam ihr bissig zuvor. Niemand sprach für sie.
„Was soll der Scheiß hier", knurrte sie, nicht wirklich eine Antwort erwartend, sondern vielmehr um ihre Missgunst und Wut auszudrücken.
„Der „Scheiß" wird dir von Nutzen sein, Celosia. Du kannst ungeheure Macht erlangen." Andras' dunkle Stimme hatte einen strengen, lehrerhaften Ton angenommen, so als würde er mit einem Kind sprechen und nicht mit einer über 500-Jährigen. „Von Nutzen also", keifte sie zurück, ihr Puls schaukelte sich parallel zu ihrer Wut hoch. Nach der „ungeheuren Macht" wagte sie nicht direkt zu fragen.
Doch anstatt ihr weitere Ausführungen zu geben, wandte Andras sich ab und dem Kerkerfenster zu. Er ließ eine kleine, rote Flamme über seiner nun geöffneten Handfläche erscheinen und gewährte damit etwas bessere Sicht hinein. Celosia blieb stehen wie ein trotziges Kind, stellte sich dann aber auch vor das Gitter, nachdem die Schlange ihr einen Tritt verpasst hatte.

Drinnen regte sich etwas, ein Umriss, der zu beiden Seiten, wahrscheinlich an den Handgelenken, an die hinter ihm liegende schroffe Felswand gekettet zu sein schien, Celosia sah das Metall im Schein der Flamme glänzen. Ein Gefangener, dachte sie sich, was habe ich denn anderes hier erwartet. Aber anscheinend wollen sie mich gar nicht wieder einsperren...
Ihre Augen gewöhnten sich langsam an das Dämmerlicht, das eben lange nicht hell genug war, und sah sich das gefangene Wesen genauer an. Es sah menschlich aus, doch es besaß eine merkwürdige Seelenpräsenz, die sie nicht einordnen konnte.
Doch dann, als Celosia schon angenommen hatte, es befände sich in einer Art Wachtod, riss das Wesen urplötzlich den Kopf hoch und... „schaute" sie an.
Seine leeren Augenhöhlen lösten ein Unbehagen in ihr aus.

Out of Hell - Die Geschichte eines uralten DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt