9: Eine Nummer

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Ich schmeckte Metall, das von der fremden Hand über meine Lippen in meinen halb geöffneten Mund rann. Mein Körper erbebte und ich wäre stumpf umgefallen, wenn er meinen Sturz nicht abgefangen hätte. Sein Blick galt nicht mir, sondern der Straße und der nahenden Gefahr.

„Gareth?" Mein Krächzen weckte ihn und er sah rasch zu mir, löste seine Hand endgültig von meinem Mund. Ich sank gegen seine Brust. „Was ist hier los? Warum bist du hier?"

„Sie sind hier", knurrte er leise und knirschte mit den Zähnen. „Utopia ist hinter mir her."

„Mitten am Tag? Mitten in der Stadt?"

Abermals presste er seine Hand auf meinen Mund und ich kniff die Augen zusammen, öffnete sie vorsichtig wieder. Er atmete aus und sackte weg, fiel gegen meine Schulter.

Mindestens ein Schuss hatte ihn getroffen, denn in seinem Arm klaffte ein tiefes Loch, aus dem Blut strömte. Unterhalb seiner Wange prangte ein Schnitt. Ein Streifschuss?

„Bleib ruhig und folge mir", wisperte er und gab mich frei. Als er strauchelte, fing ich ihn ab und knallte gegen die Mauer.

„Was ... machen wir jetzt?"

„Weglaufen."

„Wohin?"

Seine goldbraunen Augen wirkten dunkel. Er reckte den Kopf, horchte in die plötzliche Ruhe hinein und drängte mich dichter an die Wand.

„Weg von hier", erwiderte er schließlich und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Kannst du gehen?"

Meine Beine schlotterten, als wäre ich durch die Eisdecke eines zugefrorenen Sees gefallen, doch ich nickte und öffnete den Mund. „Kannst du denn gehen?"

Zwei weitere Einschüsse durchlöcherten seinen Oberschenkel.

„Nicht der Rede wert."

„Du kannst kaum stehen", merkte ich an und berührte ihn zaghaft am unverletzten Arm.

„Jetzt machst du dir also Sorgen?" Sein warmer Atem streifte mein Gesicht und er bückte sich, um sein Bein zu untersuchen. „Das waren zwei glatte Durchschüsse. Die sind bald verheilt."

„Ja", brummte ich, weil er meine Antwort nicht abgewartet hatte. „Ich mache mir Sorgen. Was zur Hölle geht hier vor?"

„Du wolltest ja nicht hören und mir auch nicht vertrauen."

„Ach, jetzt ist es meine Schuld, dass irgendwelche Mörder durch die Straßen ziehen und ziellos herumschießen?"

„Nicht ziellos." Stöhnend richtete er sich auf und rieb sich den Nacken. „Du und ich sind ihr Ziel."

„Ich? Utopia ... Du meinst, dass sie ..."

„Sie jagen. Ich habe es dir erklärt, aber du ..."

„Ich wollte dir nicht glauben, ja, ja", unterbrach ich ihn und klammerte mich an seinen Arm. „Ich kann es immer noch nicht glauben, aber die Schüsse, die sind echt."

„Utopia ist echt."

Es überraschte mich nicht, dass ich falsch lag, das tat ich öfter. Es ärgerte mich jedoch, dass ich mich in diese vielleicht vermeidbare Gefahr bugsiert hatte, ohne die Warnzeichen wahrzunehmen.

„Ich bringe dich aus ihrer Schusslinie, in Ordnung?"

„Ja, bitte", gab ich ihm mein Einverständnis, blockte ihn aber ab, als er seinen verletzten Arm unter meine Beine schieben wollte. „Ich sagte doch, dass ich allein gehen kann."

Seine Mundwickel zuckten. „Dann geh voraus." Er blieb dicht hinter mir. So dicht, dass er mich jeden Moment berühren oder zurückziehen konnte. „Jetzt nach links."

Claws of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt