1. Kapitel

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2027

Es war ein warmer, sonniger Julitag. Die Sonne schien warm auf den Hof des Cottages, in dem Gwendolyn den großen Tisch für die Geburtstagsfeier ihrer Tochter deckte. Jedes Jahr wieder überkam sie an diesem Tag eine gewisse Traurigkeit. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sie gemerkt hatte, dass sie schwanger war. Es war kurz nach Weihnachten gewesen, als sie gemerkt hatte, dass ihre Tage nun schon seit einer Weile ausblieben. Anfänglich hatte sie es auf den Stress geschoben, den sie in den vorherigen Wochen mit der Trennung von Gideon und ihrer Abschlussarbeit gehabt hatte. Doch dann hatte sie sich dazu entschieden sicherheitshalber einen Test zu machen. Und wieder all ihrer Erwartungen war dieser positiv gewesen. Und ohne lange darüber nachzudenken hatten Gwendolyn ihre Sachen gepackt und war abgehauen. Und nun lebte sie schon seit beinahe zehn Jahren in dem Cottage ihrer Eltern. Die ersten Monate waren sehr einsam gewesen und Gwendolyn hatte immer wieder überlegt zurück nach London zu kehren. Doch dann war ihre Tochter zur Welt gekommen und hatte das Cottage mit Leben gefüllt. Und auch wenn sie glücklicher über das Leben mit ihrer Tochter nicht hätte sein können, dachte sie besonders an diesem Tag im Jahr viel an den Vater der Kleinen, der nicht einmal von ihrer Existenz wusste. Gideon.

„Mommy, Mommy!" Wie ein Wirbelwind rannte die kleine Amelia auf Gwendolyn zu. „Ja mein Engel, was gibt es?" Das Strahlen in den Augen ihrer Tochter zauberte Gwendolyn ein Lächeln ins Gesicht. Amelias Augen hatten dasselbe saphirblau, wie die von Gwendolyn. Ihr Haar war dunkelbraun und lockig und ging ihr bis zur Mitte ihres Rückens. Sie war ein zierliches Mädchen und auch wenn Gwendolyn es nicht wahrhaben wollte, sah sie, von den Augen abgesehen, Gideon verdammt ähnlich. „Tante Charlotte und Grandma sind da!" In diesem Moment tauchten Charlotte und Grace im Hof auf. Die beiden waren zwei der wenigen Menschen, die von Gwendolyns Aufenthaltsort und Amelias Existenz wussten. Außer den beiden wussten Nick und Caroline davon und Tante Maddy hatte es gewusst, doch sie hatte das Geheimnis vor zwei Jahren mit ins Grab genommen. Außerhalb der Familie hatte sie es nur Leslie erzählt, doch sie hatte schwören müssen, es Raphael nicht zu erzählen.

„Gwen!" Charlotte lief auf ihre Cousine zu und umarmte sie. „Ich freu mich so dich zu sehen!" Charlotte hatte sich zu einer tollen Frau entwickelt. Sie hatte Jura studiert und arbeitete in einer der renommiertesten Anwaltskanzleien Londons. Nun kam auch Grace bei den beiden an. „Hallo meine Liebe!" Das Alter war ihr langsam wirklich anzusehen. Ihr Haar war von grauen Strähnen durchzogen und in ihrem Gesicht war einige Falten zu sehen. Dennoch war sie so hübsch wie eh und je. „Hallo ihr beiden, ich freu mich, dass ihr es geschafft habt." Gwendolyn lächelte. Der Kontakt zu ihrer Familie hielt sich leider in Grenzen, denn sie vermied es seit Jahren nach London zu kommen. Zu groß war ihre Angst Gideon über den Weg zu laufen. „Amelias Freunde sollten gleich da sein, wollt ihr euch setzen und schon mal etwas trinken?" Gemeinsam liefen die drei Frauen zu Tisch und Charlotte und Grace setzten sich, während Gwendolyn eine Flasche Sekt aus der Küche holte.

Als sie zurückkam herrschte bereit reges Treiben auf dem Hof. Amelias Freunde waren inzwischen eingetroffen und tobten über den Hof. Gwendolyn hatte einen Swimmingpool aufgestellt und die Kinder hatten ihre größte Freude an der Abkühlung. „Kinder, wer will kann sich jederzeit Kuchen und Limo holen!" Sie hoffte, dass ihre Worte angekommen waren, doch solange die Kinder und vor allem Amelia glücklich waren und ihren Spaß hatten, war Gwendolyn es auch.

Sie schenkte drei Gläser Sekt ein und setzte sich zu ihrer Mutter und ihrer Cousine. „Und wie geht es euch? Was gibt es Neues in London?" Sie freute sich immer sehr auf alle Neuigkeiten, denn in dem Dorf hier passierte nicht viel. Jeder kannte jeden. Besonders sie kannte jeden, seitdem sie die Leitung der örtlichen Grundschule übernommen hatte. „Uns geht es bestens", antwortet Grace, „Nick arbeitet unglaublich viel und Caroline steckt in ihrem Studium. Lady Arista ist so wie immer. Sie hat sich nach dir erkundigt und ich habe gesagt, du würdest inzwischen als Lehrerin in Frankreich arbeiten. Das hat sie zufrieden gestellt." Gwendolyn lächelte. Sie vermisste ihr Leben in London, auch wenn hier alles perfekt war. Sie hatte einen tollen Job, eine tolle Tochter und konnte jederzeit in der Zeit springen und ihre Eltern Lucy und Paul besuchen.

„Und dir Charlotte? Wie geht es dir?", wollte Gwendolyn wissen. Charlotte lächelte. „Mir geht's gut. Ich habe jemanden kennen gelernt. Er ist Arzt. Er arbeitet mit Gideon zusammen in der Kinderklinik." In dem Moment schlug sich Charlotte die Hand vor den Mund. „Entschuldige Gwenny, das war taktlos." Gwendolyn lächelte matt. Bis heute versetzte ihr der Name Gideon ein Stich ins Herz. „Alles gut Charlotte, es ist bald zehn Jahre her. Wie geht es Gideon?" Sie war sich nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich hören wollte. Bestimmt führte er ein glückliches Leben mit einer seiner Krankenschwestern. „Dem geht's soweit ganz gut. Er arbeitet viel, stellt uns immer mal wieder eine andere Frau vor, aber das ist alles nie etwas von Dauer. Bist du dir immer noch sicher, dass du ihm nicht von Amelia erzählen willst?" Gwendolyn seufzte. Wie sie es hasste, wenn ihr jemand diese Frage stellte. Gideon hatte ihr damals sehr deutlich klar gemacht, dass er nicht bereit war, für irgendeine Art der Bindung, was hätte er wohl gesagt, wenn sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt hätte? In diesem Moment fing eines der Kinder an zu weinen. Perfektes Timing. „Tut mir leid, da muss ich mich drum kümmern!" Gwendolyn stand auf und lief wortwörtlich vor der eben gestellten Frage davon. Grace und Charlotte sahen sich an und seufzten.

Später am Abend, als alle Kinder weg waren, saßen Grace, Charlotte, Gwendolyn und Amelia zusammen beim Abendessen. „Und Amelia, wie hat dir dein Geburtstag gefallen?", fragte Grace ihre Enkelin. Amelia grinste. „Er hätte besser nicht sein können!" Plötzlich kniff sie die Augen zusammen und hielt sich den Kopf. „Schätzchen, ist alles in Ordnung?", Charlotte sah Amelia besorgt an und auch Gwendolyn war verunsichert. „Ja, alles gut", versicherte Amelia, „ich habe nur Kopfweh. Bestimmt habe ich zu viel Sonne bekommen." Die drei Frauen sahen einander und dann Amelia an. Bestimmt hatte das Mädchen recht, doch bei der Familiengeschichte schrillten bei jedem Kopfschmerz und jedem Schwindel die Alarmglocken.

„Gwen, du musst mit Gideon reden. Ihr sechzehnter Geburtstag kommt mit jedem Jahr näher und du weißt nicht, ob sie das Gen nicht doch geerbt hat. Mehr Zeitreiseerbgut ist ja beinahe nicht möglich." Charlotte und Gwendolyn saßen bei einem Glas Wein draußen auf der Terrasse, während Grace ihre Enkelin ins Bett brachte. Gwendolyn seufzte. „Ich weiß Charlotte. Aber eigentlich sollte der Blutkreis doch mit mir geschlossen sein. Außerdem, wie zur Hölle soll ich diesem Kotzbrocken erzählen, dass er eine neunjährige Tochter hat, ohne dass er mich umbringt?" Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Wein. Charlotte blickte ihre Cousine mitleidig an. „Du kannst es ihm nicht für immer verschweigen. Übrigens hab ich dir vorher nicht gesagt, dass Gideon mich gefragt hat, ob es dir gut geht und ob ich Kontakt zu dir hätte. Ich habe gesagt, es ginge dir bestens." Gwendolyn nickte. „Danke Charlotte."

Es war spät, als Gwendolyn schließlich in ihrem Bett lag und die Decke anstarrte. Das Gespräch mit Charlotte ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Sie hatte Recht. Gideon hatte ein Recht darauf von Amelia zu erfahren. Und Amelia hatte ein Recht auf einen Vater. Außerdem würde irgendwann der Tag kommen, an dem sich zeigen würde, ob Amelie durch die Zeit springen kann oder nicht. Und Gwendolyn war sich nicht sicher, ob sie es wirklich alleine schaffte, Amelia darauf vorzubereiten. Draußen wurde es bereits hell, als Gwendolyn in einen unruhigen Schlaf fiel.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 20, 2021 ⏰

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