Kapitel 11 - Verzehren

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„Was...ist das..."

Sie hörte, wie Andras hinter ihr ein leises Glucksen von sich gab, aber nichts sagte. Warum nur konnte hier nichtmal irgendwer Klartext reden!? Doch bevor Celosia herumfahren und ihm eine aufs Maul hauen konnte, wurde sie von der Schlange unterbrochen. Das kam ihrer Gesundheit vermutlich ziemlich zugute.
„Das", sprach die Schlange, „war einmal ein Mensch." Ach nee, sag bloß?! Celosia drehte sich zu ihr um und wagte es, fragend eine Augenbraue hochzuziehen. „Warum war? Und was macht er hier? Und vor allem, was mache ich hier?", fragte sie nun direkt, ihre Gereiztheit nicht länger verbergend. Als Antwort bekam sie eine giggelnde Lache der Schlange zu hören, bei der ihre gespaltene Zunge schon wieder sichtbar wurde. Diese Frau...
„Der ist heute dein Abendessen", verkündete sie, so als sei das eine freudige Nachricht. Zunächst wollte Celosia überrascht fragen, was zum Henker denn mit Abendessen gemeint war, besann sich dann eines Besseren und beschloss stattdessen, einen Witz zu machen.
„Ach, ich kriege Abendessen?", fragte sie zynisch grinsend, während in ihren Augen weiterhin ihre Wut glühte. Sie würde also zur Kannibalin werden. Einen Menschen im ganzen essen. Wie interessant. Dabei waren ihr Spezialgebiet doch eher die Herzen anderer...zwar nicht zum Essen, aber trotzdem. Doch Celosia hatte ehrlich gesagt mit Schlimmerem gerechnet. Obwohl sie noch nie Menschenfleisch gegessen hatte, da ihr der Gedanke in ihren jüngeren Jahren immer recht zuwider gewesen war, hatte sie sich weitaus Grauenvolleres ausgemalt.

„Na dann", sagte sie, sich an das vergitterte Fenster lehnend, „soll ich ihn gleich im Ganzen essen oder Stück für Stück? Also...heute einen Arm, morgen den anderen?" Doch anstelle eines zufriedenen Grinsens der anderen beiden Dämonen erntete sie einen Blick, der sowohl Fassungslosigkeit als auch Bedauern versprühte. „Das...ist nicht ihr Ernst." Celosia hörte die Worte klar und deutlich, die Andras der Schlange zuflüsterte, doch sie verstand nicht, was denn nun falsch war.
„Nein, nein, du hast das falsch verstanden...", redete die Schlange nun in normaler Lautstärke auf sie ein. Die Feuerdämonin war doch ziemlich überrascht über die Tatsache, dass jegliche Herablassung aus ihrer Stimme gewichen war. „Es...ähm...du...", die Schlange wandte sich, nach Worten ringend, Andras zu, mit einem leicht hilfesuchenden Ausdruck im Gesicht. Was immer sie erklären wollte, es fiel ihr schwer. „Was ist los", rief Celosia ihr zu, „hast du deinen Text vergessen?" Spöttisch grinste sie, amüsiert über die Tatsache, dass sie durch ihr kleines Falschverstehen der Aussage die beiden derart aus dem Konzept gebracht hatte. Die haben das alles eben auch bloß auswendig gelernt, dachte sie.
Die Schlange schien sich scheinbar wieder an ihr Skript zu erinnern, denn sie richtete ihren grünen Blick wieder auf Celosia, doch es gelang ihr diesmal nicht, den herablassenden Gesichtsausdruck wirklich glaubwürdig aussehen zu lassen.
„Du sollst ihn natürlich nicht in dem Sinne essen, dass du sein Fleisch in dich beförderst", ihre Stimme klang jetzt so, als würde sie mit einem minderbemittelten Kind reden, dann fuhr die Schlange fort:
„Nein, du wirst dir etwas ganz anderes einverleiben. Und zwar...seine Seele."
Celosia machte doch tatsächlich große Augen. Damit hatte sie schon fünfmal nicht gerechnet. Sie sollte einen auf Teufel machen? Und Seelen essen? Welcher Trick auch immer das war, sie kam nicht hinter den Sinn. Noch dazu löste die gefangene vor ihr kniende Kreatur einen gewissen Ekel in ihr aus...
„Ich soll...was? Die Seele von diesem...Ding da essen?", fragte sie argwöhnisch, den Blick misstrauisch auf die Dämonen gerichtet.
„Ja, nochmal", meinte nun Andras, doch seine Stimme klang plötzlich unerwartet sanft, „das alles hat einen Sinn, Celosia. Du bist Teil von etwas...Großem."
Wie auch immer er das nun wieder meint, dachte sie schulterzuckend, als sie seine Aussage vernommen hatte. Während sie über die Worte nachdachte, hatte sie die Schlange völlig vergessen, die sich gerade an einer Art Kurbel zu schaffen machte, die etwas neben dem Käfigfenster in die Wand eingelassen war. Erst als sich auf einmal das Gitter, welches das Innere vom Äußeren trennte, mit einem höchst unangenehmen Knirschen langsam nach oben bewegte, sprang Celosia leicht überrascht ein Stück nach hinten.
Doch in diese Richtung kam sie nicht weit, denn Andras verpasste ihr einen Schubs, der nicht gewaltvoll, aber doch kräftig genug war, um sie in die Zelle hineinzubefördern. Direkt zu diesem...Ungeheuer. Und als wäre das nicht genug, krachte hinter ihr das metallene Käfiggitter laut wieder hinunter. Starr stand Celosia da. Sie brauchte sich nicht umzudrehen um zu wissen, dass Andras und die Schlange hinter ihr am Gitter standen und sie beäugten wie einen Tiger im Zoo. Mit einem flauen Gefühl im Bauch näherte sie sich langsam der Kreatur. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sein Körper seltsam verzerrt, seine Gliedmaßen eigenartig verrenkt wirkten. Noch dazu die fehlenden Augen, trotz derer er sie anzustarren schien. Hinter ihr tönte die Stimme der Schlange, die wieder in den Grundschullehrerinnen-Ton verfallen war: „Das ist ein Seelensammler, damit du es weißt. Er kann die verschiedenen Seelen nicht wirklich als Teil von sich in sich aufnehmen, aber sie zu einem gewissen Grad...aufbewahren." Daher kam also die eigenartige Präsenz. Gut zu wissen. „Naja, es kann außerdem etwas...interessant werden, das Verzehren. Nur als Vorwarnung", flötete die nervige Winddämonin weiter, ihre Worte waren von einem leichten Lispeln begleitet. Celosia schüttelte entnervt den Kopf, sie machte sich gar nicht erst die Mühe nachzufragen, was mit „interessant" gemeint war. Aus diesen beiden Dienern Satans würde sie sowieso keine gescheiten, einigermaßen sinnvoll klingenden Informationen herausbekommen.
Sie stand nun fast direkt vor dem menschlichen Monster, nur knapp zwei Meter trennten sie beide voneinander. Der vernarbte, seltsam gebogene Mund des Wesens krümmte sich zu einer Grimasse, was durch die leeren Augenhöhlen nicht begünstigt wurde. Celosia schluckte. Es sah fast so aus, als versuche er zu lächeln. Was nicht den normalerweise bei einer freundlichen Geste üblichen Effekt erzielte. Die Dämonin überlegte nun, sie rieb sich die schweißnassen Hände an der Hose ab. Bilder blitzten in ihrem Kopf auf. Sie war gedanklich in einer Höhle, von Lavakanälen durchflossen, und inmitten war eine Kreatur, eine Monströsität, ein Wesen nicht aus dieser Welt. Der Teufel. In seiner uralten, grauenvollen Form, genährt aus der Angst seiner Opfer. Die Form, die er nun seit Jahrhunderten nicht mehr besaß. In der klauenbesetzten Hand hielt er einen Menschen, schier winzig im Gegensatz zum Herrn der Hölle. Und Celosia erinnerte sich. Sie erinnerte sich an das Blut und die Bestialität, mit der der Teufel seine Opfer entseelte. Celosia kehrte mit ihren Gedanken wieder ins Hier und Jetzt zurück. Ob es wohl auch anders ging?
Naja, ich hätte kein Problem damit, ihn zu köpfen. Aber der ist größer als ich...und mit Sicherheit stark, falls er es schaffen sollte, sich loszureißen...

Und als hätte Celosia damit ihr Schicksal heraufbeschworen, erhob sich das Wesen urplötzlich, mit einer Geschwindigkeit, die man seinem verdrehten, schweren Körper nicht zutrauen würde. Sie wich unwillkürlich ein Stück zurück, näher ans Gitter. Da wurde sie von hinten gepackt und an eben dieses gedrückt.
„Töte ihn", zischte Andras ihr ins Ohr, ehe er ihr Horn recht schnell wieder losließ und ihr durch das Gitter einen leichten Stoß versetze. Sie taumelte zurück in den Raum. Und erstarrte wieder. Das Monster zerrte heftig an seinen Ketten, die Verankerung in der Wand ächzte bedrohlich. Schwermütig gab sich die Dämonin einen Ruck und marschierte näher heran, daraufhin beschwor sie ein helles, heißes Feuer, das den Seelensammler sofort in Brand setzte. Er torkelte auf seinen beiden krummen Beinen auf der Stelle, von denen das eine größer war als das andere, und öffnete den verzerrten Mund zu einem Schrei, bei dem sich Celosia sofort an den Kopf griff. Diese Frequenz war ja unerträglich. Als es verebbte, preschte sie vorwärts und verpasste dem Wesen einen Tritt, welcher es aber nur leicht wanken ließ. Obwohl es brannte, scheute es nicht, abwechselnd weiter an den Fesseln zu zerren und zu schreien. Genervt stieß die Feuerdämonin die Luft aus, ehe sie zu einem erneuten Tritt ansetzte. Doch bevor sie sich richtig bereitmachen konnte, ertönte ein schier ohrenbetäubendes helles Geräusch. Die Verankerung war aus der Wand gebrochen, die Ketten baumelten wirkungslos an den Handgelenken der Kreatur. Einen Augenblick schien er verwirrt, doch dann warf er sich in Celosias Richtung, die Ketten zu seinem Vorteil nutzend, indem er sie wie Peitschen vorschnellen ließ. Eine der Ketten traf ihren Fuß, wickelte sich halb um ihn und riss sie zu Boden. Mit einem schmerzvollen Ächzen knallte sie auf den harten Boden. Nur nicht k.o. gehen..., ermahnte sie sich selbst. Dazu hatte sie nicht einmal die Gelegenheit, denn der Seelensammler riss so heftig an der um ihren Fuß gewickelten Kette, dass sie über den halben Boden flog und direkt vor ihm landete. Auch wenn ihm sämtliche erkennbare Merkmale funktionierender Mimik fehlten, erkannte Celosia nur zu gut die Mordlust in seinem Gesicht. Dieses Wesen war verrückt. Als es sich gerade reckte und mit dem anderen Arm ausholen wollte, um die zweite Kette auf sie niederschnellen zu lassen und sie damit zu geißeln, schaffte es Celosia, ihren Körper vorzuschieben, sich ein wenig nach oben zu recken und das zu tun, was sie am besten konnte.

Ihre Hand steckte in der Brust des Monsters. Sie hatte sein Herz verfehlt, doch es reichte, um das Wesen verwundert innehalten zu lassen. Celosia grinste. Da war es wieder. Dieses düstere, diabolische Grinsen, auch wenn sie sein Herz nicht getroffen hatte. Aber scheiß auf Anatomie, damit kam man bei dieser Abnormität ohnehin nicht weit. Also suchte Celosias Hand nach dem Herzen, bis sie es fand und ihre Finger es umschlossen. Ihre langen Nägel bohrten sich hinein, es schlug wild und unregelmäßig in ihrer Hand. Der Seelensammler war zur Salzsäule erstarrt, bewegte sich nicht, als wäre er mitten in der Bewegung eingefroren. Lediglich ein heiseres Krächzen entfuhr seiner Kehle, als es so dastand.
Celosia hatte gesiegt, das wusste sie. Doch noch hatte sie nicht getan, weshalb sie hier war. Daher entriss sie ihm das Herz nicht, sondern umkrallte es weiterhin und suchte währenddessen nach der Seelenpräsenz des Monsters. Und da war sie. Seltsam vielfältig und durchmischt, und sie war greifbar nah. Und Celosia würde tun, was zu tun war. Mit zusammengepressten Augen und Zähnen und aller Konzentration nahm sie der Kreatur ihre Seelen. Alle. Auf einmal.
Auf absolut faszinierende Art und Weise durchflossen die Seelen ihren Körper, schienen ein Teil von ihr zu werden. Da begann ihr Kopf urplötzlich zu dröhnen, ein Schmerz ungeahnten Ausmaßes machte sich in ihm breit, der schließlich auf ihren gesamten Körper ausstrahlte. „Aaaaaaarrrgh!!!", schrie Celosia, ihre Stimme brach. Das nun seelenlose Monstrum kippte wie ein Stück Holz nach hinten um, schlug laut auf dem Boden auf. Und auch Celosia konnte sich nicht mehr halten, sie krümmte sich, verkrampfte sich, schrie. Weinte. Und knallte dann selbst auf den harten Stein, das blutende Herz noch in der Hand.

Die Welt um sie herum war schon zuvor schwarz geworden.

Out of Hell - Die Geschichte eines uralten DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt