Panzer

59 4 0
                                    

,,Alarmstufe Rot. Ich wiederhole: Alarmstufe Rot! Killer Croc ist aus seiner Zelle ausgebrochen. Suchen Sie umgehend einen der Sicherheitsräume auf. Zögern Sie nicht, handeln Sie, und halten Sie sich von den Gängen fern!'', drang es durch die Lautsprecher des alten Gebäudes, dessen Fassade schon lange einen neuen Anstrich nötig hatte.
Auch vereinzelte Risse, waren in dem Putz an den Decken zu finden. Einige Räume, konnte man nur als baufällig bezeichnen.
Doch aller Makel zum Trotz, stand die Anstalt wie ein Fels in der Brandung auf ihrem Posten. Getragen von unnachgiebigen Säulen, die jeden Tag ihr bestes gaben, um das baufällige Gerüst aufrecht zu erhalten.
Manche der Arbeiter hatten aufgegeben, vegetierten mehr als das sie lebten, warteten auf das Ende oder ihre wohlverdiente Rente. Es gab wenige, die ihre Arbeit mit wirklicher Leidenschaft verrichteten. Doch eine von ihnen, die in jenem Moment durch jene Gänge irrte, vor denen die metallische Stimme, soeben gewarnt hatte, war Alice White.

Typisch, dachte sie sich im Stillen, das kommt davon, wenn man herum träumt, Alice, wenn man die Zeit vergisst. Du solltest dich vielleicht demnächst mal ein wenig zusammen reißen. Vorausgesetzt, du wirst den heutigen Tag überleben.
Aber sie wusste, dass dies wohl niemals geschehen würde.
Sie hatte sich, mal wieder, beim besten Willen nicht losreißen können. Das Gespräch zwischen Crane und ihr, war einfach viel zu interessant gewesen. Sie musste zugeben, dass die Dinge, die er ihr erzählt hatte, wirklich erschreckend gewesen waren, aber ebenso unendlich faszinierend. Mal abgesehen davon, dass er die ganze Menschheit in den Wahnsinn treiben wollte, war er überaus intelligent, charmant und intellektuell bewandert. Wenn sie nicht gewusst hätte, welche schrecklichen Dinge er getan hatte, hätte sie niemals für möglich gehalten, das so viel Grausamkeit in ihm verborgen lag. Aber zwischen Genie und Wahnsinn, lag schon immer ein schmaler Grad, was Alice im Laufe ihrer Karriere, ein ums andere Mal, erfahren hatte. Und dennoch, die wirkliche Persönlichkeit der Menschen zu ergründen, mit ihnen zu sprechen, zu erfahren, was sie ausmachte und sie bewegte, dass war das, was Alice seit jeher faszinierte, was sie immer wieder dazu antrieb, über den Tellerrand zu schauen, um das zu sehen, wovor die Meisten die Augen verschlossen.

Ein Geräusch zu ihrer linken schreckte sie auf, führte dazu, dass sie abrupt stehen blieb und die Ohren spitze, doch das Einzige was sie im Moment wahrnehmen konnte, war das Geräusch ihres eigenen Herzschlags. Es hämmerte gegen ihre Rippen, als wolle es sie dazu antreiben endlich los zu rennen, doch Alice wusste, dass ein solches Verhalten bei einem Wesen wie Killer Croc, die falsche Herangehensweise wäre. Sie hatte noch keine Bekanntschaft mit dem menschlichen Reptil gemacht - Dr. Arkham hatte sich, selbst nach mehrmaliger Anfrage, nicht dazu überreden lassen - aber sie wusste, dass wenn er es sein sollte, der ausgerechnet durch diesen Gang schlich, dann war jede Flucht undenkbar. Wahrscheinlich, hätte er sie schneller in Stücke gerissen, als sie überhaupt auch nur einen Fuß vor den anderen gesetzt hätte.
Also atmete sie tief durch, zwang sich sich zur Ruhe und ging langsam weiter, hoffend, dass sie sich vielleicht doch nur verhört hatte. Wurde jedoch schnell eines besseren belehrt, als sich eine riesige robuste Hand um ihren Oberarm schlang und sie herumriss. Hätte Alice etwas sehen können, so hätte sie nun in Croc's schuppiges Gesicht hinauf blicken können, der breit lächelnd sagte:
,,Hab ich dich endlich gefunden, es war nicht einfach deinen Geruch unter all dem Gestank auszumachen, dass muss ich zugeben, aber'', er beugte sich ein Stück hinab, atmete tief ein, ,,du riechst viel zu gut, als das ich jemals die Witterung verloren hätte. Ich hätte dich unter Tausenden gefunden.''

Er verstärkte seinen Griff um ihren Arm, wartete auf irgendeine Reaktion und musste gestehen, dass ihn die komplette Teilnahmslosigkeit, der jungen Frau ein wenig überraschte. Normalerweise, schrien seine Opfer bereits in jenem Moment, da ihnen klar wurde, dass er sie ins Visier genommen hatte. Aber er konnte ja nicht ahnen, was in Alice's Inneren vor sich ging.
Denk nach Alice, tu irgendetwas, wehr dich, schrei, lauf um dein Leben, es ist egal, aber tu etwas!, rief ihr Überlebensinstinkt.
Ich denke, du kannst dich jetzt damit abfinden, dass dein letztes Stündlein geschlagen hat, halt am besten einfach still, vielleicht kommt er dann nicht auf den Gedanken, mit seinem Essen zu spielen und tötet dich, kurz und schmerzlos, meinte ihr nüchterner Verstand. Alice ignorierte beide Stimmen und sagte stattdessen:
,,Sie sind Waylon Jones, nicht wahr?''
Das menschliche Reptil schnaubte. So, hatte ihn schon lange keiner mehr genannt. ,,Bevor Sie mich fressen, dürfte ich Sie vorher um einen Gefallen bitten?''
Zunächst, legte sich Croc's schuppige Stirn in Falten, doch dann lachte er, es glich dem unerträglichen Geräusch, wenn man seine Fingernägel über eine Wandtafel kratzen ließ. Seine gelben Augen leuchteten auf, so wie es aussah, schien er äußerst amüsiert zu sein.
Sie wollte vorher ein wenig spielen? Warum nicht?
,,Was willst du denn?'', fragte er, seine Stimme erklang ganz nah an ihrem Ohr, dieses Mal konnte sie hören, wie er die Luft einsog.
Croc's Maul füllte sich mit Speichel, er konnte es kaum noch erwarten seine Fänge in ihre zarte Haut zu vergraben, aber ein wenig, konnte er sich noch gedulden.
,,Darf ich'', begann sie etwas unsicher, ,,dürfte ich, nun, hm, darf ich Ihre Haut berühren?'' Das Reptil öffnete seinen Mund, schloss ihn wieder, blinzelte ein paar Mal und knurrte dann: ,,Warum?''
,,Ich würde mir einfach gerne ein Bild davon machen.''
,,Du strapazierst meine Geduld, Kleines. WARUM WILLST DU SIE BERÜHREN?''
,,Weil ich sie nicht sehen kann'', erklärte Alice. ,,Ich habe schon davon gehört, wie sie aussieht, aber ich würde sie gerne selbst berühren. Ist das schlimm? Es tut mir Leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich-''
Sanfter, als sie es jemals für möglich gehalten hätte, legte er eine seiner rasiermesserscharfen Krallen unter ihr Kinn und hob es an, stoppte damit ihren Redeschwall, und machte sich selbst ein Bild von ihrem wirren Erklärungen.

,,Du bist blind'', stellte er fest, als er Form und Farbe ihrer Augen betrachtete.
,,Ja'', hauchte Alice als Antwort. ,,Es tut mir Leid, wenn ich Sie gekränkt habe, ich wollte nicht unhöflich sein. Ich dachte nur...ich weiß auch nicht...''
Killer Croc betrachtete die junge Frau schweigend; wissend, dass sie ihn nicht sehen konnte, hatte er dennoch das sonderbare Gefühl, dass sie mit ihren grauen Pupillen, sehr viel mehr wahrnehmen konnte, als bloße Dunkelheit.
Warum er ihr letztendlich, ihre absonderliche Bitte gewährte, konnte er selbst nicht so genau sagen. Es war mit Sicherheit nicht aus Mitleid, er kannte kein Mitgefühl, keine Gnade.
Vielleicht tat er es nur aus einem einzigen Grund: Weil er zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass er eine Person vor sich hatte, die niemals über sein Äußeres richten würde, da sie es schlichtweg, einfach nicht konnte.

Also, lockerte er langsam seinen Griff, damit sie sich frei bewegen konnte und beobachtete, wie die junge Frau vorerst etwas zögerlich ihre Hände ausstreckte, um seine Haut zu berühren. Es war ein äußerst seltsames Gefühl, das ihn durchströmte, als ihre Finger über seine Schuppen wanderten. Sie war überaus vorsichtig, sanft und behutsam, als sie dessen Struktur untersuchte.
,,Fühlt sich'', sie suchte nach dem richtigen Wort, ,,sonderbar an. Aber auf eine gute Weise'', meinte sie und lächelte ihn an. ,,Sie ist so weich wie die Haut einer Schlange, aber teilweise'', ihre Finger strichen über die harten Erhebungen an seinen Unterarmen, ,,fühlt sie sich so robust an, wie ein Panzer. Ich wette, dass sie so leicht keine Kugel und kein Messer durchbrechen kann.''
Croc wollte etwas darauf erwidern, bekam jedoch nicht die Chance dazu, da in diesem Moment ein Wachmann um die Ecke gerannt kam und umgehend, mit einem Betäubungsgewehr auf ihn zielte.
,,Croc!'', rief dieser, als er die junge Therapeutin bemerkte, die sich jedoch nicht wirklich in der Gewalt des Reptils befand. ,,Ich sage es nur ein einziges Mal. Lass die Frau los und tritt drei Schritte zurück.''
Das Krokodil drehte sich nicht einmal um.
,,Und wenn ich nicht will? Was dann?''
Dem armen Kerl brach der kalte Schweiß aus.
Natürlich, war er für solche Situationen ausgebildet worden, aber wenn man dann erst einmal einem zwei Meter großen menschlichen Reptil gegenüber stand, war alles Gelernte schnell vergessen.
,,Hast du Angst?'', fragte dieses grinsend, während es sich nun doch langsam herum drehte. ,,Leugne es nicht, du stinkst danach, ich kann dich bis hierhin riechen. Und du hast auch allen Grund dazu'', zischte er und setzte in jenem Moment zum Angriff an.
Trotz seiner zitternden Hände, schaffte es der Wachmann den Auslöser zu betätigen und traf das Ungeheuer direkt in die, vergleichsweise, weiche Nackenpartie.
Killer Croc ging nicht sofort zu Boden, doch wenige Schritte von dem Mann entfernt, wurden seine Glieder immer schwerer, bis er schließlich regungslos zusammensackte.
,,Ist alles in Ordnung, Miss White?'', erkundigte sich der Mann sofort. Er war noch immer kreidebleich.
,,Mir geht es gut'', erwiderte die junge Frau und lauschte, wie ihr Gegenüber über sein Funkgerät Verstärkung anforderte. ,,Könnten Sie mir sagen, wo er nun hingebracht wird?''
,,Da wo der Dreckskerl hingehört, Miss.''


~~~*~~~


Killer Croc erwachte in einer vertrauten Umgebung, in seiner Zelle, die mittlerweile alles war, was er kannte. Der einzige wirkliche Kontakt zur Außenwelt, waren die Wärter, die ihn seine tägliche Ration brachten. Es störte ihn nicht sonderlich, er hasste die Menschen bis auf's Blut, sah sie lieber tot, als lebendig. Doch dieses Mal, als er seine Augen öffnete, war er nicht allein. Seine schmalen Pupillen, fokussierten sich auf das Gesicht jener Frau, dessen Bekanntschaft er erst heute gemacht hatte. Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln zur Begrüßung und die Worte:
,,Sie sind einige Male, beinahe wach geworden und haben ziemlich getobt, dabei haben sie sich selbst verletzt.''
Währenddessen betupfte sie einen Kratzer auf seiner linken Brust. Seine Muskeln spannten sich an, wenn er nicht fixiert gewesen wäre, hätte er die blinde Frau nun mit Sicherheit in Stücke gerissen. Wut, war für seinen jetzigen Gefühlszustand gar kein Ausdruck, er sah geradezu mörderisch aus.
,,Verschwinde!'', spie er, stemmte sich erneut gegen die Fesseln, die jedoch nicht nachgeben wollten.
Eine Konstruktion, dessen Investition sich bereits ein ums andere Mal, bewährt hatte.

Die junge Frau, schien von seinen Worten ziemlich unbeeindruckt zu sein, was ihn nur noch zorniger machte.
,,Ich hätte dich töten sollen, als ich die Chance dazu hatte'', zischte er ihr zu, beleckte seine scharfen Zähne.
Alice reckte, doch tatsächlich ihr Kinn und entgegnete unerschrocken: ,,Vielleicht hätten Sie das tun sollen, doch nun ist es zu spät. Ob es Ihnen passt oder nicht, ich werde Ihre Wunden, so oder so, versorgen. Aber wenn Sie still halten, wird es schneller gehen. Es ist Ihre Entscheidung. Ich habe den ganzen Tag Zeit, aber ich denke Sie wollen bestimmt nicht den Rest des Tages in Fesseln verbringen, oder? Also, was sagen Sie?''
Im Moment war Killer Croc ziemlich sprachlos; in einer solchen Weise, hatte sich ihm gegenüber noch keiner verhalten.
Keiner der Therapeuten, nicht einer der Wärter, hatte es jemals gewagt ihm so nahe zu kommen, ihn zu berühren, oder gar die Stirn zu bieten.
,,Glauben Sie mir, wenn ich könnte und wüsste, dass Sie mich nicht zerfleischen werden, würde ich sie Ihnen abnehmen. Aber zum Einen, wird mich Dr. Arkham dann mit hoher Wahrscheinlichkeit der Klinik verweisen, das hat er mir schon gesagt und zum Anderen, werden sich die Verschlüsse erst dann öffnen, wenn ich den Raum verlasse. Also, lassen Sie mich bitte einfach Ihre restlichen Wunden versorgen. Ich bin beinahe fertig, es ist nicht mehr viel.''
Alles in ihm, sträubte sich dagegen, sich von ihr helfen zu lassen. Aber sie hatte Recht, er wollte endlich aus diesen Ketten heraus, als musste er Wohl oder Übel mitspielen.
,,Fein!'', knurrte er und ließ die junge Frau gewähren, die ihr Wort hielt und nach kurzer sorgfältiger Behandlung seiner Wunden, wieder ihre Utensilien verstaute.

,,Ich war so frei und habe Ihnen ihre Mahlzeit bereit gestellt'', sagte sie, als sie sich langsam aufmachte um die Zelle, die in den Katakomben der Anstalt lag, zu verlassen. Doch dann wandte sie sich noch einmal in die Richtung des Reptils. ,,Ich würde gerne wieder kommen, wären Sie damit einverstanden?''
,,Warum?'', wollte der blutrünstige Mörder wissen.
,,Einfach so, ich denke so ganz allein, könnte es hier ziemlich langweilig sein. Ich könnte Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten.''
Croc's gelbe Augen wanderten über ihren Körper, als er über ihr Angebot nachdachte. Was in seinem Kopf vor sich ging, war nicht klar zu sagen, sein Gesichtsausdruck war unlesbar.
,,Vielleicht. Ich werde es mir überlegen.''
Das genügte ihr als Antwort, denn im Grunde wusste sie, dass sie sowieso wieder kommen würde.
Sie hatte schon so einiges über Waylon Jones gehört, aber nun da sie ihn selbst kennengelernt hatte, konnte sie nicht anders, als den Wunsch zu verspüren ihn und sein ganzes Wesen besser kennenzulernen.
Und sie wäre nicht Alice White, wenn sie nicht schon ein paar Ideen dafür hätte, wie sie das anstellen könnte.

DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt