Alles passiert so schnell. So viel geschieht in so kurzer Zeit. Die Stimme Something Worse’. Erinnerungen vergangener Erlebnisse. Einauge, der doch nicht gestorben zu sein scheint. Plötzlich einfach dasteht. Keine Erklärung abgibt. Und letzten Endes seine Waffe auf mich richtet.
„Was hast du vor, Einauge?“, meine Frage entspringt aus purer Verwirrung. Was geschieht hier? Komme kognitiv nicht länger hinterher.
„Ich wünschte, ich müsste das nicht tun, alter Freund“, erwidert Einauge, bevor mich das charakteristische Klicken seiner Waffe in das Hier und Jetzt zurückholt. Er hat die Pistole entsichert. Er meint es ernst. Will mich töten.
„Er schießt. Lass dich fal- nein. Das erahnt er. Spring nach hinten“, warnt mich Lars, der voraussieht, was Einauge vorhat. Tue, wie mir geheißen und setze einen Sprung nach hinten an. Schuss. Schmerzen im rechten Hüftbereich. Einauge schießt nicht dorthin, wie Lars es ursprünglich vorhergesehen hat, sondern in den ungefähren Bereich meiner fast schon überhasteten Rückwärtsbewegung. Schaue mit zusammengebissenen Zähnen nach unten. Scheint ein Streifschuss gewesen zu sein. Kleidung ist an der Seite eingerissen. Kann mich ungehindert bewegen. Schmerz zu ignorieren gehört zu meinen leichteren Übungen. Stoße mich vom Boden ab. Schnelle auf den noch immer auf mich zielenden Einauge zu. Er hat auf mich geschossen. Meint es offensichtlich ernst. Keine Ahnung, was hier los ist. Doch Verwirrung hat keinen Platz in dieser todbringenden Situation.
„Vertrau deinem Instinkt“, rät Lars in meinem Kopf. Wenn er es sagt. Einauge drückt ab. Schussgeräusch. Drehe mich im Sprint wie ein Footballspieler zur Seite, welcher einem angreifenden Gegenspieler auszuweichen versucht. Bin in Reichweite. Werfe gezielt eines meiner Skalpelle auf Einauge zu. Er verschwindet augenblicklich, nur um innerhalb eines Wimpernschlags ein Stück weiter links wieder aufzutauchen. Grinse, als meine Faust in voller Gewalt Freundschaft mit seinem Gesicht schließt. Hatte es im Gefühl, dass er sich keine große Mühe geben wird, was die Weite seiner Teleportation anbelangt.
Überraschtes Keuchen, als mein alter Freund einige Schritte zurücktaumelt. Setze nach. Zweiter Schlag trifft sein Gesicht. Der Dritte die Brustgegend. Gerade, als ich aushole für den vierten Schlag, werde ich meines festen Stands beraubt. Einauge hat sich von mir traktieren lassen, um mir im entscheidenden Moment die Beine wegzutreten. Während ich zu Boden falle, könnte ich schwören ein leichtes Lächeln im Gesicht meines Feindes erkennen zu können. Die Tränen von vorher weichen Kampfeslust. Jene Lust, wie ich sie selbst fühle. Welche ich früher schon bei Einauge beobachtet habe.Wut wird immer stärker. Will ihm nicht unterliegen. Nicht ihm. Wunsch nach Erkenntnis wird zurückgedrängt. Weicht einem dringlicheren Verlangen. Einauge muss sterben. Dieses Mal wirklich.
Als ich den Boden berühre, rolle ich mich augenblicklich zur Seite. Stoße mich vom Boden ab und stürze mich sofort wieder auf meinen Kontrahenten. Hole im Angriff ein zweites Skalpell aus meiner Manteltasche. Das hier wird nicht fliegen. Es wird sein weiches Fleisch durchdringen. Versuche vergeblich zuzustechen. Treffer auch mit meiner freien Faust zu landen. Jedes Mal gelingt es Einauge, meinen Angriffen elegant zu entgehen. Und das, ohne sich zu teleportieren. Im Gegenteil bin ich es, der Hiebe kassieren muss. Zwei ins Gesicht. Einer in die Magengegend.
Keuche. Schnappe nach Luft. Kurz ist mir schwindelig. Etwas steigt mir in die Nase. Ein überaus vertrauter, überaus wohltuender Geruch. Halte inne. Die Schusswunde. Sie hat so stark zu bluten begonnen, dass ich es rieche. Diesen wundervollen Duft. Blut. Negative Empfindungen verschwinden augenblicklich. Kribbelndes Gefühl des herannahenden Rausches steigt in mir hoch. Ist erst wie ein leises Flüstern, welches immer lauter wird.
„Scheiße“, kommt es von Einauge, dessen Stimme für mich in weiter Ferne zu sein scheint. Bekomme mit, wie er seine Pistole auf mich richtet. Sein Ausdruck hat sich verändert. Keine Angst. Keine Panik. Eiskalte Ernsthaftigkeit. Ergebe mich meinem Rausch. Lasse mich übernehmen. Der Rausch wird mich leiten. Und so setzt sich mein, von neuer Kraft beseelter Körper, pfeilschnell in Bewegung. Kann nicht anders, als währenddessen lauthals loszulachen. Schussgeräusch. Daneben. Schlage Einauge in einer flüssigen Bewegung die schwarze Waffe aus der Hand und packe ihn am freien Unterarm. Hautkontakt.
„Du teleportierst dich nirgendwo mehr hin!“, schreie ich lachend und jage meinem ehemaligen Freund mit Schmackes mein Knie gegen den ungefähren Bereich seines Magens. Die andere Hand, noch immer das Skalpell haltend, schnellt blindlings auf Einauge zu. Will sein Blut. Viel davon. Treffe auch irgendetwas. Seine Schulter. Nachdem er meine Hand vom Kurs weggeschlagen hat. Er keucht schmerzerfüllt. Bin am Lachen.
„Gib mir dein Blut, Einauge!“, brülle ich, „Gib mir Alles!“. Werde fast hysterisch. Er versucht alles, um meinem Griff an seinem Handgelenk zu entkommen. Schlägt mir mehrfach ins Gesicht. Rüttelt wie verrückt. Resultat ist ein immer lauter werdendes Gelächter meinerseits.
„Was wohl mit deinen wertvollen Kräften passiert, wenn mein Blut mit deinem in Kontakt gerät? Wollen wir es herausfinden, Verräter!?“, beginne ich zu hauchen und werde mit jedem Wort immer lauter, bis es in einen regelrechten Schrei in Einauges Ohr resultiert. Sein Auge weitet sich. Schaut mir direkt in meine. Jetzt will ich es sehen. Sein Blut. Alles davon. Stoße zu. Mit dem Skalpell. Immer und immer wieder. In alle möglichen Bereiche seines immer stärker zitternden Körpers. Lache hysterischer. Kann es sehen. Es riechen. All das Blut. Es strömt aus Gesicht, Schulter, Bauch. Arme.
„Mehr. Gib mir mehr!“, schreie ich von Sinnen und beginne mit dem Skalpell im Gesicht des sterbenden Einaugen entlang zu schneiden. Immer wieder lecke ich das wohlschmeckende Blut von der leicht erwärmten Klinge. Das verbleibende Auge meines einstigen Freundes verdreht sich ins Innere. Er ist tot. Da liegt er nun. In meinen Armen. Genieße den himmlischen Geruch des Blutes. Diesen wundervollen Geschmack. Klickgeräusch.
DU LIEST GERADE
Sleepless Genesis (Staffel IV)
HororEin Jahr ist es mittlerweile her, seit das fehlgeschlagene Ritualwesen "Reborn Sin" erledigt werden konnte. Die Welt erholt sich allmählich von der Halbapokalypse, welche der falsche Gott Something Worse zu verschulden hat. Doch aufatmen kann die Me...