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Er wünschte er könnte sich umdrehen und zu ihr gehen, doch er konnte nicht. Er hatte ihr Dinge gesagt, die er nicht zurück nehmen konnte.
Sein Vater hatte ihm gesagt, dass es das nicht gab. Entscheide dich und bleibe dabei, hatte er immer gesagt.
Sörens Vater war ein ehrenvoller Mann gewesen. Doch das erste Mal in seinem Leben wollte er nicht, dass sein Vater recht hatte.
Er lief und ihm war egal wohin. Vielleicht würde er zu Ostküste reisen? Dort war er noch nie. Er wollte wissen, ob das Meer dort anders war. 
Doch er wollte mit ihr dorthin. Es war ihm egal wohin. Er merkte auch nicht wie lange er lief. Er lief, machte kurze Pausen aber nur um etwas zu essen, nicht weil er sie brauchte. Er wollte Freya. Sein Kopf machte ihn verrückt. Ständig sah er ihr Bild. Wie er sie kennengelernt hatte. Doch jetzt hatte er sie endgültig verloren. Niemals wieder würde er sie berühren. Niemals wieder würde sie ihn wollen. Da war er sich sicher. Auch wenn eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf ihm hoffnungsvoll zurief. Sören aber ignorierte es. Jetzt war es zu spät.
Seine Füße trugen ihn seit nun mehr fünf Tagen durch den Schnee. Seine Glieder heuchelten nicht einmal den Eindruck als wären sie Erschöpft. Sie wollte den größten Möglichen Abstand zwischen sich und diese Frau bringen.
Seine Gedanken hingen ihrem eigenen Rhythmus nach. Selbst als der Schnee nachließ und Sören merkte, dass es wärmer wurde klärten sie sich nicht.
Er wollte einen Kampf. Er glaubte, dass das ihm helfen würde sich abzulenken. Doch wahrscheinlich war das keine gute Idee, da Sören seit Tagen nicht mehr nach seinem Schwert gezogen hatte. Er war vielleicht etwas eingerostet. Ein weiterer Grund zu kämpfen. Dachte Sören bitter.
Zu spät hörte er die stimmen. Zu spät spürte er den Schmerz. Seine Knie knickten unter ihm ein. Keuchend fiel er in den Schnee. Seltsame Ruhe spürte er bei dem Gedanken, das er nun sterben würde. Er war froh, dass er Freya wenigstens einmal gesehen hatte. Sie berührt hatte. Sie geküsst hatte. In seinen Träumen wäre sie da und wartete auf ihn.
Doch es war nicht Freyas schönes Gesicht das er als letztes sah. Es war die Fratze eines ungepflegten und blutdurstigen Mannes. Einen der Barbaren, nach denen er gesucht hatte.

Sören blickte durch die Taverne. Sie war voll und die Stimmung ausgelassen. Aus seinem Augenwinkel, erhaschte er einen Blick auf das roteste Haar, das er je gesehen hatte. Dann erkannte er wie der Mann, der auf der anderen Seite des Raumes saß, ihr an den Hintern packte. Sören war kein Ritter in strahlender Rüstung, doch er machte sich innerlich bereit, um den betrunkenen Kerl in seine Schranken zu weisen.
Doch das schien nicht nötig zu sein. Sie packte seine Hand und griff nach einem Messer, das unter ihrem Mantel versteckt gewesen war. Mit ihrer rechten Hand hatte sie das Messer direkt zwischen seine Finger niederfahren lassen. Er lachte auf. Ignorierte die Blicke von Eugen und dem Rest seiner Männer.
Das Gesicht des jungen Mannes amüsierte Sören. Er sah aus als würde er sich gleich in die Hosen machen. Zum ersten Mal war er wirklich beeindruckt von einer Frau.
Sie beugte sich über ihn, schien etwas zu sagen, drehte sich um und stolzierte davon. Das Messer immer noch im Tisch. Der blonde Mann blickte ihr nach.
Sören war eigentlich eher gelangweilt von dieser Gegend. Er konnte nichts dagegen tun, als sich nach dieser Frau umzudrehen. Ihre Feuerroten Haare ließen ihr Temperament nur erahnen. Und Sören fühlte einen seltsamen Drang ihr zu folgen. Der blonde Kerl blickte auf das Messer hinab und dann der Frau hinterher, die gerade den Raum verlassen hatte. Und Sören konnte nichts anderes tun als brüllend loszulachen.

Sein Kopf drohte zu explodieren. Stöhnend setzte er sich auf. Sören machte langsam die Augen auf. Mit seiner rechten Hand fasste er sich an den Kopf. „Mist." Flüsterte er.
Neben sich nahm er eine Bewegung wahr. Augenblicklich veränderte sich seine Position so dass er sich hätte verteidigen können. Auch wenn sein Körper ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Jeder Teil seines Körpers schmerzte. Leise stöhnte er wieder auf.
Neben ihm tauchte eine Hand aus dem dunklen auf. Sie hielt einen Trinkschlauch, der ihm angeboten wurde. Dann sah er den Besitzer der Hand. Ein Mann stand vor ihm.
Er hatte braune Haare. Obwohl man sah, dass er ein Krieger war, war er abgemagert und sah erschöpft aus. Sein Gesicht sah ernst aus.
Doch er sah gleichzeitig friedlich aus. Er sah verloren aus. Gebrochen. Blutergüsse und Schrammen zeichneten sich deutlich von seiner fahlen Haut ab. Er hatte breite Schultern und eine kräftige Statur. Doch sie war eingefallen. Sören sah sich um und sah Männer auf dem Boden liegen. Sie schliefen.
Sie sahen alle dem Mann, der vor ihm stand, unglaublich ähnlich. An den Wänden hockten aber auch Männer die sich kaum rührten. Nur das Atmen konnte man sehen. Ihre Leiber hoben und senkten sich. Sören saß im Dreck. Doch es war sandiger Dreck. Kein schlammiger Waldboden. Wo war er? Er war nicht mehr in den immergrünen Ebenen und er vermutete, dass es auch nicht mehr die dunklen Ebenen waren. 
An seinem Rücken spürte Sören, wie Holz sich in ihn hineinbohrte. Und er sah sich um. Erkannte das er in einem hölzernen Käfig saß. Und wenn er weiter sah erkannte er noch mehr solcher Käfige. Reihe an Reihe. Er konnte nicht sagen, wo sie endeten. Und sie alle schienen gefüllt mit Menschen. Doch Sören sah nur Schwärze. Schwarze Silhouetten in der schwarzen Nacht. Und obwohl es hunderte Menschen sein mussten, war es unglaublich leise.  Still. Totensill. 

FREYA - Im Auge des Sturms (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt