Kapitel 7 | An old friend

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Als ich nun mit Yeosang vor unserer Klassentür stand, wunderte ich mich kurz über die Zahl, die daneben stand, doch dann fiel mir wieder ein, dass wir ja nach den Sommerferien in die Abschlussklasse gekommen waren. Wie schnell die Zeit doch vergangen war. Ängstlich schaute ich zu Yeosang. Was würde mich wohl erwarten, wenn ich diese Tür öffnen würde? Meine Beine fingen an zu zittern, mein Herzschlag beschleunigte sich und im gleichen Moment schimpfte ich mich einen Narren. Ich war so ein jämmerlicher Angsthase.

Mit einem gezwungenem Lächeln blickte ich noch ein Mal zu meinem besten Freund, welcher mir aufmunternd zunickte, ehe ich die Tür, die mir ungewollt große Angst einjagte, öffnete. Als ich mit wackeligen Schritten langsam die Klasse betrat, wurde es ganz still und die Aufmerksamkeit aller Schüler lag nun auf mir. Gott, fühlte ich mich unwohl. Warum hatte ich mich nochmal dazu entschieden, zur Schule zu gehen?
Ich biss mir auf die Unterlippe und wollte mich gerade auf den Weg zu meinem gewohnten Platz machen, da sprang mir doch glatt jemand in die Arme und umarmte mich so stark, dass ich fast keine Luft mehr bekam.
,,Wooyoung! Gott, bist du groß geworden! Ich hab dich ja so vermisst!"
Nein. Diese Stimme. Das war doch nicht wirklich-

,,Ahri?"
,,Richtig erkannt! Die bin ich!"
So stark ich auch dagegen ankämpfte, doch nun liefen mir Tränen der Freude die Wangen hinunter. Sie war es wirklich.
,,Überraschung!"
Ahri und Yeosang mussten nun grinsen und schauten im nächsten Moment abwartend zu mir, wobei sich Ahri eine ihrer rosagefärbten Haarsträhnen aus dem Gesicht strich.
,,Aber, aber! Du musst doch nicht gleich weinen!"
Mit einem Kichern, welches ich so unendlich vermisst hatte und von dem ich gedacht hatte, es vielleichtnie wieder hören zu dürfen, wischte sie mir die Tränen aus dem Gesicht.
,,Ahri, was machst du hier?"
Während die Klasse das Schauspiel immer noch schweigend beobachtete, hatte ich mich nun wieder ein bisschen gesammelt und musterte sie von Kopf bis Fuß. Abgesehen von den gefärbten Haaren sah sie noch genauso aus wie früher. Sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper, legte den Kopf etwas schief und fing an zu grinsen. Selbst die Grüppchen sahen bei ihr immer noch genauso niedlich aus. 
,,Hatte kein Bock mehr, da waren nur noch Oberschichtler und Angeber und als meine Besti dann auch noch abgegangen war, hab ichs dort nicht mehr ausgehalten und hab mich absichtlich verschlechtert hihi. Meine Eltern fanden das eher nicht so prickelnd und haben mich zur Strafe auf diese Schule geschickt und Tadaa so ist mein Plan aufgegangen."
Ein weiteres Kichern erfüllte den immer noch stillen Raum. Wie ich dieses Kichern doch liebte. Ahri war immer die Fröhlichkeit in Person gewesen und es erleichterte mich gewaltig, dass sich daran nichts geändert hatte. Als wir klein waren, waren wir immer unzertrennlich gewesen. Wir haben alles zusammen gemacht und Niemand konnte uns trennen. Doch am Ende der Grundschule kam alles anders. Ihre Eltern waren schon immer streng gewesen und wollten immer, dass ihr Kind das beste in allem war. Und so schickten sie Ahri auf eine Privatschule der Elite in einem anderen Stadtviertel. Wir beide hatten bei dem Abschied viel geweint und obwohl wir uns versprochen haben, weiterhin Kontakt zu haben, hatten wir uns dann irgendwann aus den Augen verloren. Umso mehr freute ich mich nun, sie endlich wiederzusehen.

,,Guten Morgen. Was ist denn hier los? Wooyoung, gut, dass du wieder da bist. Den Schulstoff holst du aber bitte nach, ja?"
Ich nickte und begab mich danach schweigend auf meinen Platz neben Yeosang. Ahri setzte sich zu den Mädchen in die hinterste Reihe, welche die ganze Zeit über das Schauspiel geschockt beobachtet hatten.
,,Du bist mit dem da befreundet?"
Hörte ich eines der Mädchen hinter mir sagen, wobei sie nicht nur ,,dem da", sondern den ganzen Satz angeekelt betonte.
,,Du weißt aber schon, dass der ne Schwuchtel ist, die als Hobby Enten füttert, oder?"
Ich musste bei dem Wort zusammen zucken. Ja, ich kannte diese Wörter und musste sie bereits schon viel zu oft in meinem Leben hören, doch taten sie jedes Mal aufs Neue wieder weh. Besonders die Mädchen machten oft homophobe Bemerkungen, wohingegen die Jungs einfach nicht mehr mit mir redeten und mich so behandelten, als wär ich Luft. ,,Wooyoung ist-"
,,Schwul, ja."
Ich wollte das nicht. Es war nicht nur der ganze Hass meiner Mitschüler. Jetzt outeten mich auch noch homophobe Zicken vor meiner früheren, sonst so verständnisvollen besten Freundin. Und wie sich ihre Reaktion angehört hatte, war sie wohl nicht sehr erfreut darüber gewesen. Ich drückte den Kugelschreiber in meiner Hand so stark, dass meine Knochen schon sichtbar wurden und gleichzeitig rechnete ich mit der Kündigung unser Freundschaft, welche gerade erst wieder begonnen hatte. Beruhigend strich mir Yeosang über den Rücken und schenkte mir einen Blick, der soetwas wie sie-wird-schon-nicht-schlimm-reagieren
aussagen sollte.
,,Aber...was habt ihr denn? Ich meine, Enten füttere ich auch gerne und wir stehen doch auch auf Jungs, wo ist denn da das Problem? Habt ihr Angst, er könnte euch euren Crush wegschnappen?"
Ein Lachen, welches mein vor Angst rasendes Herz, wieder normal weiterschlagen und mich erleichtert aufatmen ließ, erfüllte den Raum.
,,Ahri, du kannst gleich weiterlesen!"
Da sie gut in Multitasking war, hatte Ahri genau aufgepasst und fing direkt damit an, an der richtigen Stelle weiterzulesen, was unseren Geschichtslehrer sichtlich zum Staunen brachte.

Als ich mich nun wirklich erleichtert weiter auf den Unterricht konzentrieren wollte, wurde ich erneut abgelenkt, diesmal von einem gewissen Yeosang, welcher mir in einer stummen Konversation unbedingt noch mitteilen musste, dass ich mir völlig umsonst Angst gemacht hab und dass er mal wieder recht hatte. So war er halt, aber das wirklich Gemeine daran war, dass er tatsächlich immer Recht hatte.

𝑪𝒂𝒖𝒈𝒉𝒕 𝒊𝒏 𝒂 𝒅𝒓𝒆𝒂𝒎 ✰ Woosan✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt