kapitel sieben: kalte nächte, heißes feuer

4 1 0
                                    

Am selben Tag, jedoch einige Stunden später wurde Elli im Gang abrupt von Cynthia aufgehalten. Diese griff nach ihrem Arm und hielt Elli grob fest, während sie ihr geheimnisvoll mit gesenkter Stimme offenbarte:

„Elli, warte. Mr. Barnaby hat ein Sondertreffen unserer Projektgruppe angekündigt. Es ist wohl inoffiziell, da sich Lehrer ja eigentlich gar nicht einmischen dürfen. Also, Mittagspause, Klassenzimmer 5 im oberen Stock, sag allen anderen Bescheid die du triffst!" Elli nickte nur kurz und machte sich dann auf den Weg in den Innenhof, um Chloe und Nele die aufregenden Neuigkeiten zu unterbreiten.

„Was will er von uns?", dachte sie, „Hat er vielleicht rausgefunden, was wir so zu sehen bekommen? Wird er das Projekt einschränken? Oder gar abbrechen?"

Elli schauderte bei dem Gedanken daran. Nein, es durfte nicht enden. Sie hatte bisher zwar viel, aber laut ihres Instinkts noch zu wenig gesehen. Es musste noch mehr geben, mehr Geheimnisse, die die Lichtregierung vor ihnen vertuschen wollte. Mehr Unstimmigkeiten, die sich allem entgegenstellten, was sie je über ihr Land gelernt hatte. Mehr Informationen, die ihr Weltbild zerstören würden. Obwohl, zerstört war es eigentlich schon.

Das Ereignis, dem ihre damals noch unschuldigen Augen Zeuge wurden, hatte ihre Realität ins Wanken gebracht, bis sie vor ihren Augen in sich zusammenbrach. Von nun an erweiterte sich ihr Bild von [insert Landname] sich lediglich, wie neue Pflanzen aus der Asche entstanden neue Ideen, Gedanken und Tatsachen auf den Ruinen ihres alten Weltbilds. Voller Schmerz dachte sie zurück an diese Nacht, an der sie so unbekümmert alles geglaubt hatte, was man ihr vorgesetzt hatte. Aber letzendlich war alles doch so künstlich wie das Kantinenessen oder die Plastikbäume.

Sie dachte oft daran, was aus diesen Menschen geworden war, ihre schreienden, zu einer Maske aus Furcht und Schmerz verzerrten Gesichter verfolgten sie bis in ihren Schlaf. Und das Feuer, die alles verschlingenden Flammen, raubten ihr selbst im Traum den Atem und füllten ihre Lungen mit Rauch, ihre Augen mit Tränen.

Elli setzte sich auf eine der Bänke im Innenhof und da sie Chloe und Nele nirgends erblicken konnte, entschloss sie sich, das ganze noch einmal durchzugehen. Vielleicht hatte sie doch ein Detail verpasst, vielleicht waren die Taten der Funken doch gerechtfertigt gewesen? Als sie merkte, was sie da dachte, musste sie fast grinsen, so absurd waren ihre Versuche, Ausreden für das zu finden, was sie gesehen hatte. Ihre letzte Hoffnung, an die sie sich die letzten paar Wochen noch hartnäckig geklammert hatte, erschien ihr lächerlich.

Dennoch gab sie der kleinen, dünnen Stimme in ihrem Kopf doch nach, die sie aufforderte, sich nochmals genau zu erinnern und vielleicht doch eine Rechtfertigung zu finden. Sie schloss die Augen.

Als sie die Augen öffnete, befand sie sich nicht mehr auf dem Innenhof der Schule, sondern in ihrem Zimmer. Elli sah sich selbst, wie sie, noch ahnungslos an ihrem Schreibtisch saß und mit einem Blick auf den Bildschirm das verhängnisvolle Wort sprach: „Weiter."

Das Bild wechselte und zeigte ein kleines, aber gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, in dem sich vier Personen befanden. Die Ähnlichkeit dieser war nicht zu leugnen, sie besaßen alle dieselben rabenschwarzen Haare und elegant geschwungenen Gesichtszüge. Die Mutter saß auf dem eingerissenen Ledersofa und umklammerte ein Kissen mit selbst gehäkeltem, farbenfrohen Bezug. Ihr runder Bauch wölbte sich unter dem vielfach geflickten Kleid, sie musste bald vor der Entbindung stehen. Der Vater tigerte unruhig durch das Zimmer, wirkte sehr nervös und sagte schließlich mit zitternder Stimme:

„Ich hätte das nicht tun dürfen. Ich hätte mich nie dem Untergrund anschließen dürfen, ich habe euch alle in Gefahr gebracht. Ich dachte sie erwischen mich nicht, ich dachte ich wäre vorsichtig genug. Ich wollte doch nur genug Lohn, um euch zu versorgen. Aber nach gestern Nacht... bin ich mir nicht mehr sicher."

the watcherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt