Neues Land

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Shirayuki öffnete die Augen. Müde blinzelnd rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und begann zu lächeln, als die Erinnerungen an den gestrigen Tag langsam wiederkamen. Es war ein sehr ereignisreicher, nervenaufreibender und vor allem beängstigender Tag gewesen, doch Shirayuki spürte sofort wieder dieses angenehme Ziehen in der Magengegend, als sie daran dachte, wie sich der Tag dann noch entwickelt hatte, was am Abend noch geschehen war. Plötzlich wurde ihr ganz heiß, ihre Wangen fühlten sich an als würden sie glühen und sie wagte kaum die Augen zu öffnen, als sie sich langsam in ihrem Bett auf die andere Seite drehte. Tatsächlich - da lag er, friedlich schlafend. Alle Röte wich ihr aus den Wangen als sie mit sanftem Blick beobachtete, wie sein Atem eine Strähne seiner wunderschönen Haare bewegte, deren außergewöhnliche Farbe sie so sehr liebte.

------ 48 Stunden zuvor -------

„Fräulein? Fräulein sind Sie wach?" Obi klopfte mehrmals an die Tür der rothaarigen Hofapothekerin. „Fräulein es ist mir sehr unangenehm, Sie wecken zu müssen, aber wir müssen los! Die Kutsche nach Tanbarun fährt in einer halben Stunde los - und sicher wollen Sie sich noch vom Prinzen verabschieden", fügte Obi schmunzelnd hinzu. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Tür des Fräuleins öffnete und sie – zu seiner Überraschung – schon vollständig bekleidet in den Flur trat. „Guten Morgen Obi!" Ihm wurde warm ums Herz bei dem Anblick ihres strahlenden Lächelns und dem Klang ihrer Stimme, während sie seinen Namen sagte. „Wollen wir aufbrechen?" – „Aber selbstverständlich mein Fräulein, lassen Sie mich Sie zur Kutsche begleiten." Er bot ihr seinen Arm an und Shirayuki hakte sich lächelnd bei ihm ein.
„Zen!" Obi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Natürlich hatte sie, als sie um die Ecke bogen, seinen Arm auf der Stelle losgelassen, um auf den zweiten Prinzen des Königreichs Clarines zuzurennen, sobald sie sein weißes Haar erblickt hatte. Ein doppelt so breites Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Prinzen aus, als die rothaarige Schönheit auf ihn zu rannte und er begrüßte sie, während er seine Hand auf ihren Kopf legte und sie sanft anblickte. Obi entfernte sich rücksichtsvoll, damit sie sich in Ruhe verabschieden konnten und beschloss, in der Zwischenzeit noch einmal die Kutsche und die Pferde zu kontrollieren, um sicherzugehen, dass alles bereit und sicher war für die Reise des Fräuleins. Als er damit fertig war, drehte er sich um und sah die Beiden auf sich zukommen. ‚Irgendetwas ist anders...', dachte sich Obi. Sein Verdacht bestätigte sich, als Mitsuhide und Kiki ebenfalls erschienen und eindeutig mehr Gepäck mit sich trugen, als für zwei Personen nötig gewesen wäre. Zen trat zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter. „Obi, mein treuer Bote, sieht so aus als hätten wir endlich mal wieder einen Ausflug zusammen! Mitsuhide und ich werden euch nämlich begleiten!" Obis Augen weiteten sich. Das war ungewöhnlich. „A-aber Prinz, was soll denn aus dem Schloss werden, wenn ihr es so ganz unbewacht zurücklasst?" Zen lachte. „Ganz unbewacht? Na hör mal Obi, man könnte ja glatt das Gefühl bekommen, du zweifelst an meiner Kompetenz! Ich habe natürlich dafür gesorgt, dass die Wachen genauestens Bescheid wissen, wie sie sich aufzustellen haben. Außerdem ist ja mein Bruder noch hier und Kiki bleibt auch in Clarines, um die Stellung zu halten." Obi verbeugte sich vor dem Prinzen. Auch wenn er den Grund für die Entscheidung noch nicht verstand, respektierte er sie und verspürte auch ein Gefühl von Dankbarkeit. Jeder zusätzliche Schutz für das Fräulein konnte ihm nur recht sein. Und so schwang er sich auf sein Pferd, während Shirayuki sich von Zen beim Einsteigen in die Kutsche helfen ließ. Kiki, Ryuu, Schlossapothekerin Garack und Yatsufusa winkten Ihnen noch so lange nach, bis sie sie nicht mehr sehen konnten (auch wenn er bezweifelte, dass Yatsufusa das überhaupt je gekonnt hatte). Obi versuchte, das schon den ganzen Morgen anhaltende, flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren und darauf zu vertrauen, dass die Reise schon gut verlaufen würde, aber irgendwie wollte ihm das diesmal nicht so recht gelingen.

Mitsuhide rieb sich die Augen. Sie waren am Tag zuvor am späten Abend in Tanbarun angekommen, mit schweren Beinen vom Reiten und erschöpft von der langen Reise, hatten sich von Prinz Raji Shenazard ausgiebigst und theatralischst begrüßen lassen und waren sodann, als sie ihn hatten höflich abwimmeln können, erschöpft in ihre Betten gesunken. Dennoch war Mitsuhide an diesem Morgen sehr früh aufgestanden, um sich ein Bild von der Lage im Schloss zu machen. Schließlich war es seine Aufgabe als Leibwächter, auf alles vorbereitet zu sein und zudem hatte ihm sein starker Drang, Prinz Zen zu beschützen und ihn vor jeglichen Gefahren zu bewahren in diesem fremden Königreich in unbekannter Umgebung an einem langem und vor allem tiefen Schlaf gehindert. Wie sonst auch verspürte er sofort ein unangenehmes Gefühl in der Brust beim Gedanken daran, dass Zen etwas passieren könnte. Er hatte sich inzwischen schon an die Intensität seines eigenen Beschützerinstinktes gewöhnt und vermied es daher, sich näher mit der Frage zu beschäftigen, weshalb dieser so stark ausgeprägt war. Sicher, die Menschen um ihn herum waren ihm im Laufe der Zeit alle ans Herz gewachsen und er wollte jeglichen Schaden von Ihnen abwenden und ja, die Tatsache, dass seine Sorgen sich am allermeisten um Zen drehten rührte sicher daher, dass er ihn von allen am längsten kannte und die Sicherheit des Prinzen ihm höchstpersönlich anvertraut worden war. Dennoch traf zumindest ersteres auch auf Kiki zu und auch wenn er sich natürlich auch um Kiki sorgte – er wäre nicht Mitsuhide wenn es nicht so wäre – fühlte sich das irgendwie... anders an.
Er verscheuchte den Gedanken daran wie üblich und machte sich auf die Suche nach Zen. Sicher würde er ebenfalls schon wach sein. Mitsuhide lächelte beim Gedanken an das Verantwortungsbewusstsein und die Disziplin des Prinzen. Nachdem er höflich geklopft hatte öffnete er vorsichtig die Tür zu Zens Schlafgemach und Mitsuhides gut durchtrainierte Brust schwoll vor Stolz auf die doppelte Größe an, als er seinen weißen Schopf fleißig über Karten und Papiere gebeugt am Schreibtisch sitzen sah. Er trat leise zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter, um den konzentrierten Zen auf sich aufmerksam zu machen. Zu seiner Überraschung zuckte dieser jedoch heftig zusammen, riss den Kopf herum und starrte Mitsuhide für eine Sekunde lang mit großen Augen an, bevor er sich ruckartig wieder umdrehte und hastig die auf seinem Tisch verteilten Blätter wild übereinander warf und in Schubladen stopfte, während er Dinge murmelte wie „Ähm das lag schon.. das war.. ich hab nur... man weiß ja ni-... nur aus Interesse.. nicht für mich". Als er damit fertig war, wandte er sich schnell wieder zu seinem Leibwächter um und fragte in einem Ton, der wohl das vorherige Verhalten vertuschen sollte: „Na, Mitsuhide, w-was führt dich so früh zu mir? Läufts gut, ja?" Mitsuhide, der sich überhaupt nicht erklären konnte, was da eben vor sich gegangen war, blickte Zen nur besorgt an. „Z-zen, ist... alles in Ordnung mit dir?" „Jaaa es ist wirklich alles gut, mach dir nicht so viele Sorgen", fauchte Zen in einem Ton, den der Ritter von ihm absolut nicht gewohnt war. Um das darauffolgende peinliche Schweigen zu beenden, beschloss Mitsuhide schlicht, das Thema einfach abzuhaken und zum normalen Tagesgeschäft überzugehen, indem er mit seinem Prinzen den Ablauf des heutigen Tages in Tanbarun besprach und schon bald war der merkwürdige Vorfall vergessen, auch wenn Mitsuhide sich vornahm, ein Auge darauf zu behalten ob Zen vielleicht etwas beschäftigte und ob er ihm seine Hilfe anbieten könnte.

Obi war außer sich vor Wut. „Ihr habt WAS???!!" Er wusste, dass es sich für ihn als simplen Boten nicht gehörte, in so einem Ton mit dem ersten Prinzen des Königreichs Tanbarun in so einem Ton zu sprechen, aber das war ihm in diesem Moment absolut egal. Der sonst in jeder Situation beherrschte, ruhige Obi, der sogar in den größten Gefahrenlagen stets noch einen schlagfertigen und frechen Spruch auf den Lippen hatte, konnte sich nun kaum kontrollieren. Sein Arm schnellte nach vorne und er packte Prinz Raji an seinem Hemd und zog ihn bis auf wenige Zentimeter vor sein Gesicht heran. „Sagt mir nochmal. ganz. genau. was passiert ist." Obis Stimme klang eiskalt, doch seine katzenhaften gelben Augen blitzten feurig. „I-ich hab dir doch schon- ich.. weiß nicht..", stotterte Raji, die Augen sperrangelweit aufgerissen und mit einer riesigen Schweißperle oben links auf der Stirn. Er konnte seinen Satz jedoch nicht beenden, da (sehr zu Rajis Erleichterung) in diesem Moment Prinz Zen und Sir Mitsuhide auf die beiden zueilten. „Obi! Was in aller Welt machst du da?!", rief Zen. Obi biss die Zähne zusammen, schloss kurz die Augen und setzte dann den strampelnden Raji ab. Langsam wandte sich Obi zu Zen um und blickte ihn ernst an. Er holte Luft. „Shirayuki ist verschwunden."

Der wahre PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt