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Ich stehe im Badezimmer. Vor mir befindet sich ein großer Spiegel. Und in dem Spiegel ein menschliches Wesen, weiblich und groß. Ihre Haare sind pechschwarz, ihre Augen dunkelbraun und ihre Haut weiß, fast so weiß wie die Fliesen an der Wand des Badezimmers. Ihr Körper ist spindeldürr. Sie ist hübsch, aber auf eine hässliche Art. Ihre Augen liegen tief in den Höhlen und ihre Wangenknochen stehen fast schon auffallend hervor.

Es ist gerade diese Schönheit, die sie zum Hassen bringt. Denn die Schönheit entält eine unvorstellbare Hässlichkeit tief im Inneren verborgen.

Das Mädchen greift nach der Rasierklinge, die auf dem kleinen runden Tisch neben ihr liegt.

Sanft fahre ich mit der Klinge über die weiche Haut an meinem Unterarm. Erst ein Schnitt, dann immer mehrere. Es ist schon zur Gewohnheit geworden, sodass ich kaum Schmerzen verspüre. Ich will es einfach nur zerstören, dieses Etwas im Spiegel. Sie hat diese Schönheit nicht verdient. Sie verdient es, bestraft zu werden, schon allein für ihre Existenz.

Warm und rot, wie ein roter Bach fließt das Blut meinen Arm hinunter, tropft auf den Boden und hinterlässt rote Farbkleckse. Ich werde es aufwischen müssen, schaue aber erst einmal fasziniert dabei zu, wie das Blut aus der Haut kommt.

Mit dem Blut kommen auch all die Sünden und die zurückgehaltenen und vergossenen Tränen der letzten Jahre aus mir heraus. Es ist mein persönliches Ritual der Beichte. Möge Gott mir vergeben, dass ich den Beichtstuhl durch mein Ritual ersetzt habe. Schon allein für das, was ich gerade mache, werde ich wahrscheinlich in die Hölle kommen. Doch selbst das ist egal. Denn ich weiß schon, wie sich die Hölle anfühlt. Nichts ist schlimmer als ein wertloses Leben. Und nichts ist schlimmer als dieses wertlose Leben leben zu müssen.

Ich hebe den Kopf und schaue das Mädchen im Spiegel an. Sie sieht auf eine seltsame Art gefühllos aus, was mir etwas Angst macht. Doch dieses Mädchen ist die einzige, die mich versteht. Denn nur sie weiß wie es sich anfühlt, von der Welt verlassen worden zu sein. Wie es sich anfühlt, dem eigenen Spiegelbild mit nichts als Hass begegnen zu können.

Sie versteht als einzige den immer stärker werdenden Wunsch, die Welt der Lebenden für immer zu verlassen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 02, 2015 ⏰

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