Freak?

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Nach einer recht kurzen Fahrt stand ich dann auch schon vor Nialls Haustür und hoffte einfach darauf, dass niemand bemerkt hatte, dass ich nicht mehr im vereinbarten Bereich geblieben war. Aber mal im Ernst, interessierte doch eh keinen. Jedenfalls duftete es köstlich, als Niall mir mit einer Schürze über seinem T-Shirt die Wohnungstür öffnete und sich einen Saucenspritzer aus dem Mundwinkel wischte. ,,Hey Natalie", begrüßte er mich mit einem strahlenden Lächeln (was auch immer der Grund dafür war) und drückte mich kurz, bevor er einen Schritt zur Seite trat, ,,Komm doch rein."

,,Danke", murmelte ich etwas verwirrt vor mich hin, ,,Ehm, wo kann ich meine Schuhe abstellen?"

,,Einfach irgendwo, wo Platz ist", kam es nur zurück, ,,Wollen wir auf der Couch essen oder am Tisch?"

,,Couch hört sich gut an", antwortete ich immer noch verwirrt. War ich in einem Paralleluniversum gelandet? War ich vielleicht in einen anderen Körper gebeamt worden?!?!

,,Dann geh doch schonmal nach links rüber ins Wohnzimmer, Essen kommt sofort!", rief Niall von rechts, wo dann wohl die Küche sein musste, aus der auch der köstliche Duft kam.

Als ich das Wohnzimmer betrat, glaube ich erst recht, mich in einem Paralleluniversum zu befinden! Alles war einfach nur riesig! Auf die Couch hätte wahrscheinlich sogar Hulk drauf gepasst, der Fernseher war so groß, wie der Tisch im Esszimmer bei mir zu Hause und der Couchtisch war definitiv kein günstiges Modell! Sowas hatten Papa und ich auch alles zu Hause, aber diese Couch war die größte und gemütlichste Couch, auf der ich je gesessen habe!

Ich hatte richtig Angst, einen Fleck zu verursachen, als ich die dunkle Sauce auf den Tellern erspähte. 

Aber mir lief beim Anblick und Duft schon das Wasser im Mund zusammen.

,,Was ist das?", fragte ich und versuchte etwas zu erschnüffeln, ,,Irgendwas mit Bratensauce und Kartoffelbrei?"

,,Jep", erklärte Niall es mir, ,,Colcannon mit Hühnchengeschnetzeltem. Colcannon ist ein traditionelles irisches Gericht, quasi Kartoffelbrei mit Grünzeug. Magst du sowas?" ,,Hab sowas noch nie gegessen", musste ich gestehen, ,,Aber es riecht köstlich und sieht auch köstlich aus! Danke nochmal, dass du mich eingeladen hast." 

,,Sehr gerne", erwiderte Niall darauf und reichte mir einen der Teller und eine Gabel, ,,Ich fand den Abend mit dir gestern sehr schön."

,,Ich hatte auch einen schönen Abend", stimmte ich ihm natürlich zu, ,,So lange wurde ich noch nie nicht als Freak bezeichnet."

,,Wieso sollte dich jemand als Freak bezeichnen?", fragte Niall mich verwundert, während ich mich in dieses Colcannon verliebte. Es war einfach himmlisch! Würzig-gemüsiger Kartoffelbrei, ich glaubte nicht, jemals etwas besseres gegessen zu haben. ,,Sekunde, ich verliebe mich gerade in dieses Colcannon", seufzte ich deshalb selig und genoss eine weitere Gabel. Niall lachte und meinte dann: ,,Also in meinen Augen bist du ein ganz normaler Mensch, da ist kein Freakaspekt zu finden."

,,Es liegt an meinen Augen", erklärte ich es ihm und war in der Zwischenzeit diesem Essen auf ewig verfallen, ,,Kein Mensch hat so abartig leuchtend hellblaue Augen, nicht mal Ian Somerhalder. Das ist einfach nur abartig."

,,Mir gefällt die Farbe", sagte Niall doch allen Ernstes.

,,Das sagst du doch jetzt nur, damit ich mich besser fühle."

,,Nein, ich mag sie wirklich. Erinnert mich an das glasklare strahlend blaue Meer in Cape Town. Keine Ahnung, was das für ein Ozean ist, aber um Cape Town rum sieht es wunderschön aus. Deine Augen haben genau das gleiche Blau."

,,Jetzt übertreibst du aber", nuschelte ich, den Mund voller Colcannon. 

Wie kann etwas so gut schmecken?

,,Nein, wirklich nicht!", beteuerte Niall, während ich rot wurde, ,,Ich finde diese Farbe wunderschön, sowohl bei diesem Meer, als auch bei deinen Augen. Aber bei deinen Augen gefällt sie mir noch ein kleines bisschen besser. Anderes Thema, weißt du schon, was du nach der Schule machen willst?"

,,Nein, nicht wirklich", erzählte ich Niall, ,,Ich würde gerne erstmal ein bisschen rum reisen und mir die Welt ansehen, vielleicht komm ich dabei auf Ideen."

,,Du musst doch als Kind mal einen Wunsch gehabt haben."

,,Ich wollte eine Zeit lang Model oder Schauspielerin werden, in dieser Phase war ich komplett in Cara Delevigne verschossen. Aber das hab ich wieder verworfen. Danach kam meine pädagogische Phase, aber nur bis ich ein Praktikum in einer Kita gemacht habe. Zur Zeit hab ich keine Vorstellung, was ich machen könnte."

,,Und was machen deine Eltern so beruflich?"

,,Mein Paps ist Herz-Torax-Chirurg und meine Mutter war Kinderchirurgin."

,,War?"

,,Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Es hieß entweder ich oder sie, Paps und sie haben sich für mich entschieden und dafür, das beste zu hoffen. Hat nicht so ganz geklappt. Immerhin weiß ich von Fotos, dass meine Mum eine Schönheit war."

Einen Moment sahen wir uns einfach nur an, aßen und schwiegen.

Das war kein peinliches Schweigen, bei dem keiner weiß, was er sagen soll, sondern ein schönes Schweigen. Irgendwie friedlich. Und irgendwie hatte ich auch das Gefühl keine Worte zu brauchen, um mit Niall zu reden. Wir verstanden einander auch so. 

Irgendwann brachen wir dann aber doch das schweigen und redeten über unsere Kindheit und darüber, wie es so zu Hause war. Dabei wurde viel gelacht, besonders als ich ihm erzählte, wie ich mit zwölf Papas Ferrari im Pool versenkt hatte, als ich versuchen wollte, damit zu fahren.

Oder die wilden Feldgeschichten von Niall und seinem Bruder Greg.

Die Zeit mit ihm war so schön, dass ich fast vergessen hätte, auf die Uhr zu gucken.

Ich war gerade noch pünktlich, als Niall mich beim Hotel absetzte (er hatte darauf bestanden, mich zu fahren, nachdem ich doch das Taxi bezahlt hatte). ,,Glaubst du, es besteht eine Chance, dich nochmal wiederzusehen?", fragte er mich doch tatsächlich, während ich mich abschnallte. ,,Kann schon sein", antwortete ich nur und drehte mich nochmal um, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen, ,,Zur Sicherheit geb ich dir aber mal meine Nummer." Ich gab ihm also eine meiner Visitenkarten und hüpfte dann aus dem schwarzen Range Rover.

Etwas anderes, als zu strahlen, war mir in dem Moment nicht möglich.

Meine gute Laune ließ sich auch nicht durch diese blöde Schnepfe Carina vermiesen, die mir schon auflauerte mit der Begrüßung: ,,Hey Freak, hat dich selbst dein Entführer wieder zurück gebracht, weil du zu hässlich bist?" ,,Hey Kackhaufenemoji", wagte ich zum ersten Mal einen Konter, den ich von Niall mitbekommen hatte, ,,Im Gegenteil, Niall fand mich sogar hübsch und witzig."

,,Ni- Niall fucking Horan?", stammelte Carina vor sich hin, ,,Okay, er fährt vielleicht einen schwarzen Range Rover, aber das war er nie im Leben! Wenn das wirklich Niall Horan war, dann... Wieso sollte er dich hübsch finden?"

,,Keine Ahnung, soll ich ihn anrufen, damit du ihn fragen kannst?", erwiderte ich noch, warf mein Haar mit Schwung in meinen Nacken und stolzierte an einer sprachlosen Carina vorbei in meine Suite, wo ich mein Gepäck zusammen suchte.

Das fühlte sich verdammt nochmal gut an!

Ich hoffte wirklich, dass Niall mich anrufen oder mir schreiben würde, damit ich ihm davon erzählen könnte...

Noch nie seit ich Carina kannte, hatte ich sie sprachlos gesehen!

Das gab mir zum ersten Mal das Gefühl, einen Vorteil zu haben. Das Gefühl, dass ich sie kontrollierte und nicht umgekehrt. Und ich musste mir eingestehen, dass ich dieses Gefühl sehr genoss.



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