Chapter 1.

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Ich war unglaublich müde. Wir waren jetzt über einen ganzen Tag unterwegs und ich konnte in Autos oder Flugzeugen oder generell allem was sich bewegte einfach nicht richtig schlafen. Außerdem gings mir verdammt beschissen. Ich war traurig und wütend, meine Augen brannten weil ich so wenig geschlafen hatte und ich hatte schreckliche Kopfschmerzen. 

Wir waren auf dem Weg nach Tybee Island, unserem neuen Zuhause. Ein völlig überhasteter Aufbruch nachdem meine Mum meinen Dad beim Fremdgehen erwischt hatte und daraufhin einem manischem Drang nach Veränderung verfallen war, uns ein Haus an der Westküste gemietet, einen Flug gebucht und mir ziemlich genau vier Stunden zum packen gelassen hatte. Und ich hasste es. Nicht unbedingt weil wir gerade aus einem kurzfristigen, wahrscheinlich mehr als nur unüberlegten Beschluss so ziemlich unser gesamtes Leben hinter uns ließen, das hatte ich sowieso nicht besonders gemocht, sondern weil ich nicht fassen konnte was mein Vater meiner Mutter angetan hatte. Im Prinzip liebte ich beide. Wirklich. Ich meine es waren meine Eltern. Nur hatte mein Vater meine Mutter noch nie besonders gut behandelt, zumindest nicht in den letzten Jahren und sie dagegen hatte immer alles für ihn getan. Hatte alles für uns getan.

 Ich denke sie glaubten das ich es nicht wirklich mitbekommen hatte, aber die Ehe meiner Eltern war langsam aber stätig auseinander gebrochen. Ich kann nicht sagen wann genau es angefangen und ihre Liebe zueinander aufgehört hatte. Was ich aber wusste war, dass mein Dad sich nie großartig Mühe gemacht hatte, die Zerstörung aufzuhalten, sondern es eben immer meine Mum gewesen war, die hinter ihm her gerannt war und versucht hatte, die Scherben ihrer Liebe aufzusammeln. Nicht unbedingt um Seinetwillen, aber um unsere Familie zusammenzuhalten. Und dass ich lieber niemals heiraten werde, als schlussendlich in einer Ehe wie die meiner Eltern zu landen.

Vermutlich hätten sie sich auf Dauer sowieso irgendwann scheiden lassen, aber das ist noch lange kein Grund jemanden zu betrügen. Ich werde niemals den Verrat, Schmerz und Schock in den Augen meiner Mutter vergessen, als wir in sein Büro gekommen und ihn splitterfasernackt mit seiner Kollegin auf dem Schreibtisch erwischt hatten. Es war ein dämlicher (oder glücklicher, ganz wie mans nimmt) Zufall dass wir überhaupt vorbeigekommen waren. Hätten wir nicht beide unsere Schlüssel vergessen, wären wir wahrscheinlich niemals zu ihm gefahren und dann wäre das noch wer weiß wie lange so weiter gegangen. Das erklärte jetzt allerdings auch seine immer länger werdenden Arbeitstage. 

Nachdem wir sein Büro betreten hatten stand meine Mutter etwa eine halbe Minute mit offenem Mund da, starrte die beiden sprachlos an, sie starrten zurück, und dann drehte sie sich um, zog mich am Arm hinter sich her, ließ die Tür für alle vorbeilaufenden Kollegen sperrangelweit auf und wir fuhren nach Hause. Niemand sagte irgendwas, bis wir vor unserer Haustür standen (nachdem wir unseren Nachbarn, der zufällig beim Schlüsseldienst arbeitete, gebeten hatten die Tür aufzusperren und ihm gesagt hatten, mein Vater würde die Rechnung später begleichen), sie mich einige Sekunden lang schweigend ansah und dann nur meinte ich solle packen, heute Abend wären wir hier weg. Es war einfach endgültig zu viel für sie gewesen. Mein Dad war vor unserer Abreise nicht mehr nach Hause gekommen. 

Tja, so viel zu der Vorgeschichte. Jetzt saß ich hier im Flugzeug, die bereits dritte Truecrime-Podacstfolge lief über meine Kopfhörer in meinen Ohren und wir flogen ins völlig unbekannte.


"Harper" Die Stimme meiner Mutter drang in mein Unterbewusstsein und vermischte sich langsam wieder mit den Stimmen des Podcasts. Einer der Kopfhörer war aus meinem Ohr gefallen. "Harper Schatz, du musst aufwachen." Sie rüttelte mich an der Schulter und ich öffnete langsam meine Augen. Nein, geschlafen hatte ich nicht wirklich aber ich war scheinbar für die letzten 20 Minuten immerhin weggedöst. Viel länger konnte es nicht gewesen sein, es lief immer noch der gleiche Podcast. Ich blinzelte noch ein wenig verwirrt. Sie seufzte. "Es tut mir leid das ich dich wecken muss Schatz, ich weiß wie wenig du geschlafen hast, aber wir landen gleich." Neben uns stand eine freundlich lächelnde Stewardess. "Schon gut, ich hab sowieso nicht richtig geschlafen. Danke." Sie brachte ein müdes Lächeln zustande, die Stewardess ging weiter zu anderen Fluggästen. 

Knapp zwei Stunden später verließen wir endlich das Flughafengebäude und begannen, unseren Mietwagen zu suchen. Unser Gepäck war zwar nicht sofort gekommen, aber immerhin war es überhaupt schon gekommen. Auch alles schon miterlebt. Mum hob den Arm und zeigte nach vorne. "Da vorne, die Parkplatznummer passt. Das ist der Wagen." Wir luden das Gepäck in den Kofferraum und stiegen ein. "Bist du dir sicher dass du jetzt fahren möchtest? Ich meine wir sind beide völlig übermüdet und es ist noch ein ganzes Stück..." "Etwa noch eine Dreiviertelstunde Fahrt, das geht schon. Und es ist so früh morgens dass nicht so viel los sein sollte auf den Straßen. Außerdem möchte ich einfach nur noch... ankommen." Ich nickte langsam. Das wollte ich auch.



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