24 | Strategie - Part II

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Nach dem Abendessen steht die erste Einzelstunde unserer Tribute auf dem Plan. Cordelia und Edy haben sich dafür entschieden getrennt zu trainieren. Besser gesagt, sie hat ihm keine andere Wahl gelassen. Vermutlich hat ihre Entscheidung, nicht gemeinsame Sache zu machen, ihn verletzt, jedenfalls lässt er den Kopf hängen, als wir alle im Fahrstuhl Richtung Trainingscenter stehen. Mich hat auch niemand eingeplant, da ich kaum kriegerisches Talent vorweisen kann. 

Trotzdem habe ich vor, an der Trainingsstunde teilzunehmen, um unsere Tribute zu beobachten. Morgen brauchen wir die finale Strategie für Cordelia also ist jetzt die beste Chance, noch etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Besser, als in meinem Zimmer zu sitzen, in einem weiteren Versuch die Kondolenzkarten zu beschriften. Bei dem Gedanken daran, die große Sporthalle mit all ihren Mordwerkzeugen wieder zu sehen, kribbelt es erneut in meinem Magen, dieses Mal allerdings auf eine Übelkeit erregende Art. 

Wir sind früh dran, dank Cece die uns förmlich fortgescheucht hat.
Distrikt drei ist nicht fertig, wie uns ein rundlicher Friedenswächter mitteilt, den Finnick zu kennen scheint. Locker scherzen beide miteinander, bis endlich die Tribute aus Drei mit ihrem Mentor die Trainingshalle verlassen.
Für Cordelia scheinen die mageren Kinder Luft zu sein, doch Edy betrachtet sie, wie ich, mit vorsichtigem Interesse. Angespannt halten sie den Blick unten, darauf bedacht niemanden von uns direkt anzusehen. Mit ihrem Selbstvertrauen ist es nicht weit her.
Dahinter folgt, ebenfalls dünn und nervös, ihr Mentor. Haut, so grau wie seine Kleidung, verleiht ihm ein kränkliches Aussehen. Ohne Vorstellung weiß ich, dass der Brillenträger Beetee sein muss. Finnick hat hin und wieder von ihm erzählt, ihn einen Freund genannt.

Unablässig bewegt der Mann seine Finger, öffnet und schließt die Faust, während seine Lippen stille Worte formen. Distrikt drei haftet ein eigenartiger Ruf an, den ich bei seinem Anblick zu verstehen glaube. Nicht, dass daran etwas Schlimmes wäre, ich bin selber merkwürdig genug. Gerade in diesem Moment sind auch meine Nerven zum Zerreißen angespannt und es ist ein Wunder, dass ich mich überhaupt so weit zusammenreißen kann. Vielleicht liegt es an den Tributen, vor denen ich möglichst wenig Schwäche zeigen will. Zumindest auf den ersten Blick erscheint Beetee mir schlicht aufgewühlt, mit einem kleinen Tick, was ich nur zu gut verstehe. Sobald er uns sieht, hält er kurz inne, um ein paar Worte zu wechseln.

„Ah, das muss Miss Cresta sein", grüßt Beetee höflich, ein scheues Lächeln im Gesicht.
Ich nicke ihm zu. „Freut mich sehr", sagt er etwas überschwänglich und schüttelt mir die Hand. Anders als die Hände von den Meisten daheim ist seine nicht rau, sondern weich, ein Zeichen der fehlenden körperlichen Arbeit in Distrikt drei.
„Mich ebenfalls", erwidere ich ehrlich.
Seine Augen gleiten immer wieder zu dem Friedenswächter in der Ecke, der nur mäßig interessiert an unserem Gespräch scheint.

Er erkundigt sich, wie es Mags geht, doch Cordelia drängt in Richtung Trainingscenter, einen ärgerlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Der gutmütige Friedenswächter lächelt ihr verschwörerisch zu.
„Keine Sorge, die fünf Minuten Verspätung schenk ich euch", sagt er mit einem Augenzwinkern. Frustriert atmet Cordelia aus und stemmt die Hände in die Hüften.
„Ich hoffe es bleibt bei fünf Minuten", murmelt sie.
„Na wir können auch schon vorgehen", schreitet Floogs ein und scheucht die beiden Tribute vor sich her in die Halle, „dann könnt ihr euch schon mal warm machen."
„100 Kniebeugen!", ruft Amber ihnen schadenfreudig nach. 

Beetee sieht entschuldigend in die Runde. „Ich wollte euch keinesfalls aufhalten", sagt er hastig, „ihr habt ja Arbeit vor euch." Nervös richtet er die wacklige Brille auf seiner Nase. Trotzdem scheint er sich nicht recht lösen zu können. Er leckt sich über die Lippen, als wolle er noch etwas sagen, schweigt dann jedoch nur und reicht Finnick die Hand zum Abschied. Es ist nur ein kurzer Augenblick, aber ich sehe einen kleinen Gegenstand in Beetees Fingern aufblitzen, bevor sie die Hände schütteln. Ehe ich mich versehe, ist der Moment vorbei und Finnick schlägt ihm mit der Linken locker auf die Schulter.
„Machs gut, wir sehen uns", sagt er grinsend, als ob nichts wäre. 

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt