26 | Nadel und Faden - Part II

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Die Mentoren aus den Karrieredistrikten geben sich jedes Jahr hart zu überzeugen, so ist es auch diesmal wenig überraschend, dass sie um die Beteiligung von Distrikt vier feilschen. In allen Punkten verlangen sie Vorrang für ihre Distrikte, mehr Anteile an den Sponsorengeldern, mehr Entscheidungsgewalt über die Sponsorengeschenke, mehr Aufmerksamkeit. Wo möglich, zweifeln sie an den Fähigkeiten Cordelias, die sich im Training mittelmäßig schlage.

Es ist ein Kampf mit harten Bandagen und Finnick vermisst wieder einmal Mags, die immer ruhig aber bestimmt an ihr Ziel kam. Vermutlich sind es Ambers zornige und dezent übertriebene Worte „Wenn eure Schätze verrecken, dann kann sie ihnen verdammt nochmal den Arsch retten!", die den Ausschlag geben, doch am Ende besiegeln die Mentoren das Bündnis. Sie vermerken auf ihren Tablets den Zusammenschluss für die Spielmacher. Ein kleiner Sieg, denn der größte Anteil an Geldern ist für Eins und Zwei bestimmt.

Trotzdem löst sich die Anspannung in Finnicks Gliedern nicht gänzlich. Er sieht den unsäglichen Geschwistern nach, die sich mitsamt Enobaria an die Bar zurückziehen – um die übrigen Mentoren zu verspotten. Wie jedes Jahr. Einmal mehr hat er Zweifel, ob das Bündnis eine gute Idee ist.
„Lust auf eine Runde Training?", fragt er Amber, um auf andere Gedanken zu kommen. „Bis die Bewertungen verkündet werden ist noch Zeit und ich hab wenig Lust beim Abendessen Ceces Gebrabbel wegen der Interviews morgen zuzuhören." Oder an seine Verpflichtungen, gegenüber Leuten wie Titania, erinnert zu werden, schiebt er stumm hinterher. An das Treffen versucht er nach Möglichkeit nicht zu denken.
„Klar, warum nicht", erwidert Amber. „Alles ist besser, als Cece zuzuhören."

Vor der Halle angekommen tritt ihnen direkt Edmont, der bequemliche Friedenswächter, in den Weg. Finnick hebt grüßend die Hand, doch der sorgenvolle Gesichtsausdruck des Mannes lässt ihn diese gleich wieder senken.
„Sorry, ihr beiden, aber ... die Techniker sind gerade da drin, ihr könnt da jetzt nicht rein." Edmont wirft ihm ein entschuldigendes Lächeln zu, trotzdem tritt er vor und streckt eine Hand in ihre Richtung aus, um zu signalisieren, dass sie keinesfalls einen Schritt näher treten dürfen. Finnick erinnert sich nicht daran, dass der kleine Mann sich je wie ein ernstzunehmender Friedenswächter aufgeführt hat.

„Techniker?", echot er.
„Ja, lange Geschichte", der rundliche Mann ringt die Hände und schüttelt den Kopf. „Tut mir wirklich Leid!"
„Schon gut, schon gut", beschwichtigt Finnick ihn, um keinen Aufruhr zu erzeugen. „Wir kommen morgen wieder." Dennoch traut er sich nicht, Edmont auf die Schulter zu klopfen, wie er es sonst täte. Etwas an seiner Haltung sagt ihm, dass der Mann heute Abend nicht sein Freund ist.

Gerade wollen sie umkehren und zu ihrem Apartment zurück, da ertönt hinter ihnen die schnarrende Stimme von Johanna.
„Sieht aus als hätten wir alle das Gleiche vor."
Bevor Edmont erneut die Entschuldigung für das geschlossene Trainingscenter vorträgt, schüttelt Amber den Kopf.
„Heute kein Training, heut ist Reparatur angesagt."
Finnick wendet sich zum Gehen, doch Johanna starrt mit zusammengekniffenen Augen auf die verschlossenen Türen, wie in dem Versuch zu erkennen, was dahinter passiert.
„Hm", grummelt sie verstimmt. Edmont, der sie stumm anfleht, keinen Aufstand zu machen, ignoriert sie.

„Wirst du es einen Tag aushalten, nicht deine geliebte Axt zu schwingen?", stichelt Amber.
Die Tatsache, dass Johanna diese Frage schlicht übergeht, ist für Finnick Anzeichen genug, das etwas sie beschäftigt. Langsam folgt sie ihm zurück in die Vorhalle, aber nicht ohne einen letzten Blick zu dem einsamen Edmont zurückzuwerfen.
„Reparatur, eh?" Sie schlüpft vor den beiden in den Fahrstuhl. „Hat wohl einer der Tribute gezeigt, was er von den Spielen hält. Ich hoffe es hat einen Spielmacher erwischt." Wie sie es sagt, hört es sich an wie ein brutaler Scherz. Dennoch fragt er sich, ob es nicht Wirklichkeit geworden ist. Immerhin sind die Spielmacher alleine mit den Tributen dadrinnen ...

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt