Als ich keinen der beiden irgendwo sehen konnte, schlich ich auf den Parkplatz. Wieder leer. Aber diesmal wusste ich es besser und drückte mich an der Hecke und den Zäunen entlang, zum Hinterhof des Gebäudes. Und tatsächlich. Ein weiterer, kleinerer Parkplatz. Und ein schwarzer Skoda Octavia hatte direkt auf der ersten, freien Stelle geparkt. Eine Nachtwache also?
Soweit ich mich erinnern konnte, sollte das Gebäude ja irgendwann weitergebaut und verkauft werden. Also versuchten sie, es noch einigermaßen in Schuss zu halten. Ansonsten wäre sicher schon alles voll mit Graffiti. Die Hintertür ließe sich sicher öffnen, doch dann würde ich vermutlich direkt vor der Wache stehen. Also machte ich mich wieder auf den Weg zum vorderen Parkplatz. Ich würde es einfach wie gestern machen, nur vorsichtiger. Diesmal wusste ich ja, was mich erwartete.
So leise wie möglich drang ich durch das Schaufenster ein, ging sicher dass sich niemand in der Haupthalle aufhielt und tapste eilig zum gleichen Raum von letzter Nacht. Dort angekommen, öffnete ich den Schrank. Allerdings nur so weit, dass es nicht zum Quietschen kommen konnte und ich grade so hindurch passte. Im selben Moment, in dem ich mich setzte, durchfuhr mich ein Schauer, als mir erneut das ziehende Gefühl der Wunde bewusst wurde. Ich würde mir morgen ein neues Oberteil besorgen müssen. Die zerrissene Jeans sah beinahe aus wie gewollt, doch am Shirt klebte Blut.
Seufzend schloss ich die Augen und versuchte, etwas Ruhe zu finden. Ich musste unbedingt meine Energie aufladen. Allerdings fiel es mir heute schwerer. Und als ich dann endlich in den Schlaf sank, plagten mich Alpträume.
Der nächste Tag verlief relativ ereignislos. Ich erbeutete mir wieder etwas Essbares, kaufte mir ein billigen, schwarz-blauen Hoodie und vermied so gut es ging die Orte mit vielen Menschen, aus Angst erkannt zu werden. Meine Wunde am Bauch war zum Glück nur noch oberflächlich und tat kaum mehr weh.
Dann verbrachte ich die restliche Zeit mit warten. Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Carrier konnten spüren, wenn ein Hybrid in der Nähe war, aber umgekehrt funktionierte es leider nicht und wahllos Menschen ansprechen schien keine gute Idee zu sein. Ich fütterte Streuner mit Krümeln meines Brotes, konnte sogar einige streicheln und als die Sonne unterging machte ich mich wieder auf den Weg. Wie lange ich das noch machen muss? Aber nach dem gestrigen Abend schwand meine Angst vor dem bevorstehenden Kampf ein wenig. Ich durfte nicht übermütig werden, doch etwas Selbstvertrauen schadete sicher nicht.
Diesmal wurde ich bereits von den anderen empfangen. Carlos, Dan und ein weiterer Typ. Beinahe wären mir die Worte „Ach du Scheiße!", aus dem Mund gefallen, als ich ihn sah. Ein muskulöser Kerl. Das konnte ich sogar durch den schwarzen Pullover erkennen. Er hatte die Seiten am Kopf kurzgeschnitten und an seinem Hals ein dunkles Tattoo, welches sich flammenartig über die Haut erstreckte. Damit hatte ich irgendwie nicht gerechnet. Doch beim zweiten Hinsehen, kam er mir bekannt vor.
Cedric.
Ich hatte ihn bereits zweimal besiegt, zusammen mit Scarlett. Ich spürte wie sich Schweiß auf meiner Stirn bildete im Moment, in dem sich alle zu mir umdrehten. Kann ich bitte wieder gehen? Zu Spät. Carlos winkte mir zu und Dan schien meine Gedanken lesen zu können. Seine Mundwinkel hatten sich zu einem hinterhältigen Lächeln geformt. „Da bist du ja, Ava!", flötete der blonde Carrier. „Das ist Cedric.", fügte Carlos hinzu. Der Neue nickte. „Wir kennen uns."
Nervös schluckend versuchte ich, seinem Blick standzuhalten, ehe ich murmelte: „Ja, das tun wir." Hiernach bräuchte ich mehr als nur ein neues Oberteil. Ob Energie auch meine Zähne wiederherstellen könnte?
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Azure ☆ Straying Bird
Fantasy(Beendet) Das Uranus-System. Zuhause, der Carrier und Hybriden, welche sich als Team zusammenschließen, um gemeinsam immer stärkere Gegner zu bezwingen. Diese faszinierende Welt der Kämpfe koexistiert mit einer harschen Realität, voll Einsamkeit und...