Sleepless Epilog

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Ganz Deutschland ist dieser Tage in greifbarer, ansteckender Euphorie versunken. Die Todesnachricht vom gefürchteten Sleepless verbreitet sich beinahe schneller als manch Pandemie. Mehr als sieben Jahre hat der Serienmörder Raphael Ehlert dem Land seinen blutrünstigen Stempel aufgedrückt. Die gesamte Bevölkerung wirft der Staatsgewalt vor- und nach der Halbapokalypse komplettes Versagen bei der Jagd nach Sleepless vor. Sie hätte Sleepless schon lange fassen können und sollen. Es ist schließlich nur ein einzelner Mann gewesen. Wie schwer kann es denn schon sein, einen partnerlosen Mörder zu fassen!? Zwar sind jene Fragen jetzt schon laut geworden, doch ist derzeit noch die Euphorie zu präsent, als dass sie zu einer erdrückenden Last werden können. Doch nicht jeder ist glücklich über die Entwicklungen. Dort, wo die Normalität des unschuldigen Bürgers nicht zu verweilen vermag, sieht die Stimmung über seinen Tod anders aus.

Onyx


Erleichterung liegt in der Luft. Ich runzle die Stirn, schaue mich um. Die Menschen reden fröhlich, fröhlicher als sonst, und zeigen sich eifrig gegenseitig Sachen auf den Handys. Irgendwo höre ich Geschnatter darüber, dass sie „Den verfickten Hurensohn" endlich „drangekriegt" haben.
Über wen reden die?
Unbemerkt husche ich durch die Menge. Wie gewohnt laufen die Menschen größtenteils einfach durch mich hindurch. Nur wenige weichen instinktiv aus. Und wie immer ist es interessant zu beobachten, wer für den Tod geschärfte Sinne besitzt.
Aber jetzt gilt meine Aufmerksamkeit etwas ganz anderem. Ich schaue über die Schulter eines Passanten auf dessen Handy, doch ich kann darauf nur verschwommen die Umrisse einer Person mit braunen Haaren erkennen.
Ich rümpfe die Nase. So bringt das nichts. Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, um sichtbar zu werden. Hier und da schaut jemand verwirrt in meine Richtung, zuckt dann aber mit den Schultern und fährt mit seinem Alltag fort. Mein plötzliches Auftauchen wird immer damit abgewunken, dass sie mich vermutlich vorher einfach übersehen haben.

„Entschuldigung?" Ich tippe einem jungen Mann gegen die Schulter. Er dreht sich verwirrt um und lächelt mich fragend an. „Ja?"
Ich mache eine Handbewegung, die auf den Rest der Leute deutet. „Es mag sein, dass ich unter einem Felsen lebe, aber hier scheint ja was Großes im Gange zu sein, oder nicht?"
Der Mann strahlt und lacht dann. „Und wie! Die haben endlich diesen dreckigen Sleepless umgelegt! Mann, ich würde alles dafür geben, um die Hand seines Mörders zu schütteln!" Seine Freunde grölen zustimmend. Er zeigt mir einen bereits geöffneten Artikel, der den Tod des Mörders verkündet.
Ich wende mich ab. Einauge, du Bastard. Hast du wirklich..? Kein anderer könnte ihm auch nur nah genug kommen, um-
Halt.
Ich stutze. Nein. Das kann gar nicht sein. Ich fasse mir nachdenklich ans Kinn und verschmelze mit dem nächstbesten Schatten, um ohne großen Aufwand in die Graue Welt zu gelangen. Mein Blick schweift über die neblige Unendlichkeit. Ich beginne zu grinsen. Dann tauche ich zurück in die Welt der Lebenden.
Ohne Seele kein Toter.
Und die einzige Person, die die Befugnis dazu hat, seine Seele zu sammeln und an die Graue Welt zu fixieren, bin ich. Onyx.

Saiko

Beißender Rauch steigt mir in die Nase, während ich mein zweites Glas Grog in einem Zug leere. Wollen die Kerle am Tisch neben mir sich die ganze Lunge auf einmal zerstören, oder was wird das? Aber hey. Wer bin ich, es ihnen nachtragen zu wollen. Schließe kurz meine Augen und genieße, wie das kühle Nass meine Kehle hinab fließt. Es geht doch nix über einen schönen Grog, nach nem langen Tag. Dabei vernehme ich die ein oder anderen Wortfetzen aus den Gesprächen der Leute um mich herum, oder vom Fernseher, welcher neuerdings hinter der Theke angehängt ist.

Obwohl die Bar gefühlt weniger besucht ist als sonst, wirken ihre sonst größtenteils schäbigen Gäste munterer als sonst. Als wäre ein Verhängnis voller Schatten endlich von ihnen gewichen, wo hingegen die Bardame auf mich fast schon einen eher mitleidigen Eindruck macht. Immer wieder schweift ihr Blick zu einem leeren Platz, an welchem sonst um diese Zeit der wohl gefürchtetste Mann der Welt sitzt. Ein fast schon enttäuschtes Seufzen entweicht mir, als ich den leeren Krug wieder abstelle. Hatte eigentlich gehofft ihn heute seit langem mal wieder zu treffen und vielleicht auch einen mit ihm zu trinken, ehe ich mich mit Lili in einem der Hinterzimmer treffe. Wo steckt er nu-
„Herzlich willkommen in unserer Sondersendung zum Abend. Wie wir gerade aus zuverlässigen Quellen erfahren haben, ist vor wenigen Tagen der Serienmörder "Sleepless" tot aufgefunden worden. Wer für den grausigen Tot des weltweit gefürchtetsten Serienmörders verantwortlich ist, liegt uns bisher nicht vor. Auch der Polizeisprecher gibt hierzu keine Stellungnahme ab. Fest steht, dass die Bevölkerung ab heute aufatmen kann. Wir haben ein paar Passanten nach ihrer Meinung ge-", weiter verstehe ich den Nachrichten Sprecher nicht, denn so plötzlich wie die gesamte Bar still war, bricht jetzt ein tosenden gejubelt aus. Gläser werden angestoßen. Zigaretten angezündet und andere Substanzen auf den Tisch gelegt. Nur wenige schließen sich der allgemeinen Begeisterung nicht an. Darunter auch ich.

Sleepless Genesis (Staffel IV)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt