11. Livia ist nicht besser als dumme Horrorfilm Charaktere

65 18 88
                                    

Livia hatte sich einen Wecker auf kurz nach ein Uhr nachts gestellt, der sie jetzt aus dem Schlaf klingelte. Schnell schaltete sie ihn aus, glitt aus dem Bett, zog sich einen Pullover an und schlüpfte ihn ihre Schuhe. Im Dunkeln legte sie sich auch die Armbanduhr um, damit sie die Zeit nicht aus den Augen verlor und griff nach ihrem Smartphone. Sie würde die Taschenlampe davon brauchen, aber erst, wenn sie in der Küche war, aus Angst gesehen zu werden.

Langsam tapste sie den Flur entlang, um niemand zu wecken, kurz hielt sie vor Minhs Tür. Sollte sie Minh wecken? Seit ihrer Diskussion am Abend hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen und nur stillschweigend nebeneinander die Zähne geputzt.
So schlich Livia weiter durch das dunkle Haus, immerhin waren dieses Mal nicht überall Nachtfalter auf dem Boden aber es wirkte trotzdem wie eines der alten Gebäude in Horrorfilmen, in denen ein böswilliger Geist oder Dämon wohnte. Dieser Metapher nach war sie wohl die Tochter oder Ehefrau der neu eingezogenen, nicht ans übernatürliche glaubenden Familie, die in der Nacht ein Geräusch gehört hat und nun nachforscht nur um angegriffen zu werden und der am Morgen dann nicht geglaubt wird. Grossartig, jetzt erwartete sie jeden Moment einen Jumpscare und eine unheimliche Gestalt hinter sich. 

Aber das Haus lag weiterhin in einer totenstille und Livia konnte nur das Geräusch ihrer Schuhe auf dem Teppich hören.
Etwas besorgt blickte sie auf den Lichtstreifen, der unter Aramis Tür zu sehen war. Sein Zimmer war das, welches am nächsten bei der Treppe lag.
Sie biss die Zähne zusammen, als die Stufen leise Geräusch von sich gaben (diese verdammten alten Häuser!), aber glücklicherweise schien es niemand gehört zu haben oder es kümmerte sie einfach nicht und so setzte sie ihren Weg fort. Livia blickte über das Treppengelände auf den Herzbaum, der stumm und gespenstisch starr im Eingangsbereich stand. Verständlicherweise wäre es seltsam gewesen, wenn er Töne von sich gegeben und sich bewegt hätte aber jetzt waren seine sonst saftig grünen Blätter grau und er wirkte, als wäre er in der Zeit erstarrte. Ein Kälteschauer kroch Livia durch die Knochen. 

Vorsichtig wich sie ein paar weiteren Blättern aus, die der Baum hat fallen lassen, als sie den Baum passierte, liess seine Krone dabei aber nicht aus dem Blick. Ihr Blick glitt von den Blättern zum Portrait von Wilhelmina, das gegenüber der Tür aufgehängt war. Auch die sanften Züge des etwas rundlichen Gesichts wirkten hart und die warmen Augen schienen, als musterten sie Livia und ihr Vorhaben argwöhnisch. Sie hatte das Gefühl unter dem Blick des Portrait zu schrumpfen und auch der Baum wirkte plötzlich grösser. Eine Bewegung im Augenwinkel liess sie zusammenzucken. Fast erwartete sie einen Angriff aber es war nur ein Blatt, dass der Baum losgelassen hatte und jetzt zu Boden segelte. Es blieb direkt zwischen Livias Schuhen liegen.

Sie blickte vom Blatt wieder zum Portrait hoch, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Endlich war sie vor der Tür angekommen. Ihr lief erneut einen Schauer den Rücken runter, sie hatte das Gefühl, sie konnte schon fast hören, wie durch das Schlüsselloch geflüstert drang, das sie einlud, das sie ermutigte in den Keller zu steigen.

Albus sprang von seinem Schlafplatz auf dem Sofa und strich um ihre Beine.
Livia kniete sich runter und streichelte ihm über das schwarze Fell. »Verrate mich hier ja nicht«, flüsterte sie leise. Albus antwortete nur mit Schnurren und rieb seinen Kopf weiter an ihrem Knie.

Sie erhob sich wieder und holte den kleinen Schlüssel aus den Taschen ihrer Trainerhose hervor. Jetzt kam die Stunde der Wahrheit, ob Laertes wirklich ein so guter Schlosser und Hexer war, für wie er sich hielt.
Ihre Hand zitterte leicht, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte und ihn langsam drehte.
Das Schloss klickte.
So zog sie fast schon vor Erwartung zitternd an der Tür, doch nicht passierte. Sie zog fester, doch die Tür bewegte sich immer noch keinen Millimeter. Sie liess die Klinke los und machte einen Schritt zurück. Vielleicht gab es noch andere Sicherheitsvorkehrungen.

Das Herz der HexenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt