Kapitel 54

1.3K 37 0
                                    

Emma

Das Thema Gina kam nie wieder auf und mittlerweile hatten wir die Hälfte der Tour geschafft. Und diese Tage und Nächte zehrten an mir. Ich war froh, dass wir nach der heutigen Show mal zwei Tage off hatten. Ich freute mich auf mein Hotelbett und auf einen entspannten Tag in der Badewanne. Ohne Handy, ohne Laptop und ohne vierstimmiges Schnarchen um mich herum. Ich seufzte- offenbar so laut, dass Wincent sich zu mir umdrehte und mich fragend ansah. „Ich bin nur reif fürs Bett", murmelte ich und ließ mich an seine Schulter sinken. „Ich auch, aber erstmal spielen wir noch diese Show", meinte er und war dabei deutlich euphorischer als ich. Ich kippte meinen Rest Kaffee in einem Zug runter und machte mich dann wieder an meine Arbeit. So viel Professionalität hatte ich schon, als dass ich mein persönliches Befinden hinten anstellen konnte. Und wenn ich in meiner Arbeit versunken war, konnte ich auch nicht wirklich daran denken, dass ich eigentlich nie mehr als vier Stunden am Stück geschlafen hatte in den letzten paar Tagen. „Dankeschön, Leute. Vielen, vielen Dank", riss mich Wincents Abschlussansprache aus meinen Gedanken. Puh, so schnell gingen knapp anderthalb Stunden vorbei. 

Das Zusammenpacken und Aufräumen lief so glatt, dass ich das Gefühl hatte, jeder wollte einfach nur in sein Bett. Jeder, außer Wincent. Der blödelte immer noch mit Paul und Tom rum und ließ sich von der Wischmaschine durch die leere Halle fahren. Ich ließ ihm den Spaß, zumindest solange, bis wirklich alles gepackt und verräumt war. Wir mussten nur noch einsteigen und zum Hotel fahren. Und das versuchte ich den Spielkindern zu verklickern. „Kommt schon, Leute, der Bus ist startklar", rief ich einmal quer durch die Halle. Jetzt, wo sie leer war, wirkte sie nochmal größer. „Wincent! Paul!", rief ich und fühlte mich wie eine Mutter, die ihre Fünfjährigen vom Spielplatz locken wollte. Es dauerte eine ganze Weile- die Wischmaschine war nicht besonders schnell, ja-, aber dann kamen die wehrten Herren bei mir an. „Können wir dann?", fragte ich und musste schmunzeln, während beide eine Schnute zogen.

Ich hakte mich bei Beiden unter und schob sie aus der Halle schnurstracks in den Bus. „Aber ich brauch noch..", fing Wincent an, doch ich unterbrach ihn.

„Nix brauchst du. Ich hab deinen Kram und alles, was nach Wincent aussah, in dein Zimmer geräumt", erklärte ich und deutete dem Busfahrer an, dass wir die Letzten waren. Ich war genug mit mir beschäftigt nicht einzuschlafen, dass ich ein Feierabendbier dankend ablehnte. „Und ich dachte wir lassen es heute Nacht noch richtig krachen", flüsterte Wincent mir ins Ohr und wollte wohl witzig sein. „Sehr komisch", rollte ich mit den Augen. Ich wollte einfach nur duschen und ins Bett. Und ja, eventuell war ich etwas unleidlich, wenn ich so völlig übermüdet war. Ein Glück kamen wir schnell am Hotel an und bezogen genauso schnell unsere Zimmer. Ich zog mich auf dem Weg ins Bad direkt aus und verteilte all meine Klamotten im ganzen Zimmer, aber für den Moment war mir das sowas von egal. Als ich fertig war mit duschen, kam Wincent zu mir ins Bad und putzte seine Zähne. „Es ist so bequem", schwärmte er und ich konnte es kaum erwarten mich in dieses Bett zu werfen. Als letzten Akt kramte ich meinen Pillenblister hervor und stutzte. „Hm, irgendwie dachte ich es wär schon Donnerstag...bin ich durch", stöhnte ich. „Es is auch Donnerstag", meinte Wincent. „Was?", fragte ich nach und er wiederholte seine Worte. „Das kann nicht sein", murmelte ich, „das kann nicht sein". Panisch ging ich durchs Zimmer und suchte mein Handy. Wincent lachte nur. „Was ist so schlimm? Ob jetzt Mittwoch oder Donnerstag ist, es ist Tour...jeder Tag ist Sonntag", brabbelte er. Er fand sich wohl sehr witzig dabei. Ich hielt inne, als ich mein Handy in der Hand hielt.

„Kannst du einfach mal für zwei Sekunden die Klappe halten?", fuhr ich ihn an und öffnete meinen Kalender. Tatsächlich. Donnerstag. Fuck. Ich sprintete zurück ins Bad und griff nach dem Blister. Fuck! Ich lies mich auf den Wannenrand sinken und starrte bestimmt minutenlang auf den Boden. Bis Wincent in der Tür erschien. „Kannst du mir mal sagen, was los ist?", meinte er. Ich atmete ein paar Mal tief durch und hielt ihm den Blister vor die Nase. „Was soll ich mit deiner Pille?", fragte er und trieb mich damit beinahe in den Wahnsinn. Ich wusste grad nicht wo mir der Kopf stand und er war keine besonders große Hilfe, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Jetzt bloß nicht ausflippen, Emma, sprach meine innere Stimme. Alles wird gut. Wincent kniete sich vor mich und nahm meine Hände, und augenblicklich beruhigte ich mich. „Es ist deswegen blöd, dass heute Donnerstag ist, weil das heißt, dass ich gestern meine Pille vergessen hab", erklärte ich ihm und ich war überrascht, dass ich meine Emotionen im Griff hatte. „Okay", sagte er nur. „Okay?", wiederholte ich. „Ja was soll ich sonst sagen, Emma? Is doch jetzt eh passiert...", meinte er. Ich war wieder überrascht, wie er so entspannt sein konnte. Kapierte er nicht, was das bedeutete? „Schön, dass du so cool bist..", bluffte ich ihn an und wollte schon an ihm vorbei, aber er hielt mich am Arm zurück. Er vergrub mich in einer Umarmung und drückte mich fest an seine Brust. Ich konnte gar nicht anders, als mich zu beruhigen. Wincent redete bestimmt eine viertel Stunde lang auf mich ein.

„Emma, ich bin deswegen so cool, weil ich mir nichts Schöneres vorstellen könnte, als ein Baby mit dir zu haben...klar, das war jetzt alles nicht so geplant und wenn ich ehrlich bin hab ich genau null mal darüber nachgedacht, ob du vor lauter Arbeit deine Pille im Kopf hast, aber es ist jetzt eh zu spät. Was sollen wir machen? Panisch in die Notaufnahme rennen und dir die Pille danach besorgen? Komm, ehrlich, aus dem Alter sind wir doch nu wirklich raus...Außerdem wär das eh zu spät, schließlich hatten wir zuletzt....", er überlegte. „Keine Ahnung, wann war der letzte Off-Day? Egal, es ist auf jeden Fall zu spät jetzt", meinte er und langsam musste ich etwas schmunzeln. Er ließ mich zumindest ein bisschen los, dass ich ihn ansehen konnte. Er strahlte mich so süß an und trotzdem schnürte sich mir bei dem Gedanken an ein Baby die Kehle zu. „So wie das aussieht ist es grad eh die letzte Woche vor der Pause und wenn ich nicht gänzlich gepennt hab in Bio, ist jetzt das Risiko relativ gering...", philosophierte er weiter. „Darf ich jetzt auch mal wieder was sagen?", meldete ich mich zu Wort. Er nickte. „Du hast Recht. Es bringt uns jetzt nichts, panisch zu werden. Und du hast auch Recht mit der Tatsache, dass das Risiko jetzt relativ gering ist...trotzdem...hat mich das grad maximal überfordert", gestand ich ihm. „Ich weiß", redete er mir gut zu, „aber du sollst wissen, dass ich immer da bin und hinter dir stehe, egal was kommt". Trotz meiner inneren Überforderung lächelte ich Wincent leicht an und küsste ihn kurz.

„So aufregend das jetzt war, ich muss dringend pennen.", gähnte Wincent und zog mich aus dem Bad. Ich löste mich nochmal schnell, um wenigstens die Pille von heute mit etwas Leitungswasser runterzuspülen und legte mich dann neben Wincent. „Komm her.", brummte er und schlang seine Arme um mich. Es dauerte gefühlt keine Minute, bis ich seinen gleichmäßigen Atmen und sein leichtes Schnarchen vernahm. Der hat eine Ruhe, meine Güte. Ich hingegen wälzte mich stundenlang in seinen Armen hin und her. Was, wenn wir wirklich Pech hatten und ich schwanger war? Ich bin noch nicht bereit dafür. Wir haben nie über Kinder geredet, wir waren immer nur Emma und Wincent, egal ob ich nen Ring am Finger hatte, oder nicht. So sehr ich ihn auch liebe und so sehr ich irgendwann eine Familie mit ihm will. Nicht jetzt. Was würde ich machen, wenn ich jetzt wirklich schwanger bin... hätte ich die Kraft? Nein! So weit darf ich gar nicht denken. Über diesem ganzen Wirrwarr fiel ich dann irgendwann doch in einen sehr unruhigen Schlaf, dessen Träume mich nur zunehmend verunsicherten. 

Nur mit DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt