Kapitel 62

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Wincent

Völlig unvorbereitet kam am Mittag eine Nachricht von Marco rein.

M: Digga, ich muss mit dir reden. Jetzt! Kannst du kommen? Bin am See.

Ich las die Nachricht bestimmt dreimal, bis ich mir dem Ernst der Lage bewusst war. Das letzte Mal, als er mir so ne Nachricht schrieb, hatte er in der Schule die Tochter des Direktors gevögelt. Ich stand gerade nur in Boxershorts im Schlafzimmer, weil wir wie jeden Tag zum Joggen wollten. „Babe, du musst alleine gehen, ich muss zu Marco", rief ich zu Emma ins Bad und zog mich schnell an. Direkt streckte sie ihren Kopf aus der Tür und sah mich fragend an. „Ich hab keine Ahnung, aber es klingt ziemlich ernst...", meinte ich schulterzuckend. Ich drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Wange und machte mich auf den Weg. Schon von Weitem sah ich ihn mutterseelenallein auf einer Bank sitzen. Ich beschleunigte meine Schritte und als ich bei ihm ankam, sah ich auch den Sixpack Bier zwischen seinen Füßen. Drei Flaschen davon bereits leer. „Das ist aber nicht nett", kommentierte ich den Anblick, aber ihm war so gar nicht zum Lachen zu Mute. Wortlos ließ ich mich neben ihn sinken und starrte wie er auf den See. Lange konnte ich die Stille nicht ertragen. 

„Was is eigentlich los, Digga? Du schreibst mir doch nicht so ne Nachricht um mit mir zu saufen", meinte ich und griff mir eine der Bierflaschen. Es musste ja einen Grund dafür geben, dass er sich am helllichten Tag volllaufen ließ. „Linda ist schwanger", haute er raus und ich verschluckte mich augenblicklich an meinem ersten Schluck Bier. „Ja, genau...April, April", erwiderte ich. Marco drehte sich zu mir und funkelte mich ernst an. „Ne, dein Ernst? Was? Das...nein", stammelte ich. Er seufzte und drehte seinen Kopf wieder zum See. „Doch. Sie hats mir vorhin gesagt. Sie hat nen Test gemacht und sogar eine Bestätigung vom Arzt", erzählte er trocken. Ich war völlig überfordert, wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte, geschweige denn was ich dazu sagen sollte. Stumm knubbelte ich an meinem Bierettikett in der Hoffnung, dabei die Antwort auf alle Fragen zu finden. „Und jetzt?", fragte ich nach und schlug mir schon als ich es ausgesprochen hatte gedanklich gegen die Stirn.

Herzlichen Glückwunsch, Wincent, das war die beste Frage, die du hättest stellen können. Marco sah mich wieder so an. „Was ‚und jetzt?'? Keine Ahnung...sie will das Kind wohl bekommen", sagte er. „Oh", machte ich. Ich war schon immer gut darin, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Schnell nahm ich einen großen Schluck von meinem Bier. „Also ähm, und was heißt das für euch?", fragte ich weiter, „es ist doch von dir, oder?" Mir schnürte es die Kehle zu, wenn ich daran dachte, dass es vielleicht noch einen Zweiten oder gar Dritten als möglichen Vater gab. Ruckartig drehte sich Marco zu mir. „Sag mal, spinnst du? Sie hatte niemanden sonst...also ich mein, sie hat es mir gesagt, also werde ich die einzige Möglichkeit sein", wurde er zum Ende immer ruhiger. Scheinbar hatte er sich diese Frage noch nicht gestellt. „Ich mein ja nur, weil du auch noch...", fing ich wieder an, aber wurde direkt unterbrochen. „Ach Wince, das hab ich doch nur gesagt, damit du die Klappe hältst und nicht weiter philosophierst, ob das mit mir und Linda was wird oder nicht. Und herzlichen Glückwunsch, jetzt haben wir den Salat", brabbelte er. Ich versuchte mein Schmunzeln runter zu schlucken, dass ich scheinbar damals vor der Tour einen wunden Punkt getroffen hatte. „Ich hab ihr gesagt ich brauch Zeit, um darüber nachzudenken", meinte er ernst und starrte wieder auf den See. „Schließlich ist das genau das, was ich nie wollte. Ein Kind mit einer Frau, mit der ich eigentlich nur ne Affäre wollte. Nichts Festes. Keine Verpflichtungen. Und jetzt blüht uns die größte Verpflichtung, die man bekommen kann", murmelte er weiter.

Ich hatte das Gefühl er musste nur seine Gedanken sortieren und deshalb sagte ich nichts weiter dazu. Ich musste selbst damit klar kommen, dass mein bester Kumpel so absolut gar nicht begeistert war von dieser Nachricht. Wenn ich daran dachte, explodierte mir förmlich mein Herz. Ich wusste nicht, ob es eine Nachricht gäbe, die mich glücklicher machen könnte. Wahrscheinlich nicht. Umso härter war es in diesem Moment nicht völlig euphorisch zu sein. Klar, waren die Umstände bei Marco andere, aber grundsätzlich ist das doch toll. Er wird Vater! Er kriegt das hin auch ohne mit der Mutter des Kindes zusammen zu sein oder zu bleiben. „Ich glaube nicht, dass wir jetzt irgendwas überstürzen sollten, nur weil wir ein Kind zusammen kriegen", holten mich Marcos Worte aus meinen Gedanken zurück. „Es reicht, wenn wir eine Baustelle haben, da sollten wir uns keine zweite anschaffen", philosophierte er weiter. „Ich denke das ist ein guter Plan", meldete ich mich doch mal wieder zu Wort. „Ihr habt momentan so viel zu klären und zu entscheiden, dass ihr euch erstmal darauf konzentrieren solltet und nicht darauf, ob das, was ihr habt, für mehr reicht. Ihr werdet dem Kind schon gute Eltern werden, egal ob zusammen oder nicht". Diplomatisch, Wincent, lobte mich meine innere Stimme.

Marco hob eine Augenbraue und sah mich fragend an. „Woher diese Weisheit, mein Bester?", witzelte er und ich zuckte nur mit den Schultern. „Ich finde wir sollten noch ein Bier trinken", gab ich als Antwort. Grad wusste ich nicht mehr zu sagen und Marco auch nicht. Er musste diese Nachricht erstmal verdauen und sich selbst klar werden, was das für seine Zukunft bedeutete. Das konnte ich ihm nicht abnehmen. „Ich bin an deiner Seite, immer, und das weißt du. Und wir kriegen das schon hin, wir sind erwachsen", meinte ich abschließend. Marco umarmte mich kurz und tigerte dann mit seinen leeren Bierflaschen davon. „Ich halt dich auf dem Laufenden. Wenn es deine Alte nicht eh schon tut", rief er mir noch zu, als er ein paar Schritte von mir weg war. Normalerweise hätte ich ihm für die ‚Alte' eine gelangt, aber gerade ließ ich ihn einfach gehen. Erst als ich fast wieder Zuhause war, kamen seine Worte bei mir an. Emma. Sie wusste doch davon, oder? Sie musste. Niemals würde Linda erst Marco und danach Emma einweihen. Sicher ging es darum, als sie vor ein paar Wochen so Hals über Kopf zu Linda aufgebrochen war. Dann hatte sie mich die ganze Zeit angelogen? Warum hatte sie mir nichts gesagt? Langsam kam die Wut in mir hoch. 

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