Kapitel 12 - Die Fähigkeiten einer Dämonin

7 1 5
                                    

Gesichter. So viele...kaum auseinanderzuhalten. Es waren Leute jeden Alters präsent...auch Kinder. Doch sie alle hatten etwas Merkwürdiges an sich...sie schimmerten auf unerklärliche Weise, schienen fast durchsichtig zu sein. Sie standen in kleinen Gruppen beisammen, erwartungsvoll konnte man sie miteinander sprechen hören, in ihren Stimmen Besorgnis und Ehrfurcht. Betrachtete man die Leute nun genauer, so würden einem wohl recht bald ihre leeren, müden Augen auffallen, die so wirkten, als hätten sie bereits jedes erdenkliche Leid der Welt gesehen.
Doch irgendwo, zwischen den Gruppen, würde man eine junge Frau sehen, welche alles andere als geisterhaft war. Ihre Silhouette klar und deutlich erkennbar, weder durchscheinend noch schimmernd. Es würden sofort ihr gewelltes, schwarzes Haar und die unnatürlich roten Augen hervorstechen, und würde man ihr gegenüberstehen, so verspürte man einen Anflug der Furcht. Nicht zuletzt wäre dies den anmutigen, gedrehten Hörnern auf ihrem Haupt geschuldet und der aufrechten, selbstsicheren Haltung. Vielleicht sah man jedoch eine vage Spur der Unsicherheit in ihrem Gesicht. Doch tief in ihren blutroten Augen, die alles andere als tot und leer waren, spiegelte sich das Licht. Ein Licht, welches niemals erlosch...und so blickte sie in die Gesichter all jener, deren Körper schon lange verschwunden waren, doch deren Seelen niemals vergingen.

„...losia! Celosia!! Halloooo?!"
Fast sofort machte sich ein ziemlich unangenehmes Pochen in ihrem Kopf bemerkbar, als sie langsam wieder die Bewusstseinsebene betrat. Unter gewisser Anstrengung gelang es Celosia, zu blinzeln und die Augen schließlich ganz zu öffnen. Die Herkunft der ungeduldigen Stimme war zunächst nicht auffindbar, erst nach einigen Sekunden wich die Unschärfe und die Dämonin sah langsam wieder klar. „Was...?", murmelte sie leicht undeutlich, die Benommenheit war noch nicht völlig weg. Sie blickte in Andras' feuerfarbene Augen, die sie in einer Mischung aus Genervtheit und Besorgnis fixierten.
Besorgnis?? Naja, egal...
„Na endlich bist du mal wach", rief er triumphierend, was für Celosia in ihrem momentanen Zustand eindeutig zu laut war.
„Mhhh", gab sie erschöpft von sich. Was war geschehen, dass sie sich so fühlte? War sie auf einem Konzert gewesen und hatte sich im Moshpit geprügelt?
Verdammt...das Konzert! Natürlich war sie nicht auf einem Konzert gewesen! Dank dieser Höllenaktion hatte sie die Live-Darbietung von Iron Maiden verpasst. Für die sie eine Ewigkeit zuvor schon das Ticket organisiert hatte. Der Ärger ließ Celosia nun allmählich wacher werden, sie bekam es sogar auf die Reihe, Andras einen giftigen Blick zu schenken. Doch dieser brachte nichts weiter als ein selbstgefälliges Grinsen zustande.
„Nun schau nicht so...wir haben noch ein paar Dinge vor." Celosia war über diese Mitteilung alles andere als erfreut, doch sie stemmte sich widerwillig hoch, bis sie schließlich etwas wacklig auf den Beinen stand. Sie musste jedoch feststellen, dass sie sich noch immer in der Fensterzelle befand. Die Diener des Teufels hatten es nicht einmal für nötig gehalten, sie nach ihrem Kollaps an einen anderen Ort zu bringen. Fragend blickte sie zu Andras. „Was soll das denn? Warum bin ich immernoch hier?", fragte Celosia ihn genervt.
„Wer sagt denn, dass du hier bleibst?", stellte Andras ein wenig amüsiert die Gegenfrage. So sah das also aus. Sie würde ab sofort nach ihrer Pfeife tanzen, einfach weil sie nicht wusste, was noch alles auf sie zukam. Oh nein, so nicht. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust, bereit, genau an der Stelle stehen zu bleiben, selbst wenn es stundenlang war. Doch was brachte es? Unmittelbar darauf traf sie ein heftiger Schlag in den Rücken, der ihr für einen Augenblick die Luft nahm. Keuchend taumelte Celosia nach vorne. Und als wäre das nicht schon genug, dröhnten wie auf Knopfdruck plötzlich Stimmen in ihrem Kopf, so laut, dass es wehtat. Sie presste die Hände an den Kopf, doch es brachte nichts.
Was zum...was passiert mit mir?! Ihr Körper hatte sich verkrampft.
Nach einigen Augenblicken der Qual schienen die Geräusche jedoch leiser zu werden. Allmählich ebbten sie ab, und die Dämonin sah und hörte wieder klar, was um sie herum passierte. Zitternd nahm sie die Hände wieder runter und drehte sich vorsichtig um. Sie richtete ihre glasigen Augen auf die Schlange, die ein gehässiges Grinsen aufgesetzt hatte, und versuchte, so grimmig wie möglich dreinzublicken, aber...natürlich erzielte sie nicht den gewünschten Effekt.
Also blieb ihr nichts anderes übrig, als schon wieder den beiden Dämon hinterher zu latschen und sich auszumalen, welche Qualen ihr wohl als nächstes bevorstanden.

Sie passierten Gang für Gang, Korridor für Korridor, bis sie schließlich durch ein steinernes Tor, wie es so oft hier unten zu finden war, traten. Doch der angrenzende Raum war...bescheiden? Vor Celosia lag ein Zimmer, welches bis auf ein paar zerbrochene Steinsäulen völlig leer war. Unfreiwillig betrat sie den Raum gemeinsam mit Andras, der in der Mitte der Kammer die Arme ausbreitete, sodass es aussah, als wolle er sie in der Eingangshalle einer prunkvollen Villa willkommen heißen. Doch hier unten wirkte die Geste einfach nur lächerlich.
„Was soll das alles?", fragte sie mit knurrender Stimme, das Dröhnen in ihrem Kopf war langsam verebbt. Doch anstatt zu antworten, legte Andras seinen Mantel ab und warf ihn der Schlange in die Arme, die etwas trotzig dreinblickend die Kammer verließ und wer weiß wohin ging. Andras stand nun in einem engen, schwarzen Pullover und seiner schwarzen Jeans vor ihr. Für einen uralten Dämonen war er ziemlich casual gekleidet.
„Jetzt ist der Moment", sprach er, „in dem du deine Fähigkeiten austesten kannst." Er erntete einen fragenden Blick von Celosia, die zusätzlich noch eine Augenbraue hochzog. „Meine Fähigkeiten austesten? Ich weiß, was ich kann", erwiderte sie mit einem leichten Grinsen.
„Oh, das weißt du nicht." Er sprach leise und wissend, in seinem Gesicht schien keinerlei Regung zu sein, und das reichte aus, um Celosia innehalten zu lassen.
Was soll denn jetzt noch kommen? Was will er mir weismachen? Schön, dann spiele ich eben mit.

„Greif mich an."
Wie bitte? Auch wenn dies ein sehr verlockender Gedanke für Celosia war, so war doch Unsicherheit vorhanden. Was, wenn dies Konsequenzen hatte? Was, wenn man sie für irgendetwas verantwortlich machen würde? Aber gleichzeitig hatte sie doch nicht den Hauch einer Chance gegen Andras...auch wenn er ähnlich alt war wie sie. Doch er war um einiges stärker, das hatte sie an seiner Seele gespürt. Sie hatte nicht ergründen können, wie das möglich war, jedoch...er bat sie regelrecht darum, ihn anzugreifen.
Ist der ein Masochist oder was?
Doch Celosia beschloss, keine weiteren Gedanken daran zu verschwenden und machte sich stattdessen bereit: sofort ließ sie über beiden Handflächen mittelgroße Flammenkugeln erscheinen, die bedrohlich leuchteten. Andras' Mundwinkel zuckten etwas, doch er machte keinerlei Anstalten, sich zu bewegen. Celosia verkniff sich mit Mühe ein Grinsen. Der Raum war nicht groß, wenn sie die Feuerkugeln schnell abfeuerte, würde er ihnen unmöglich ausweichen können.
Sie zögerte lange.
Die Entspanntheit, die Andras innewohnte, verunsicherte sie.
Doch es war längst zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Also feuerte Celosia die brennenden Kugeln ab, eine nach der anderen. Sie rauschten schnell auf Andras zu, und als sie meinte, er würde wirklich die ganze Zeit auf der Stelle stehen bleiben und sich treffen lassen, da geschah das Unfassbare: anstelle einer Explosion und einem verkohlten Andras sah Celosia...nichts?! Nichts außer der Wand ihr gegenüber, die nun ziemlich verrußt war. Wo zur Hölle war dieser Dämon?
Er konnte doch nicht...
Celosia wirbelte herum. Und tatsächlich, hinter ihr stand er, komplett ruhig, mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
„Versuch's nochmal", forderte er sie auf.

Die Dämonin ließ sich nicht lange bitten. Erneut wallte in ihren Handflächen das Feuer auf, sie versuchte, all ihre Macht zu konzentrieren. Die Flammenkugeln, die sich nun bildeten, waren gleißend hell, beinah weiß, und selbst Celosia spürte leicht, welch eine enorme Hitze von diesen ausging.
Sie holte aus, um die Orbs von sich zu schleudern, doch sie ließ Andras nicht aus den Augen. All ihre Sinne fixierten sich auf ihn, er war ihr Ziel. Diesmal würde sie nicht verfehlen.
Zumindest nicht unabsichtlich...

Und so flog auch schon ein Flammenball in Andras' Richtung. Wie erwartet wich der Dämon aus, doch diesmal entkam er Celosias Blickfeld nicht. Sie erkannte jede einzelne seiner Bewegungen deutlich, anders als vorhin, als sie geglaubt hatte, er hätte sich teleportiert. Doch jetzt gab es kein Entkommen.
So schnell wie Andras ausgewichen war und sich hinter sie begab, machte Celosia eine halbe Drehung und grinste bereits selbstsicher, noch bevor er ankam.

Überrascht riss er die Augen auf und unmittelbar darauf traf ihn der zweite, hell lodernde Feuerball direkt in die Brust.

Out of Hell - Die Geschichte eines uralten DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt