Kapitel 22 - Vivian

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Vivians PoV:
„Guten Tag Frau Aigner." Mit diesen Worten begrüßte der Psychologe meine Schwester.
Er war ein Mann etwa in Karos Alter und hatte eine sehr sympathische Ausstrahlung.
Karo begrüßte ihn ebenfalls und schüttelte seine Hand.
„Das ist übrigens meine kleine Schwester Vivian", merkte sie an, da mich der Psychologe anscheinend noch nicht wirklich wahrgenommen hatte.
Er gab mir ebenfalls wie Karo die Hand und begrüßte mich strahlend: „Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin der Herr Heyne. Thomas Heyne." Nun drehte er sich wieder zu meiner Schwestern und meinte: „Frau Aigner, sie wissen doch aber von der Regel, dass ohne speziellen Termin weder Freunde noch Familie mitkommen darf."
Karo nickte und erklärte ebenfalls strahlend: „Ja, dem bin ich mir durchaus bewusst, aber in diesem Termin soll es auch nicht um mich gehen, sondern um meine kleine Schwester hier. Wir brauchen nämlich dringend Klarheit über einige Dinge und wir erhoffen uns, dass sie uns dabei weiter helfen können."
Herr Heyne wirkte ein wenig verwirrt, aber sagte sonst nichts. Stattdessen bat er uns in einen minimalistisch, aber auch gemütlich eingerichtetes Zimmer und meinte, dass er gleich nach kommen würde.
Ein wenig ratlos stand ich mitten im Raum, da ich nicht wusste, wo ich mich setzten sollte. Karo hingegen steuerte zielsicher auf ein kleines Sofa zu und ich folgte ihr einfach. Das Sofa war gerade so groß, dass dort zwei Leute drauf passten.

Während wir auf Herrn Heyne warteten, betrachtete ich den Raum genauer. In der Ecke neben der Tür stand eine altmodisch aussehende Standuhr. Ansonsten stand außer dem Sofa nur noch eine kleine Kommode und ein Sessel, mit einem scheußlich aussehenden grünen Samtüberzug. Denselben Samtüberzug trug auch das Sofa. Der Raum könnte auch aus dem Haus einer alten Oma stammen. Meinen Geschmack traf es definitiv nicht. Es war mir zu unpersönlich und Omahaft. Keine Bilder oder Pflanzen, nur diese vier Möbelstücke.

„So, da bin ich. Wie gefällt dir der Raum Vivian?", sagte der Psychiater überschwänglich, als er den Raum betrat. „Die meisten Möbelstücke habe ich von meiner Mutter geerbt, die vor ein paar Jahren gestorben ist, und ich dachte, hier finden sie einen schönen Platz und setzt ihr ein schönes Denkmal."
Nun hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich zuvor so schlecht über die Möbel gedacht hatte, und außerdem fragte ich mich, warum er mir das alles erzählte. Ich hätte gedacht, dass sich die Patienten dem Psychiater öffnen sollen und nicht umgekehrt.
„Ist ganz nett", erwiderte ich verunsichert.
Er legte den Kopf schief, grinste und meinte: „Ehrlich. Du siehst aber nicht wirklich überzeugt aus."
Mist. Hoffentlich hatte ich ihn wegen seiner Mutter nun nicht verletzt.
„Ich war nur ein wenig überrascht, dass sie mir das erzählt hatten."
Karo gluckste und klopfte mir auf die Schulter.
Dabei sagte sie: „Er erzählt gerne viel. Er denkt, das helfe seinen Patienten dabei, sich ihm gegenüber zu öffnen, wenn er sich ihnen gegenüber ebenfalls ein wenig öffnet."
Der Psychologe lachte amüsiert auf und erwiderte: „Absolut richtig. Ich bin der Meinung, dass sich die Patienten mich nicht als komplett Fremden wahrnehmen sollen und ich bin der festen Überzeugung, dass es den Patienten ein besseres Wohlfühlgefühl gibt, wenn sie die Geschichte hinter den Räumen kennen."
Kaum merklich runzelte ich die Stirn und nickte verständnisvoll, obwohl mir das Verständnis beinahe fehlte. Dieser Termin verlief bis jetzt absolut nicht so, wie ich es erwartet hätte. Herr Heyne passte absolut nicht in das Klischee eines Psychologen und generell schienen er und Karo sich besser miteinander zu verstehen, als es üblich ist. Sie wirkten mehr wie gute Freunde, als wie Psychiater und Patientin.
Wie auch immer, das Ganze geht mich auch gar nichts an. Ich bin ja schließlich nicht dafür dort gewesen.
„Nun erzähl doch mal von deinen Träumen Vivian", forderte Karo mich auf.
Ich kam ihrer Aufforderung nach und erzählte jedes kleine Detail, an das ich mich noch erinnern konnte. Ab und zu ergänzte Karo noch etwas, was ich ihr erzählt hatte. Während dessen nickte Herr Heyne nur aufmerksam und machte sich immer mal wieder Notizen auf einem Zettel, den er an ein Klemmbrett geheftet hatte. Ab und zu hakte er an manchen Stellen nach, weil er etwas, was er nicht ganz verstanden hatte und dies richtigstellen wollte, oder weil ich etwas noch mal wiederholen sollte, da er mit seinen Notizen nicht hinterherkam.

Irgendwann war ich dann auch schließlich fertig mit erzählen und der Psychiater fertig mit seinen Notizen. Bevor er uns mitteilte, wie er das mit den Träumen deutete, klopfte er ein paar Mal mit seinem Kugelschreiber auf das Klemmbrett in seiner Hand. Als er dann schließlich den Mund auf machte, um es uns mitzuteilen, wurde er von fünf lauten „Kuckuck" Schreien unterbrochen. Dies erschrak mich so doll, dass ich kurz aufschrie und Karo aus Versehen meinen Ellenbogen in die Seite rammte. Anstelle sich darüber zu beschweren, dass sie nun wahrscheinlich einen blauen Fleck davon tragen würde, lachte sie nur laut über mich. Herr Heyne stimmte in ihr Gelächter ein und schlussendlich musste ich ebenfalls mitlachen.
Noch vor lachen keuchend sagte Herr Heyne: „Das hätte ich natürlich noch erwähnen sollen, dass die Standuhr eine Kuckucksuhr ist."
Wir fingen uns alle wieder und anstelle, dass Herr Heyne uns sagen konnte, was meine Träume zu bedeuten haben, meinte er, dass er eine Vermutung hätte, aber sich in dem Thema zu wenig auskenne. Es hieß, dass er sich in dem Bereich noch mehr informieren und mit ein paar Fachleuten reden würde und wir in ein bis zwei Wochen noch einmal vorbei schauen sollen. Er würde uns dann anrufen, wenn es so weit wäre.
Karo und ich stimmten zu, verabschiedeten uns und verließen die Praxis

The Girl in my headWo Geschichten leben. Entdecke jetzt