Kapitel 11

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AZRIEL

Ich blickte zwischen Cassian und Rhysand hin und her, die seit gut zehn Minuten aufgeregt miteinander sprachen. Nachdem Melany gegangen war, kamen Nesta und Feyre zu uns ins Wohnzimmer. Alle hatten denselben nervösen Blick im Gesicht - Vermutlich aber nicht aus denselben Gründen. Wie ich durch das Gespräch zwischen Cassian und Rhysand feststellen konnte, war ihre Sorge Virions Angriff. Die von Nesta und Feyre müsste die Sorge um ihre Freundin sein, so wie sie auf die Neuigkeiten reagiert hatten. Auch wenn ich immer noch nicht wusste, woher sie sich kannten. Und woher Rhys und Cass Melany kannten.

Seufzend lehnte ich mich im Stuhl zurück und ließ meine Flügel auf der dafür ausgelegten Rückenlehne ruhen. Meine Sorge waren Virion und Melany selbst - Sie mussten sich kennen. Auch wenn sie es nicht direkt gesagt hatte, war sie in einem Punkt im Recht: Virion war zur Versammlung erschienen. Er hätte in ganz Velaris jeden erdenklichen Platz aussuchen können, um seiner primitiven Begierde nachzugehen. Doch er hatte sich vom Haus der Winde entfernt und war zum Ratsviertel gegangen. Keine normale Route für jemanden, der sich in der Stadt nicht auskannte. Außer, es gab jemanden in diesem Viertel, den er finden wollte.

»Woher kennst du Melany?«, platze ich mit meiner Frage raus. Alle schauten mich verwundert an; vermutlich deshalb, weil Cass und Rhys noch immer in ihr Gespräch vertieft waren. Dennoch blieb mein Blick auf Cassian geheftet. Er blinzelte ein paar Mal, wie als würde er die Frage überdenken, und zuckte dann mit den Schultern.

»Ich kenne sie bereits seit fast einem Jahrhundert«, sagte Cass. Das war keine Antwort auf meine Frage. Fordernd hob ich die Augenbrauen.

Cassian verdrehte die Augen, bevor er nachdenklich die Stirn runzelte und schließlich antwortete. »Vor ca. 70 Jahren sind sie, ihre Cousine und dessen Mann nach Velaris geflohen.«

Rhys nickte auf seinem Platz. »Damals haben Nova und ihr Mann in eines der illyrianischen Lager gelebt, bevor sie nach Velaris kamen.«

Ich sah Rhys fragend an. »Nova kenne ich«, sagte ich und schüttelte dann den Kopf »aber Melany hatte nicht dieselben... Verletzungen.« Ich erinnerte mich an den Anblick von Novas Flügeln. Ihr war damals nicht vergönnt gewesen, als Frau ausgebildet zu werden. Sie konnte sich immerhin glücklich schätzen, einen Mann wie Edrin zu haben.

»Sie ist auch nicht Halb-Illyrianerin«, sagte Cassian. »Sie ist eine vollwertige High Fae.«

»Und wo hat sie dann gelebt, bevor sie nach Velaris kam?«

»In der Höhlenstadt«, sagte Cassian. Nesta und Feyre zogen überrascht die Augenbrauen hoch. Auch ich schaute verwirrt in die Runde. Cassian wandte sich an Nesta, bei der die Überraschung in Nervosität umschlug. Sie verhielt sich schon den ganzen Tag so merkwürdig und anscheinend entging es auch Cassian nicht. »Wusstest du das nicht?«, fragte er an sie gewandt. Sie schüttelte bloß den Kopf.

Als Cassian den Mund öffnete um noch was zu sagen, ergriff ich schnell das Wort. »Du hast davon gewusst?«, fragte ich an Rhys gewandt. Er hatte bei Cassians Worten nicht überrascht geschaut.

»Natürlich habe ich davon gewusst«, sagte Rhys. »Ich bin schließlich der High Lord. Und wenn jemand nach Velaris kommen will, muss ich das wissen.«

»Und trotzdem hast du Melany nie getroffen?«

»Nein«, antwortete Rhys. »Was ist los Az? Wozu die ganzen Fragen?«

»Ich denke nicht, dass Virions und Melanys Zusammentreffen Zufall war«, sagte ich schließlich. Cassian wandte den Blick von Nesta auf mich, und auch Rhys sah mich aus verengten Augen an. »Sie hat selbst gesagt, dass das Viertel zu weit weg ist, als dass sich einer von Keirs Leuten dahin verirrt. Entweder hat Keir ihn dorthin zum Spionieren geschickt, oder Virion wusste, wen er dort findet.«

Der Ruf des SchattensängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt