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~Liv~
„Hey Mum ich bin Zuhause!" „Hallo mein Engel, wie war der erste Schultag?" fragte meine Mum, kam mit einem Lächeln auf mich zu wischte sich ihre Hände an der Schürze ab die sie umgebunden hatte und nahm mich feste in den Arm. „Schön! Außer Spanisch haben Leyla und ich alle Kurse zusammen! Geschichte, Englisch und Chemie haben wir sogar mit Adam zusammen!" Sie musste nicht wissen, dass ich am liebsten nicht hingegangen wäre. Sie musste nicht wissen, wie schwer es mir gefallen war Zeit mit Leyla zu verbringen. Sie musste nicht wissen, wie ich mich fühlte als John mich angesehen hat als würde er mich durchschauen. Sie musste nicht alles wissen! „Oh das ist wirklich schön liebes! Es freut mich dass du so gut wieder dich eingefunden hast! Ach was rede ich da das tust du ja immer! Daddy wäre so stolz auf dich!" „Danke Mum" ich merkte wie mir die Tränen kamen und umarmte meine Mutter noch etwas fester. Ich vermisste meinen Dad so sehr, denn wäre er noch hier vielleicht wäre dann viel von dem was mir widerfahren ist nicht passiert. Vielleicht wäre mein Leben dann anders, vielleicht wäre ich anders! „Wonach riecht es hier eigentlich hast du gebacken?" Ich unterdrückte die Tränen, setzte ein Lächeln auf und löste mich aus der Umarmung. „Ja! ich habe deine Lieblingskekse gebacken." „Coconut choclate chip Cookies!" Riefen wir zeitgleich und fingen an zu lachen. Ich liebte meine Mum, sie war der warmherzigste, freundlichste und gütigste Mensch den ich kannte.

Ich brachte meine Tasche in mein Zimmer, ließ mich auf mein Bett fallen und dachte über den Tag nach. Ich hatte den Tag geschafft aber es war hart gewesen wirklich hart, ich meine Leyla in die Augen zu sehen und so zu tun als wäre alles in Ordnung, Zeit mit ihr und Adam zu verbringen und meine Rolle zu spielen die Rolle der vorzeige Schülerin und immer gut gelaunten Freundin, die das perfekte Leben führt aber das tat ich nicht mein Leben war so ziemlich das Gegenteil von perfekt aber außer mir wusste das keiner oder naja nur einer aber auch nur weil er daran Schuld war.
Es tat mir weh darüber nachzudenken ich wollte das nicht ich wollte es vergessen vergessen was passiert war, vergessen was ER mir angetan hatte immer wieder, vergessen was ICH getan hatte, aber das ging nicht die Erinnerungen hatten sich in mein Gehirn eingebrannt und in mein Herz. Ich stand auf um meine Zimmertüre abzuschließen bevor ich meine Jacke auszog und mich vor meinen großen Wandspiegel stellte. Nicht nur in meinem Kopf und in einem Herzen trug ich die Erinnerungen, sondern auch an meinen Armen, meinen Beinen, meinem Bauch. Mit den Fingerspitzen fuhr ich über die älteren, rosafarbenen, wulstigen Striemen an meinem linken Arm und um die frischeren, roten an meinem rechten Unterarm. Mir kamen die Tränen als ich daran dachte wie sie entstanden waren, was ich mir immer und immer wieder selber antat. Ich erinnerte mich noch daran wie vor 9 Jahren die ersten entstanden waren und ich sah wieder vor mir wie vor zwei Tagen die letzten entstanden waren. Es war für mich der einzige Weg mit allem was passiert war klarzukommen der einzige Weg um zu überleben irgendwie! Ich wandte schnell den Blick ab weil ich meinen Anblick im Spiegel nicht mehr ertragen konnte.
Dann zog ich mir was bequemes an und band meine Haare zu einem Knoten zusammen, bevor ich wieder runter in die Küche ging und meiner Mum half das Chaos was sie beim Backen angerichtet hatte wieder in Ordnung zu bringen.
„Was hältst du davon wenn wir einen Grey's Anatomy Marathon machen, uns aufs Sofa kuscheln und die Kekse knabbern?" „Oh ja das wäre echt schön!" Meine Mum und ich waren beide riesige Grey's Anatomy Fans und ich liebte es einfach mit ihr zusammen auf der Couch zu sitzen und den ganzen Abend zu schauen wie sie Leben retteten.

Gegen 22 Uhr, nach sechs Folgen unserer Lieblingsserie und einer Unmenge gegessener Kekse schlief meiner Mum auf dem Sofa ein. Ich stand auf, schaltete den Fernseher aus und legte eine der Wolldecken aus dem Korb neben der Couch über sie, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging hoch in mein Zimmer. Ich schaltete das Licht ein, verschloss die Tür hinter mir und schloss die Vorhänge, bevor mich meinen Kleiderschrank öffnete und die lose Diele im Schrankboden nach oben drückte und die kleine Kiste die ich dort versteckt hatte herausnahm. Nachdem ich die Diele wieder zurück geschoben hatte und die Schranktüren geschlossen waren setzte ich mich auf mein Bett und öffnete die Holzkiste.
Obenauf lag ein Bild von mir und Dad wie er mich hochhob. Damals war ich sechs und es war kurz vor seinem nächsten Auslandseinsatz und wie sich später rausstellte letzten Einsatz gewesen. Es war das letzte Bild dass ich von ihm hatte. Immer wenn es mir schlecht ging nahm ich es zur Hand und drückte es an mein Herz. Wie oft es mir schlecht ging sah man daran wie zerknittert es mittlerweile war. Heute lächelte ich nur traurig und flüsterte leise „Ich vermisse dich Daddy!" als ich es ansah und legte es zur Seite, um mein Tagebuch herauszunehmen, in welchem sich über die Jahre zusätzlich hunderte von mir an meinen Daddy geschriebenen Briefe befanden, in denen ich ihm alles erzählte, alles was ich sonst niemandem erzählen konnte.
Nachdem ich das Buch zur Seite gelegt hatte kam nun endlich auch das zum Vorschein was ich suchte als ich eins der Teile in die Hand nahm und das kühle Metall in meinen Händen spürte fühlte ich mich sofort ruhiger. Ich wusste was ich tun wollte aber auch was ich auf keinen Fall tun sollte. Ich dachte nicht lange darüber nach und zog das kühle Metall über meinen Arm. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann nahm ich einen Verband aus der Kiste und wickelte ihn um meinen Arm damit es nachher keine Flecken gab.
Als ich alles wieder in der Kiste und die Kiste unter der Diele im Schrank verstaut hatte legte ich mich ins Bett und schaltete das Licht aus. Ich hoffte darauf diese Nacht nicht von meinen Alpträumen verfolgt zu werden auch wenn ich wusste wie naiv diese Hoffnung war.

Ich redete mir ein dass ich irgendwann darüber hinweg kommen würde. Irgendwann. Irgendwann würde es nicht mehr wehtun. Irgendwann würde es mich nicht mehr verfolgen. Irgendwann würde ich nicht mehr seine Berührungen spüren. Irgendwann wäre ich wieder glücklich. Irgendwann wäre das alles Vergangenheit. Irgendwann wäre alles wieder gut.

Never let me drownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt