Der Räuberbräutigam (1)

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„Uppsala!", hörte ich es murmeln, als ich langsam meine Augen wieder öffnete. Mattes Licht blendete mich, sodass ich einige Mal blinzeln musste, um wieder klar sehen zu können.

Eine junge Frau starrte auf mich hinab. Ihr Haar war lang und seidig und in ihren blauen Augen lag ein schönes Leuchten. All das waren keine Anzeichen, die mich in irgendeiner Weise verwundert hätten, wäre da nicht ihre Kleidung gewesen. Sie trug ein rotes Kleid, das alles andere als modern wirkte.

Immer noch panisch starrte sie auf mich hinab.
Ach du heilige Makrele – ich war in einem Märchen! Hektisch blickte ich mich um. Es musste doch irgendein Anzeichen dafür geben, wo ich gelandet war.

„Was machst du gerade?", meine direkte Frage schien die junge Frau sichtlich zu überraschen, denn sie wich einen Schritt zurück. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Wie oft fiel schon jemand vom Himmel und wollte dann nicht wissen, wo er war.

„Ich bin auf dem Weg zu meinem Verlobten", stotterte sie unsicher.
Damit konnte ich Hänsel und Gretel schon einmal ausschließen, aber es gab immer noch viel zu viele Hochzeiten in Märchen. Vielleicht sollte ich, wenn ich schon hier war, direkt die Scheidung einführen und das Jugendamt am besten gleich mit.

„Und wer bist du?", wollte sie von mir, wobei ihr Blick von meinem schwarzen Rammstein Shirt zu meinen Lochjeans glitt. Ich musste wirklich einen seltsamen Anblick bieten.

„Ich bin Alma und von nun an wohl dein Schutzengel."
„Schutzengel?", wiederholte sie irritiert.
Ich war ebenso verwundert. Hab es in Märchen Religionen? Vielleicht – in diesem schien das jedoch nicht der Fall zu sein.

„Du weißt schon, ich passe auf, dass du nicht stirbst und so."
„Wann sollte ich denn sterben?"
„Keine Ahnung", ich rappelte mich auf, „das weiß ich noch nicht, aber wenn es so weit ist, sage ich dir Bescheid."

Sonderlich überzeugt wirkte die Fremde nicht, nickte aber.
„Okay, wie heißt du?"
„Hildegard."

Ich blinzelte. Offenbar war sie nicht Aschenputtel. Wir kamen voran, wenn auch nur langsam. Ich versuchte mich an weitere Märchen zu erinnern, doch mir fiel keines mehr ein.

„Freut mich, ich bin Alma und was willst du damit?", mit dem Kinn deutete ich auf ihre Hand, in der sie einen kleinen Beutel hielt.
„Das sind Erbsen und Linsen. Ich werde sie auf den Weg werfen, um den Weg zurückzufinden."
Umweltfreundlich war sie ja.
„Und woher weißt du den Weg?"

„Mein Verlobter bat mich, ihn in seinem Haus zu besuchen. Deshalb streute er Asche über den Weg, damit ich zu ihm finden würde. Mein Vater hat ihn auserwählt, aber er ist mir nicht ganz geheuer", gab sie zu und ließ ihren Blick unsicher durch den Wald streifen.

„Kein Wunder", ich zuckte mit den Schultern, „der Typ hat jede Menge Asche – schon mal gefragt woher?"
„Äh", sie stockte, „eigentlich nicht."
„Gut so, manche Dinge will man nicht wissen. Und was sollen die Erbsen und Linsen bringen."

Sie wirkte beinahe irritiert über meine Frage: „Na, wenn ich zurücklaufe, sprießen sie aus der Erde."
„Warst du mal in der Schule?"
„Was ist das?"
Das erklärte einiges.

„Okay", ich seufzte, „was hätte ich auch anderes erwartet. Erbsen und Linsen wachsen nicht innerhalb von ein paar Stunden!"
„Tun sie nicht?", ungläubig starrte sie mich an. Sollte ich ihr auch noch sagen, dass die Erde keine Scheibe war, oder würde das ihr kleines Gehirn zu sehr beanspruchen?

„Nein, absolut nicht. Hast du Spraydosen?"
„Was ist das?"
Um Himmels Willen – dieses Kind brauchte ein bisschen Grundwissen.
„Okay, weißt du was. Lass uns einfach gehen! Ich merk mir den Weg schon und du streust deine Erbsen."

Hätte mir jemand sagen können, wie anstrengend Jungfrauen sind, ehe ich mich über die Märchen der Grimms beschweren musste?

Gemeinsam setzten wir den Weg fort, wobei Hildegard immer wieder Linsen und Erbsen fallen ließ, während ich versuchte, mich an das Märchen zu erinnern. Irgendwann kamen wir an einer Hütte an, an der die Aschespur endete. Skeptisch musterte ich das alte Holzhaus. Hildegard tat es mir gleich. Ich wollte schließlich die Tür öffnen, doch meine Hand glitt durch die Klinke hindurch.

„Was zum Kuckuck", wieder versuchte ich es, aber dasselbe passierte.
„Du bist auch durch mich hindurchgefallen", ließ Hildegard mich wissen.

Überrascht hielt ich inne. Bedeutete das etwa, ich war ein Geist? Und wieso wollte sie nicht wissen, wie ich das gemacht hatte? Hinterfragte dieses Mädchen denn wirklich nichts in ihrem Leben?

Ohne ein weiteres Wort, schob Hilde sich an mir vorbei und trat ein. Ich folgte ihr eilig. Im Inneren der Hütte war es dunkel. Langsam ging meine Begleiterin voraus, als ein lautes Krächzen erklang.

„Kehr um, kehr um, du junge Braut, du bist in einem Mörderhaus!"

Augenblick erstarrte ich. Wir mussten hier raus! Sofort! Ich wollte Hildes Arm greifen, doch sie lief einfach weiter. Hinzu kam noch, dass ich ohnehin durch sie hindurchgegriffen hätte.

„Hildegard", raunte ich, aber sie reagierte nicht. Wie gebannt sah sie zu dem Vogel hinauf, der in einem Käfig saß und erneut rief: „Kehr um, kehr um, du junge Braut, du bist in einem Mörderhaus!"
Mich schien er gar nicht wahrzunehmen.

„Hildegard!", rief ich sie wieder, während ich ihr eilig nachlief, „du hast mich vorhin gefragt, wann du sterben könntest: Jetzt kannst du es, also lass uns verschwinden!"

Noch immer drehte sie sich nicht um. Ich hielt an.
Vielleicht wäre es am sinnvollsten, einfach draußen auf sie zu warten. Dann erinnerte ich mich jedoch an die Worte der Grimms: Wenn sie starb, würde ich mit ihr sterben.

„Ist das euer Ernst?", fragte ich seufzend gen Himmel, aber keine Antwort erklang. Was hatte ich auch erwartet?
Die Grimms hätten mir ruhig eine intelligentere Jungfrau zum Starten geben können!

Mit einem genervten Stöhnen eilte ich Hildegard nach, die langsam durch einen leeren Raum nach dem nächsten ging, bis sie begann, den Keller anzusteuern.

Was hätte ich auch sonst von ihr erwartet? Wohin sollte man gehen, wenn man in einem fremden Mörderhaus war? Genau, in den Keller – NICHT!

Ich trat hinter ihr in den Raum, als sie stehen blieb. Nun erkannte auch ich die Frau, die vor uns auf einem Schemel saß. Ihr steinaltes Gesicht war bestand regelrecht aus Falten, was ihr etwas Gespenstisches verlieh.

„Wirkt nicht wie dein Verlobter. Dann können wir ja gehen", murmelte ich, aber wie immer schien Hilde mich gekonnt zu ignorieren.
Was brachte ein Schutzengel, auf den niemand hörte?

„Könnt Ihr mir sagen, ob mein Bräutigam hier wohnt?"
„Wieso fragst du noch?", am liebsten hätte ich ihr eine Kopfnuss verpasst, „selbst wenn er hier wohnt, sollten wir uns schleunigst verpissen!"

☕︎

Morgen erfahrt ihr, was die Alte zu erzählen hat...

(Eigentlich wollte ich nicht so asozial sein und zwei Teile machen, aber meine Schmerztablette lässt gerade beim Überarbeiten nach und ich dachte mir: Besser ein halbes als keins)

Stirb nicht, Prinzessin | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt