duschen.

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Berta öffnet die Duschkabine, zwängt sich hinein und nimmt den Duschkopf in die Hand. Er ist leicht, fühlt sich fast wie Plastik an. Sie dreht den silbernen Hebel für die Temperatureinstellung nach unten. Genau zwischen den roten und den blauen Kreis. Würde sie warm duschen, würde sie sich faul fühlen, würde sie kalt duschen, würde sie viel zu selten duschen.
Sie richtet den Strahl sofort auf ihren Bauch. Den Blick allerdings woanders hin. Auf die Fliesen, die Wand, die Waschbecken, bloß nicht auf ihren Körper.

,,ich will aber nicht duschen!", schreit Fiona trotzig. Zum fünften Mal. Zum sechsten Mal fordert ihre Mutter sie, nun hörbar genervt, ,,du wirst aber heute duschen, du hast den ganzen Tag bei Regen im Matsch gespielt." auf.
Fiona verschränkt die Arme und sagt einfach ,,nö."
Zwanzig Minuten später steht sie aber trotzdem unter der Brause. Die Scheiben beschlagen und mit der Zeit wandelt sich auch Fionas verärgerte Miene zu einem kindlichen Lächeln. In der Badewanne wäre sie jetzt trotzdem lieber.

Igor humpelt in die Dusche. Er beginnt den Tag wie jeden anderen. Dementsprechend gelassen stellt er sich unters Wasser. Ein Genießer, so würde er sich selbst beschreiben. Doch das tagtägliche Duschen ist keine Besonderheit mehr. Nach einer außergewöhnlich anstrengenden Nacht ist sie ihm lieb wie ein Festmahl aber die letzte Nacht war normal.
Fünf Stunden Schlaf sind normal.

Paul steigt zitternd in die Dusche. Er sieht aus, als hätte er Schüttelfrost und eine Ladung Schnee in die Augen bekommen.
Er reißt den Hahn voll auf, die Temperatur ist irrelevant. Es muss einfach nur Wasser laufen, viel Wasser laufen, laut sein.
Paul zittert immer mehr und mehr. Seine Zähne schlagen aufeinander. Seine Hände zucken, seine Muskeln hüpfen.

Vio hopst mit tomatenrotem Kopf unter die Dusche. Sie stellt auf die kälteste Stufe und hält sich den Duschkopf direkt über den Kopf. Jedes Mal ums Neue überrascht die Kälte sie und jedes Mal ums Neue hat sie das Gefühl, Nanosekunden-Migräne zu erleiden. Sie kichert, schäumt sich ein und ist keine sechs Minuten später bereits fertig.

Kyfiio steht in der Gemeinschaftsdusche. Unter seinen bronzefarbenen Füßen liegen glatte, gelbe Fliesen. Ob sie schon immer gelb waren, oder es erst geworden sind, will er gar nicht wissen. Ein Weiterer trottet in den Raum, Kyfiio nimmt es gar nicht mehr wahr. Er schlägt mit der Faust gegen den silbernen, verkalkten Knopf in der Wand. Es rattert und Kyfiio wartet auf das Wasser. Plötzlich schießt es aus dem an der Decke angebrachten Duschkopf hervor, früher als erwartet. Kyfiio springt zur Seite, den anfänglichen braunen Strahl will er so gut es geht vermeiden. Sobald die Flüssigkeit wieder klarer ist, hüpft er unters Wasser. Als wäre hinter ihm der Teufel her, wäscht er sich. Er muss sich beeilen, denn je länger das Wasser läuft, desto schlimmer riecht es im Raum. Keiner weiß warum, aber es macht krank.

Ernie hopst erwartungsvoll in die Dusche. Er stellt auf kalt, wie es vorgesehen ist, und lässt das Wasser zuerst über seine Füße laufen. Er arbeitet sich hoch zu seinen Waden, Oberschenkeln, schließlich zu seinem Oberkörper, den Schultern und dem Kopf. Sollte er es nächstes Mal vielleicht vor dem Yoga tun?

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