Wie man alles verlieren kann

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Eine Melodie ertönt in meinem Kopf, als würde jemand dort drinnen auf einige Tasten eines Klaviers drücken. Je näher mich meine Beine zum Schloss führen, umso lauter wird die Melodie und damit auch meine blanke Panik, vor dem, was noch kommen wird. Vor Kovas Tod. Durch meine Hände. Meine Augen brennen, als hätte ich sie in Säure getunkt. Doch obwohl ich das Gefühl habe, gleich zu weinen, verlässt kein Tropfen meine Augen. Ich wünsche mir, es wäre anders. Ich wünsche mir, dass die Umstehenden um mich herum den Verdacht, das etwas nicht stimmt, sehen könnten. Doch sie alle sind mit sich selbst beschäftigt. Wie sollte es auch anders sein?
      Abrupt stoppen meine Füße. Ein Mann hat sich mir in den Weg gestellt! Anders als erhofft, handelt es sich bei dem Mann nicht um Rowan. Dummer Gedanke, ich weiß. Ich könnte mich glücklich schätzen, dass sich mir überhaupt irgendwer in den Weg stellt. Selbst wenn nur das Unvermeidliche dadurch hinausgezögert wird.
     Ich kann das Gesicht des Mannes nicht richtig erkennen, da er die schwarze Kapuze seines Mantels tief in sein Gesicht gezogen hat und eine Art Halstuch alles unterhalb seiner Nase verdeckt. Ich würde ihn gerne fragen, wer er ist oder was er ist, doch kein Ton kommt aus mir heraus. Ich weiß nicht, ob es an der Magie liegt, die man mir auferlegt hat, oder ob ich es meiner eigenen Dummheit zuschreiben kann.
     »Armes Mädchen.« Seine raue Stimme bestätigt mir, dass ich seine breite Statur richtig eingeschätzt habe und vor mir keine Frau, sondern ein Mann steht. »Weißt du nicht das man sich von Elfen fernhalten soll?« Er legt seinen Kopf schief, doch weder das Tuch noch die Kapuze verrutschen. Ich kann nur seine silbernen Augen sehen, in denen ein amüsiertes Funkeln erscheint. Ob er weiß, das ich gehofft habe etwas mehr von seinem Gesicht sehen zu können?
     »Keine Sorge«, der Finger des Fremdes streicht sanft über meine Wange und hinterlässt ein Kribbeln auf meiner Haut. Hätte ich noch meinen Körper unter Kontrolle, wäre ich zusammengezuckt und automatisch einen Schritt zurückgegangen, doch stattdessen schaue ich stumm in die silbernen Augen des Fremden, unfähig auch nur ansatzweise zu reagieren. »Ich werde nicht zulassen, das sie deine Seele verpestet.« Der Fremde zieht seinen Finger zurück. Krampfhaft versuche ich die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Es klingt wie ein Versprechen. Ein Versprechen ... aber wofür? Noch ehe ich weiter darüber nachgrübeln kann, überkommt mich das Gefühl der Hilflosigkeit. Unsichtbare Hände scheinen nach mir zu greifen. Mir meinen Hals zuzudrücken, um mir das atmen zu erschweren, während ich nur gebannt dabei zusehen kann, wie schwarze Schwaden sich um den Körper des Fremden bilden und mich letztendlich in absolute Dunkelheit umhüllen.

Was ist passiert? Mein Kopf dröhnt, als ich mich hektisch auf der Tanzfläche umsehe. Eine verblasste Erinnerung über Kovas Tod schießt durch meinen Kopf, die ich sofort versuche abzuschütteln. Ich will daran nicht denken. Anscheinend hat mir die frische Luft doch nicht geholfen, mich zu beruhigen. Seufzend schaue ich auf und begegne Kovas besorgten Blick. Doch statt ihm zu signalisieren, dass es mir gut geht, kann ich meine Erleichterung über sein Wohlempfinden nicht verbergen. Es ist, als würde eine große Last von meinen Schultern fallen, die meine steife Körperhaltung automatisch lockert. Kova geht es gut. Es war nur ... keine Ahnung, was es war, doch diese Bilder waren nicht real, sind es nie gewesen. Ich schließe für einen kurzen Augenblick meine Augen und atme tief ein und aus. Einmal. Zweimal. Dreimal. Als ich sie wieder aufschlage, bemerke ich die Blicke der anderen Gäste auf mir. Eine unerträgliche Hitze strömt durch meinen Körper und lässt mich zittern. Sie tuscheln. Die Fremden tuscheln über mich, schenken mir abwertende Blicke. Ich wünschte, ich könnte behaupten, es liegt daran, das ich mitten auf der Tanzfläche stehe und mich nicht bewege. Doch ich weiß es besser. Kenne den Grund ihrer gehässigen Blicke und unhöflichen Flüstereien. Obwohl ich mein Leben lang schon damit konfrontiert werde, komme ich immer noch nicht damit klar. Mein Herz schlägt unnatürlich laut und schmerzhaft gegen meine Brust. Lässt mich wissen, das mir all das nicht gleichgültig ist.
     Bewege dich, sage ich mir. Mit zitternden und viel zu langsamen Bewegungen mache ich einen Schritt nach dem anderen. Aber wohin? Was ist mein Ziel? Ich schaue wieder an die Stelle, an der ich Kova vor einigen Minuten noch gesehen habe, doch er ist verschwunden. Hektisch schaue ich mich nach einem anderen bekannten Gesicht um, während meine Beine mich weiter über die Tanzfläche gleiten lasse. Mir wäre sogar Prinz Dorian recht, wenn das bedeuten würde, dass ich diesen altbekannten Blicke entkommen kann. Doch auch ihn kann ich nirgendwo ausmachen, dafür entdecke ich den Hinterkopf meines Vaters bei ... dem König. Ich schlucke. Wäge all meine Möglichkeiten ab, während meine stumpfen Schritte den Abstand zwischen meinen Vater und mir verkleinern. Ich nehme die Worte des Königs nicht wahr, als nur noch wenige Schritte meinen Vater und mich trennen. Einer. Zwei. Drei. Neben ihm bleibe ich stehen. Höre nicht, was mein Vater erwidert. Höre nur sein Lachen, das sich wie Säure in meinen Körper brennt. Wie kann er sich nur so freundlich gegenüber dem Mann benehmen, der ihm alles genommen hat? Uns alles genommen hat. Rowan schenkt mir ein Lächeln, das ich nicht ganz deuten kann. Ich weiche seinem Blick aus und begegne unweigerlich dem seiner ... Begleiterin? Freundin? Frau? Ein Brennen zieht sich durch mein Herz und lässt mich fast schmerzhaft aufstöhnen. Ihre Augen durchbohren mich. Ich erkenne den Blick der Unbekannten. Ich habe ihn schon oft gesehen. Hasserfüllt mustert sie mich. Ob sie wohl auch ein Drache ist? Sie geht einen Schritt näher auf den König zu, will seine Hand ergreifen, die Rowan ihr jedoch sofort entzieht. Ich unterdrücke ein Schmunzeln über Rowans Reaktion auf die hübsche Frau neben ihn und frage mich, was die Fremde sich dabei gedacht hat. Ich lege meinen Kopf schief und ziehe meine Augenbrauen hoch, dass so viel bedeuten soll wie: Willst du wirklich vor mir dein Revier markieren? Sie bemerkt meine stumme Frage und verengt ihre Augen zu kleinen Schlitzen.
     »Lady Davina«, ich zucke zusammen. Rowan hat noch nie meinen Namen gesagt und doch fließt es wie eine goldene Flüssigkeit über seine Lippen. Der Schmerz. Die Unsicherheit. Plötzlich ist all das wie weggeblasen, während ich gespannt auf seine Lippen starre. »Das ist Reyna, die erste Prinzessin der Elfen.« Ich spüre die Unzufriedenheit in Reynas Augen, als ob König Rowan etwas verschweigen würde. Absichtlich. Doch ich ignoriere den Drang, ihn danach zu fragen, und beiße mir auf die Unterlippe, um mich daran zu hindern, den König darum zu bitten, noch einmal meinen Namen zu sagen. »Davina ist die Tochter von Demir.« Obwohl der König mit Reyna spricht, ruhen seine Augen die ganze Zeit auf mir.
      »Sie ist ein Mensch.« Die Abfälligkeit in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Ich bin es gewohnt das man so über mich spricht, dennoch tut es nach dem tausendsten Mal genauso weh wie beim ersten Mal.
     »Sie ist meine Tochter.« Ein kalter Schauer läuft meiner Wirbelsäule entlang, als ich die bebende Stimme meines Vaters wahrnehme. »Davina ist die Tochter des Hauses Tyr und daran kann kein Blut etwas ändern.« Reyna schaut unbeeindruckt in meine Augen. Ihr scheinen die Worte meines Vaters kalt zu lassen, mich jedoch nicht. Ich schaue auf, doch mein Vater fixiert nur die Elfe vor uns mit seinen herablassenden Blick. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Sein Körper wirkt ruhig und steht im großen Kontrast zu seinen Augen, die voller Hass und Verachtung auf Reyna gerichtet sind. Ein Blick, den ich für gewöhnlich täglich zugeworfen bekomme. Ich schlucke.
     »Entschuldigt mich bitte«, wispere ich mit gedämpfter Stimme. »Ich fühle mich nicht so gut.« Meine Stimme ist kaum lauter, als die klimpernden Klaviertasten im Hintergrund, weswegen ich mir nicht sicher bin, ob mich die anderen überhaupt gehört haben. Doch das ist mir egal. Ich mache auf den Absatz kehrt und verlasse die Halle. Nicht um in mein luxuriöses Zimmer zu gelangen. Nicht um mich zu beruhigen. Sondern einfach so viel Abstand wie möglich zwischen meinen Vater und mir zu bringen. Seine Worte waren nicht falsch, das weiß ich. Auch sein herablassender Blick, war nicht für mich bestimmt, sondern für die Elfenprinzessin, dennoch ... Ich komme nicht drumherum, mir ständig vorzustellen, dass eines Tages auch mein Vater mir diesen Blick zuwirft, sowie all die anderen Dorfbewohner auch. Ich kann nichts gegen diesen absurden Gedanken tun. Er brennt sich dennoch heiß und lodernd in mein Herz.

 Er brennt sich dennoch heiß und lodernd in mein Herz

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