Kämpfe!

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Da saß ich nun. Der Sturm in mir hatte sich gelegt. War zu einem tonnenschweren Stein geworden, welcher mich hinunterzog. Fast schon surreal fühlte es sich an. Bitterkeit legte sich über all die Last, als ich schweigend aufsah.

Alles wie immer. Blendend helles Licht schien durch das breite Fenster, über mein riesiges Bett hinweg, in den großzügigen Raum. Die Lücken zwischen den Büchern im schwarzen Regal, welches Schlaf- und Sitzbereich trennte, spalteten es. Warfen helle Fäden auf die geräumige, etwas zu sterile Schreibecke. Sogar die Bilder hingen noch an der Wand, darüber. Geschossen während des Praktikums im Tierheim, zeigten sie eine grinsende Ava Sharp, welche stolzerfüllt eine kleine, weiße Katze im Arm hielt. Daneben streichelte sie einen großen, braunen Hund, der von einer Mitarbeiterin an der Leine gehalten wurde.

Wie unbeschwert ich dort aussah. Als wäre die Welt, trotz allem, in Ordnung.

Während ich den Kopf weiter drehte, löste sich dieses Empfinden jedoch in Luft auf. Zwischen Regal und Schreibecke, prangte noch immer das Loch, welches ich mit 14 aus Wut in die Wand geschlagen hatte. Einer der Abende, wo ich nicht mit meinen Eltern und Felicia Essen durfte, weil ich schlechte Noten nach Hause brachte. Hinterher verpasste mein Vater mir eine ordentliche Ohrfeige dafür und ich hatte mich die Nacht darauf in den Schlaf geweint. Auch jetzt trieb der Schmerz mir Tränen in die Augen. Still ließ ich sie gewähren, während sie lautlos zu Boden kullerten. Doch neben all diesen alten Wunden, neben der unerträglichen Verzweiflung, keimte etwas in mir auf. Ich gehöre hier nicht her. Und egal, was meine Eltern vorhatten, ich würde einen Weg hinausfinden. In eine andere Stadt. Mit einem neuen Carrier und Vincent einfach vergessen. Sobald ich stark genug wäre, würden sie mich nie wiedersehen. Egal wie furchtbar grade alles war, ich muss kämpfen! Vorsichtig die Tränen fort wischend, zwang ich mich auf meine Beine. Alles tat weh, mein Gesicht musste schrecklich aussehen. Wahrscheinlich grün und blau geschlagen. Mit flatterndem Herz, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Im Wasser des Pools, welcher auf der gepflasterten Hälfte des Hinterhofs eingelassen war, spiegelte sich die glühende Sonne. Und wenn ich Nachts heimlich über den Zaun verschwinde...

Entschlossen öffnete ich den riesigen, weiß glänzenden Kleiderschrank, neben einem der Regale voll mit Büchern, die ich kaum gelesen hatte. Dicke, staubige Luft kam mir entgegen. Die Haushaltshilfe hatte wohl sauber gemacht, aber meinen Schrank nicht angerührt. Und damit auch nicht die wenigen Kleidungsstücke, welche zurückgeblieben waren, nach meiner ersten Flucht. Ein Kleid, welches ich nie getragen hatte, Shirts, zwei dunkle Jeanshosen und einige Übergangsjacken. Mit zitternden Fingern griff ich nach meinem alten, fransigen Schulrucksack, welcher in Ecke, neben dem hängendem Kleid, stand. Beklemmung machte sich in mir breit, doch ich riss rücksichtslos die Verschlüsse auf, drehte mich Richtung Bett und kippte den gesamten Inhalt aus. Lautstark polterten alte, stinkende Bücher zu Boden. Lose Blätter wehten unters Regal, Stifte purzelten aus der halb offenen, schwarzen Federtasche. All die wimmernden Ängste in meinem Inneren überhörend, stopfte ich stattdessen wahllos Klamotten hinein. Doch dann ließ mich ein Vibrieren in der Hosentasche innehalten. Mein Handy! Unsicher richtete ich mich auf und zog es hervor. Der Name auf dem Bildschirm ließ mich allerdings schwer schlucken. Ein verpasster Anruf und eine neue Nachricht. Von Vincent. Ich wollte nichts von ihm wissen. Das Brennen meines eigenen Schmerzes, konnte kaum die lodernde Verbindung überdecken, welche uns noch immer zusammenhielt. Trotzdem wanderten meine Augen über den unvollständigen Text, auf dem Sperrbildschirm: „Geht's dir gut? Bin auf dem Weg zu dei-..."

Was sollte die Frage? Ob er gespürt hatte, dass etwas Schlimmes passiert war? Plötzlich fühlte sich mein Hals ganz trocken an. Kommt er hierher? Hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Abscheu, wischte ich nun doch über den Bildschirm und öffnete die vollständige Nachricht: „Geht's dir gut? Bin auf dem Weg zu deinen Eltern. Hab Scarlett gefragt, wo du bist, weil du nicht bei ihr oder Lilly warst."

Azure ☆ Straying BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt