Kapitel 16

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Sie schnappten sich ihre Taschen und begaben sich auf den Weg zur Mensa, um sich dort für das Nachmittagstraining zu stärken. Hinata war den ganzen Weg über in Gedanken verloren und steigerte sich mehr und mehr in seine Wut hinein.

„Du blutest", riss ihn Kageyama aus seiner Trance.

„Was?"

„Ich sagte, du blutest. Deine Lippe, du hast sie aufgebissen."

Erst jetzt nahm Hinata den leichten Schmerz wahr und den metallischen Geschmack des Blutes.

„Oh scheiße", sagte er und kramte hektisch ein Taschentuch aus seiner Tasche. Er hielt es sich an die Lippen und bereits kurze Zeit später war es schon fast komplett rot verfärbt. Verdammt, er hatte gar nicht gemerkt, dass er sich so doll auf die Lippe gebissen hatte.

„Ich sage es noch einmal, Hinata. Krieg dich wieder ein, sonst wirst du nachher schneller auf der Ersatzbank landen, als dir lieb ist."

Hinata erschreckte. Warum musste er das ausgerechnet jetzt sagen? Seine Angst zu versagen, stieg erneut an. Und während sie beim Mittagessen waren, steigerte er sich noch tiefer hinein, bis er keinen Bissen mehr herunterbekam. Er war so erbärmlich. Heute Morgen strotzte er vor Energie und Selbstvertrauen und jetzt, nur wenige Stunden später, war er nur noch ein Häufchen Elend. Er dachte an Hoshiumi, an dessen selbstgefälliges Grinsen. Wie gerne hätte er ihm diese dreckige Lache aus dem Gesicht geschlagen. Aber er war niemand, der schnell körperlich wurde. Und diese Angelegenheit hier, musste er anders lösen. Er musste Hoshiumi auf dem Feld schlagen. Ihn auf dem Feld besiegen und dann würde Hinata derjenige sein, der auf ihn herablächeln würde. Mit neuer Energie brachen sie zum Nachmittagstraining auf.

Als sie aus dem Kantinengebäude traten, traf sie die Hitze wie ein Schlag. Der Wetterbericht hatte für heute 39 Grad vorausgesagt und die Sonne schien gewillt, diese Vorhersage noch übertreffen zu wollen. Tanaka fing gerade an herumzumaulen, wie sie es bitte schaffen sollte, am Strand in der prallen Sonne bei 39 Grad vernünftig zu trainieren. Sie würden alle sterben. Da kam ihnen Herr Takeda entgegen und verkündete, dass man aufgrund der Temperaturen das Nachmittagstraining in die Hallen verlegt hatte, wo es etwas kühler war und sie vor der brennenden Sonne geschützt wären.

Schnellen Schrittes strebten sie nun die Hallen an, um möglichst wenig Zeit in dieser Hitze verbringen zu müssen. Die Kamomedei war bereits da und wärmte sich auf. Auch Hinata schnappte sich einen Ball und steuerte auf Kageyama zu, damit sie mit dem Aufwärmtraining beginnen konnten. Der Trainer rief sie kurze Zeit später erneut zu sich.

„Okay Jungs, dass Training heute Vormittag verlief alles andere als gut. Hinata, was war denn bloß mit dir? Ab der zweiten Hälfte des zweiten Satzes war mit dir überhaupt nichts mehr anzufangen. Ich hoffe, du hast dich jetzt wieder gesammelt, sonst sehe ich mich leider gezwungen, dich auszuwechseln", sagte Ukai mit strenger Stimme.

„I-ich... Ich bin jetzt wieder voll dabei", stammelte er.

„Gut, also dann. Es gilt dasselbe wie noch heute Morgen bei den Spielen."

Er hatte den ersten Aufschlag. Seine Angst zu versagen, schien bereits schon jetzt ins Unermessliche steigen zu wollen. Er dachte an den Tag zurück, an dem er einen Ball direkt an Kageyamas Hinterkopf geschmettert hatte. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er durfte jetzt auf keinen Fall versagen. Der Schiedsrichter gab ihm das Signal zum Start. Er warf den Ball hoch und traf ihn mittig. Allerdings war aufgrund der Nervosität alle Kraft aus ihm gewichen und er war sich sicher, dass der Ball nicht über das Netz gehen würde. Doch er hatte Glück, wenigstens einmal war heute das Glück auf seiner Seite. Ein Netzroller. Doch die Gegner reagierten schnell und noch ehe Hinata aus seiner Starre erwacht war, hatte das gegnerische Team sich mit Hilfe eines Schmetterballs den ersten Punkt des Spieles ergattert.

Hinata bewegte sich wie in Trance über das Spielfeld. Er reagierte viel zu spät und war dann auch noch viel zu langsam. Nichts gelang ihm mehr, weder Annahmen, Aufschläge, noch Angriff. Ein Seitenblick zur Bank bestätigte seine Befürchtung. Ukai würde demnächst die Geduld mit ihm verlieren und ihn vom Feld nehmen. Er stand soeben vorne am Netzt, auf der Position des Zuspieles, als der Gegner rotierte. Er schnappte nach Luft. Hoshiumi stand wieder vor ihm und grinste ihn boshaft an.

„Was ist los, Zwerg, siehst du deinen Untergang schon kommen?", fragte dieser mit fieser Stimme.

Er musste sich zusammenreißen, er durfte nicht darauf reagieren, was sein Gegenüber sagte.

„Dir scheint es die Stimme verschlagen zu haben. Hm, kein Wunder. Würde mir ebenso ergehen, wenn ich realisieren täte, wie wertlos ich bin. Aber wir beide wissen, dass du hier der Einzige in der Halle bist, der wertlos ist, nicht wahr? Doch wertlos zu sein ist nicht mal das schlimmste. Das schlimmste ist, wenn man nutzlos ist. So wie du."

„Halt deinen Mund."

„Wie bitte? Ich kann dich nicht hören?!"

„Ich sagte, halt deinen Mund!", schrie Hinata ihn an und sein Puls raste vor Wut.

„Hinata, reiß dich zusammen!", warnte Daichi ihn.

Endlich kam der Aufschlag. Kageyama nahm den Ball an und spielte ihn zu Asahi, welcher den Ball auf die andere Seite schmetterte. Doch der Libero war schnell und brachte den Ball präzise zum Zuspieler. Hoshiumi machte sich zum Angriff bereit. Hinata würde ihn Stoppen, dieses Mal ganz sicher. Der Weißhaarige sprang ab, gleichzeitig mit Hinata, der seinen Block direkt vor seinem Gegner aufbaute. Dieser grinste ihn schief an und spielte den Ball mit einer Finte über Hinatas Kopf hinweg. Er konnte den Ball nicht aufhalten und hörte ihn hinter sich aufkommen. Er selbst landete unsanft auf dem Boden. Hoshiumi baute sich vor ihm auf und fing an herzhaft über ihn zu lachen.

„Du bist so eine Witzfigur, Shoyo Hinata. Einfach nur lächerlich. Sieh dich an, was kannst du schon? Nichts. Du bist ein Nichts." Wieder fing er an, Hinata auszulachen.

„HALT ENDLICH DEINE BESCHISSENE FRESSE!", brüllte Hinata aus Leibeskräften.

„Warum, kannst du die Wahrheit etwa nicht ertragen?", fragte er ihn mit einem diabolischen Grinsen.

„Schluss jetzt!", kam es von der Außenlinie. Sowohl Ukai als auch der Trainer des anderen Teams kamen auf die zwei Streithähne zu.

„Du wirst für Heute vom Training entlassen, Hinata. Geh dich abreagieren und wenn du das geschafft hast, dann möchte ich, dass du dich bei Hoshiumi entschuldigst", sagte der Trainer mit todernster Stimme.

„MICH ENTSCHULDIGEN? ABER DIESER MISTKERL HAT DOCH ANGEFANGEN!"

„HINATA, raus jetzt, SOFORT!", brüllte Ukai.

Hinata stand wütend auf und stapfte auf den Ausgang zu. Er konnte Hoshiumis widerliches Grinsen regelrecht Spüren.

„Das gleiche gilt auch für dich, Korai", wandte sich der Trainer der Kamomedai an den Weißhaarigen.

„Was, aber ich..."

„Keine Widerrede. Abmarsch."

Nun verließ auch Hoshiumi wütend die Halle.

Es dauerte einen Moment, bis sich die Anwesenden wieder gesammelt hatten und mit dem Training fortfahren konnten. Dieses war nun auf beiden Seiten sehr angespannt und es folgte Fehler auf Fehler. Beide Seiten waren nicht mehr imstande, sich auch nur ansatzweise zu konzentrieren. Als das Ganze ein absurdes Niveau erreicht hatte, brach Sugawara in schallendes Gelächter aus. Die anderen Spieler tauschten zunächst verwirrte Blicke miteinander aus, schienen jedoch bald begriffen zu haben, weshalb der Grauhaarige sich so amüsierte und auf ihre Gesichter schlich sich ebenfalls ein Lächeln. Zunächst ein leichtes, schüchternes Grinsen, dann ein breites Grinsen, begleitet von ungläubigem Kopfschütteln.

Er soll Mein seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt