Wanderung

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Tag 33

Ich war erst seit zwei Stunden unterwegs. Zumindest kam es mir so vor. Die Sonne hatte sich zwar noch nicht all zu weit dem Horizont zugewandt, aber meine Beine schmerzten bereits.

Die erste Stunde war ich schnell gegangen, teilweise sogar gelaufen.
Ständig hatte ich mich umgedreht, um zu sehen, ob mir jemand folgt.
Jedes Rascheln von Blättern hörte sich an wie die Stiefel die auf den Boden aufschlugen.
Ob ich mehr Angst davor gehabt hätte Lynn oder Alvae zu sehen wusste ich nicht.
Glücklicherweise war keiner der beiden hinter mir her.
Sowieso war hier niemand.

Keine Menschenseele - Werwolfseele? - war mir bisher begegnet.
Meine Befürchtung, dass ich niemanden nach den Weg fragen konnte, hatten sich schnell in Staub aufgelöst.
Angart hatte eine überraschend gute Infrastruktur.
Eine breite Hauptstraße führte direkt Richtung Osten und an jeder Kreuzung war genau ausgeschildert, wohin welcher Weg führte.
Ich folgte den Schildern in denen Kel eingeritzt waren.

Die Sonne brannte herab, aber ein angenehmer Nordwind machte sie erträglich.
Es war schon fast entspannend.
Ich dachte nicht an die Gefahren die vor mir lagen. Nicht an Alvae, die Vainen oder die Vampiere, die direkt hinter der Grenze lauerten.
Meine Gedanken beschäftigten sich mit etwas weit aus schöneren.

Einen kleinen Bauernhaus, ein oder zwei Kühe und ganz vielen Hühnern. Eine dicke graue Katze, die fleißig Mäuse fing.
Und ich.
Ich, die dort lebte.
Wie ich mich jeden Tag um die Tiere kümmerte. Wie auf einen Steinherd kochte. Wie ich meine Kleidung mit einen Waschbrett reinigte. Wie ich auf den Feldern arbeitete und Gerste, Weizen und Dinkel anbaute. Wie ich das Getreide mithilfe von Mahlsteinen zu Mehl verarbeitet. Wie ich aus dem Mehl Brot machte und es auf einen sonnenbeschienen Markt in Moriga verkaufte.
Ab und zu waren auch Quaeis und Ellias in meinen Tagträumen.
Sogar Anna, Severin und Vangus hatten ihre Rollen.
Aber Lynn kam definitiv am öftersten vor.

Es erfüllte mich mit einer inneren Ruhe, mir mein Traumleben auszudenken.
Ein einfaches abgeschiedenes Leben. Zwar mit viel harter Arbeit, aber einer, die auch belohnt wurde.

Tja, leider wird das nichts.
Aber so war nun Mal das Leben.

Ich ging weiter meines Weges.

In der Ferne konnte ich eine kleine zerfallenen Scheune erblicken, die ihre besten Tage schon längst hinter sich hatte. Sie stand abseits vom Straßenrand, halb verdeckt von den Blättern der Bäume.
Mein Herz zog sich zusammen.

Das wäre unser Treffpunkt gewesen.
Aber ich würde nicht warten. Und Lynn würde nicht kommen.
Schnell ging ich weiter.
Ließ sie genau wie Moriga und den Sonnenhof hinter mir.

Und dann ging ich und ging ich.

Die Sonne neigte sich langsam den Westen zu.
Es wurde kälter und ich wurde müde.

Doch ich blieb nicht stehen.

Ich würde solange gehen, bis Moriga weit hinter mir lag.

Und selbst als die Sonne verschwand und der Mond die Wälder und Wiesen silbern scheinen ließ, blieb ich nicht stehen.
Erst als ein kleines Dorf erschien, wurden meine Schritte langsamer.

Ich war müde. Meine Beine schmerzten.
Mit letzter Kraft schon ich vorsichtig ein Scheunentor auf und schlüpfte hinein.
Und dann fiel ich um.

Das Heu war kratzig, aber ich schlief wie auf Seide.

Es war Still in der Scheune. Kein Wind heulte durch die Ritzen und die Stohalme lagen unbeweglich auf den Boden.
Der volle Mond gab mir gerade genug Licht, um meine Hand vor den Augen zu sehen.

Angart - Land der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt