Etwas flauschiges kitzelte meine Nase und während ich dadurch langsam wach wurde, wurde das brummende Geräusch des Schnurren meiner Katze Smila immer lauter in meinen Ohren.
Lächelnd öffnete ich meine Augen und blickte direkt in die strahlend blauen Augen der kleinen Ragdoll Katze, die gerade einmal drei Monate alt war und erst seit einem Monat bei uns lebte. „Guten Morgen Smili" murmelte ich noch mit ganz verschlafener Stimme und sah auf die Uhr, die neben meinem Bett stand. 7:30 Uhr, perfekt, heute könnte also ein produktiver Tag werden.
Nach einer kurzen Kuscheleinheit mit Smila stand ich also auf und ging kurz ins Bad. Ich band meine Haare zu einem etwas ordentlicheren Zopf und trank ein Glas Wasser, sodass ich mich schon etwas wacher fühlte.
Zu meinem Morgenritual gehört ebenfalls, eine Seite in meinem Affirmationskalender zu lesen um mich für den Tag positiv zu stimmen, Smila zu füttern und selbst etwas Kleines, wie eine Banane zu frühstücken.
Danach ging ich wieder in mein kleines Reich, wie ich mein Zimmer stets nannte. Ich wohnte quasi auf dem Dachboden unseres Einfamilienhauses und hatte daher das ganze Stockwerk für mich. Mein Zimmer war also aufgebaut wie ein riesiges Zelt. In der Mitte stand sogar eine Säule, die, wie die Zeltstange eines Zeltes, dazu beitrug, das Konstrukt zu stabilisieren. Zu meinem Reich gehörten eine Schlafnische mit Bett, vollgestopftem Bücherregal und Fernseher und ein Wohnbereich mit Couch und Schreibtisch, als auch mein eigenes Bad und ein begehbarer Kleiderschrank. Nun mag man sich mein Reich eher luxuriös vorstellen, aber das war es nicht.
Viel mehr war es total gemütlich, durch die extrem tiefen Dachschrägen, die den Platz etwas einschränkten und sprach Bände über mich. Die Wände waren vollgeklebt und es gab nur wenige Stellen, an denen man überhaupt noch die Raufasertapete durchblitzen sah. Der Großteil meiner Wände war mit ganz persönlichen Dingen geschmückt. Es hingen unzählige Polaroidbilder an meinen Wänden, aber auch Schallplatten meiner Lieblingsbands wie Abba oder the Beatles und CDs, die ich selbst bemalt hatte.
Mein Zimmer, ja vor allem meine Wände, drückten meine Persönlichkeit aus. An sie klebte ich alles, was ich fand und was, wie ich es immer beschrieb, zu meiner Seele sprach. Damit meine ich dieses Gefühl, wenn man etwas anschaut und sich einfach tief in seinem Innerem davon berührt fühlt. Ich wusste nicht, ob andere Menschen die Welt genauso wahrnahmen wie ich, doch ich war verliebt in diese wundervolle Welt mit all ihren kleinen Details. Die ersten Sonnenstrahlen am Morgen beispielsweise, die durch eines meiner beiden Zimmerfenster, die symmetrisch, einander gegenüber unter unseren Dachwipfeln lagen, fielen, sich in den CDs, die ich gemeinsam mit ein paar künstlichen Efeuranken an meine Säule geklebt hatte, spiegelten und somit mein Zimmer erleuchteten, brachten mich zum lächeln und sprachen zu meiner Seele. Sie waren eine dieser Sachen, die mich inspirierten, die mich immer wieder daran erinnerten, wie schön diese Welt war und mich jeden Morgen aus dem Bett zogen, so wie es auch an diesem Morgen gewesen war.
Meine Oma hatte einmal zu mir gesagt: „Elli Schatz, du musst nur herausfinden, was dich inspiriert, nicht was dich motiviert. Motivation, das sind die negativen Dinge, die dich dazu drängen, die Aufgaben des täglichen Lebens zu erfüllen. Inspiration, damit sind die Dinge gemeint, die ein wohlig warmes Gefühl in dir auslösen und dafür sorgen, dass du ganz von alleine jede Aufgabe dieser Welt übernehmen willst, weil du dich nach vorne gezogen fühlst, weil du schaffen und erschaffen willst, weil du hinaus in die Welt willst und allen zeigen willst, wer du bist." und sie hatte so Recht damit. Meine Oma war eine weise und gutherzige Frau, die ich mehr liebte und die mich mehr liebte, als alles andere auf dieser Welt. Nie werde ich sie vergessen, denn sie hat mich inspiriert und mich stärker gemacht, zu dem, was ich heute bin. Oft frage ich mich deshalb, was wäre, wenn ich sie nicht mit 12 Jahren ganz plötzlich an einen Herzinfarkt verloren hätte.
Ganz nach den Worten meiner Oma also ließ ich mich auch an diesem Morgen von meiner täglichen Affirmation inspirieren, genauso wie von den Sonnenstrahlen, die mir an diesem Mai-Morgen ins Gesicht strahlten, als ich meinen Rolladen hoch zog und mein Fenster zum Lüften öffnete. Wie so oft, genoss ich noch einen Augenblick die Sicht, die sich mir bot und die Sonnenstrahlen, die auf meinen Wangen prickelten und im Sommer immer die süßen Sommersprossen verursachten. Von meinem Zimmer aus konnte man über unser gesamtes Dorf blicken und sah im Hintergrund noch die sich weitläufig erstreckenden grünen Wiesen des Saarlandes und den Stall meines Pferdes Lukka.
Lukka war isländisch für Glück und genau das war sie auch für mich, mein ganz besonderes Glück in Form einer Isländerstute und mein Fels in der Brandung als vor 5 Jahren meine Oma starb.
Hier an meinem Fenster stehend und die Aussicht geniessend, die durch unseren Dachgipfel eingerahmt wurde fühlte ich mich immer, wie eine Prinzessin im Turm ihres Schlosses, die auf ihr Reich hinab blickte. Das war meine Heimat und ich liebte sie. Ich liebte die Fahrradtouren über Felder mit meinen Freunden zum Eis essen, die Abende bei Sonnenuntergang auf der Schlossruine in der benachbarten Kleinstadt, wo ich zur Schule ging oder das Schwimmen mit den Pferden in einem See in der Nähe. Es war ziemlich ländlich hier, aber mindestens genauso idyllisch und ruhig und manchmal, ja manchmal liebte ich das. Aber ich wollte auch raus in die Welt, wollte neue Erfahrungen machen an denen ich wachsen konnte und mal die Stadt sehen. Deshalb hatte ich vor circa einem Jahr beschlossen nach dem Abitur nach Berlin in unsere Landeshauptstadt zu ziehen und dort zu studieren. Dafür würde ich ein gutes Abitur brauchen, das war klar, deshalb hatte ich das letzte Jahr damit verbracht, hart für die Schule zu arbeiten.
Erfolgreich hatte ich das letzte Schuljahr hinter mich gebracht und die schriftlichen Abiprüfungen vor einer Woche genauso. Nun würde ich zwei Monate Zeit haben um für meine mündliche Prüfung zu lernen und dann wäre alles geschafft. Mein Prüfungsfach war Mathe und ich musste mindestens eine Eins minus schaffen um mein Schnittziel zu erreichen und eine Chance auf einen Platz an meiner Traumuni in Berlin zu haben. Das war ein hoch gesetztes Ziel, aber es war machbar und ich war ehrgeizig und würde hart dafür arbeiten.
Wie jeden Tag, auch vorher in der Vorbereitungsphase für die schriftlichen Prüfungen, hatte ich mir deshalb vorgenommen, mit einer Runde laufen in den Tag zu starten, den Vormittag zum Lernen zu nutzen, genauso wie den frühen Nachmittag und mich dann damit zu belohnen am späteren Nachmittag mit Lukka reiten zu gehen und mich abends mit meinen Freunden zu treffen.
Schnell zog ich mich also um, verabschiedete mich von Smila, ging eine Runde laufen, dann duschen, zog mir Etwas bequemes an und checkte noch ein letztes Mal vor meiner Lernsession mein Handy.
In der Gruppe mit meinen Freundinnen Amelie und Marie waren einige neue Nachrichten geschrieben worden. Marie und ich kannten uns seit dem Kindergarten und waren immer ein fest eingespieltes Zweiergespann gewesen, bis wir auf dem Gymnasium Amelie kennengelernt hatten und auch sie Teil unserer Gruppe wurde. Marie und ich ritten beide seit Jahren auf dem Reiterhof bei uns im Dorf und bekamen mit 12 Jahren beide unsere Pferde. Nur ein paar Monate später kamen auch Amelie und ihre Mutter mit ihren beiden Pferde auf unseren Hof und so wurden unsere Freundschaften immer enger und wir gingen fast jeden Tag gemeinsam reiten.
Lächelnd öffnete ich also unseren Gruppenchat und las die neusten Nachrichten:Amelie: „Heyho, wie sieht's aus mit einem Ausritt heute Morgen und heute Nachmittag am See chillen und danach gemeinsam bei mir fertig
machen und zum Stadfest?"
Marie: „Amelie, vielleicht solltest du auch einfach mal was für die Schule machen?"
Amelie: „Langweilerin, also kann ich dich heute Abend aus der Planung ausschließen? Ich meine, vielleicht kommt Tim ja auch... ;)"
Marie: „guter Punkt.... Stadtfest geht klar, aber heute Nachmittag muss ich lernen und ich hab gleich Reitstunde, also kann ich erst heute
Abend zum fertig machen zu dir kommen"
Amelie: „Na geht doch! @Ella?"Ich musste schmunzeln, das war mal wieder so typisch für die Beiden. Amelie war die wilde unter uns. Sie war immer für jeden Spaß zu haben, sowohl was etwas anstellen mit uns anging, als auch, was Jungs betraf. Sie ließ sich von niemandem was sagen und hatte oft einen Typen nach dem anderen. Marie hingegen war Fremden gegenüber eher zurückhaltend, äußerst intelligent und wollte Medizin studieren, weshalb sie genauso hart für die Schule arbeitete, wie ich, wenn nicht sogar noch viel härter. Sie war schon seit Jahren in Tim verliebt, einen Jungen aus unserer Klasse, der in ihrer Nachbarschaft wohnte. Auf Marie konnte man sich immer verlassen, sie war stets organisiert und unser Momfriend. Amelie hingegen war eher spontan und verpeilt, aber nicht weniger liebenswürdig. Die beiden waren wie Tag und Nacht und ich wahrscheinlich die Mischung aus beiden und dennoch verstanden wir uns alle gleich gut. Ich beschloss ihnen kurz zu antworten und mich dann für heute ans lernen zu machen.
Ella: „Ein bisschen Recht hat Marie ja schon, Ami ;) ich muss auch heute Morgen lernen und wollte erst heute Nachmittag zu Lukka, weil ich
morgens doch immer besser lernen kann, aber heute Abend wär ich definitiv auch dabei!"
Amelie: „ Na gut, dann lerne ich später ausnahmsweise eben auch mal, wenn niemand Zeit für mich hat.... aber wehe einer von euch nimmt
heute Abend das Wort Schule in den Mund"Ich sah noch wie die Antwort von Amelie aufploppte, dann schaltete ich mein Handy aus und schlug meinen Matheordner auf. Hätte ich nur gewusst, dass dieser Abend auf dem Stadtfest den Grundstein dafür setzen würde, all meine Pläne durcheinander zu werfen und pures Chaos in mein Leben zu bringen.
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travailler pour vivre
Teen FictionElla ist siebzehn Jahre alt und träumt davon weit weg von ihrer ländlichen Heimat in Süddeutschland in Berlin zu studieren und Karriere zu machen. Sie will ihren Traum wahr machen, arbeitet ehrgeizig an sich selbst und konzentriert sich auf nahezu...