FLY!!

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Ich hatte ihm in die Augen geblickt und nicht länger Freundschaft darin gesehen, sondern Liebe und brennende Leidenschaft. Vielleicht hätte ich mich abwenden und einfach gehen sollen, aber das hatte ich nicht. Denn mir war längst bewusst, dass ich ihn wollte. Nein, ich brauchte diesen Jungen. Er hatte ein Feuer in mir entfacht, das mich zu verzehren drohte. Uns zu verzehren drohte.

Er hatte die Grundfesten meiner Welt erschüttert. Mich gefangen genommen und mir gleichzeitig das Fliegen gelehrt. Er war mit mir in den Himmel geflogen und war am Rande der süßen Verzweiflung zusammen mit mir über die Klippe gesprungen. Er hat mir seinen anbetungswürdigen, warmen Körper anvertraut und seine Seele geöffnet. Die viel zerbrechlicher war, als man vermuten könnte.

Jetzt lag er neben mir und alles hatte sich von Grund auf geändert. Ob zum Guten oder Schlechten würde die Zukunft zeigen.


Zuvor:

Ich stellte mich, soweit es ging von der Bar entfernt, denn heute hätte ich mich am liebsten betrunken. Doch ich war noch minderjährig und somit war Alkohol offiziell tabu. Der war wohl Trainern und Lehrern vorbehalten. Die Mannschaft hatte wegen mir das Spiel verloren und die Stimmung war am Boden. Es war kein wichtiges Spiel gewesen. Ein Freundschaftsturnier zur Verabschiedung von uns Drittklässlern. Es sollte unsere Sieges- und Abschlussfeier werden. Eigentlich wollte ich nur noch weg von hier. Irgendwie diese Starre in mir überwinden, die mich lähmte. Ich hätte gerne das Spielfeld ein letztes Mal mit meinen Freunden zusammen als Sieger verlassen und nicht als Zweiter. Unsere Wege würden sich jetzt bald trennen und auch wenn wir so viel erreicht hatten, war das hier für mich eine der bittersten Niederlagen. Es war dumm, aber selten hatte ich mich so einsam gefühlt.

Als Yuu Nishinoya auf mich zukam, hätte ich ihn am liebsten in den Arm genommen, mein Gesicht an seiner Schulter vergraben und mich ausgeheult. Doch was hätte das für ein Bild abgegeben, wenn das Ass des Teams sich dem kleinen Libero in die Arme geworfen hätte. Ich musste wohl alleine mit meinen Schmerz klarkommen. Aber er war der Einzige, der in der Lage wäre mich zu trösten. Seit längerem hatte ich Gefühle für den Kleinen. Zu leugnen hätte nichts mehr gebracht. Ich war in einen Jungen verliebt, der dazu mein Freund und Teamkollege war.

„Asahi, warum stehst du hier so dumm in der Ecke herum. Niemand gewinnt ein Spiel allein. Und niemand verliert ein Spiel allein. Also glaub bloß nicht, du müsstest hier die Verantwortung dafür tragen."

Ich senkte den Blick. Er kannte mich besser als jeder andere.

Nishinoya boxte mir gegen den Arm. „Los komm schon! Sei kein Spielverderber. Was wäre eine Teamfeier ohne das Ass."

Spielverderber? Ich glaubte, dafür war es heute zu spät. Dennoch wollte ich die anderen nicht noch mehr herunterziehen. Also lächelte ich und folgte ihm zum köstlich duftenden Barbecue. Oder besser gesagt, was die Heuschreckenplage noch übrig gelassen hatte.

Der Abend wurde wirklich noch lustig. Die Erst- und Zweitklässler hatten sich ein Programm einfallen lassen und dafür gesorgt, dass dieser Abend unvergesslich blieb. Und irgendeiner der Jungs, ich vermutete Ryu, hatte eine Flasche Sekt in die Bowle geschüttet. Was die Party noch ein wenig ausgelassen werden ließ.

Der Morgen graute bereits, als ich mich mit Nishinoya auf den Heimweg befand. Die Straßen waren menschenleer. Irgendwo bellte ein einsamer Hund und eine streunende Katze kreuzte unseren Weg. Wolken waren aufgezogen und ein frischer Wind wehte.

„Es bricht mir das Herz, das ihr die Karasuno verlasst und nicht mehr mit uns Volleyball spielen könnt. Aber wenigstens wirst du an der Uni weiterspielen." Er hielt mich am Shirt so verzweifelt fest, als wollte er mich nicht gehen lassen. Als könnte er dadurch verhindern, dass sich die Welt weiterdrehte.

„Ja, aber es wird nie wieder das Gleiche sein. Ich werde diese Zeit hier nie vergessen. Und ich werde dich nicht vergessen." Ich legte den Arm um ihn und schob ihn dadurch weiter.

Als wir bei seinem Haus ankamen, stellte er sich mir in den Weg und krallte sich diesmal mit beiden Händen in mein Shirt. „Ich will das einfach nicht. Ich will nicht, dass du gehst und mich alleine zurücklässt." Sein Blick hatte etwas Wehmütiges.

„Du bist doch nicht alleine."

„Die anderen interessieren mich nicht. Du bist nicht mehr da und ohne dich ..." Yuu brach ab. Dicke Tränen kullerten über seine Wangen.

Ich schlang die Arme um ihn. Wie gut er doch roch. Wie warm er sich anfühlte. Wenn er nur ahnte, wie sehr ich ihn vermissen werde. Sein Körper bebte und er wollte sich nicht mehr beruhigen. Es tat mir in der Seele weh, Yuu so zu sehen. Es begann zu regnen und ich löste mich von ihm, auch wenn sich alles in mir sträubte.

„Ich sollte gehen."

„Nein! Bleib bei mir! I... ich meine, du wirst sonst ganz nass. Ich kann dich nicht gehen lassen." Er legte die Hand an meine Wange. „Nicht heute Nacht. Asahi, bitte."

In seinen Augen lag ein Flehen. Ich sah ihn nur verwirrt an. Konnte es sein, dass der Kleine dasselbe empfand? Wie wahrscheinlich war das? Ich liebte ihn schon so lange. Aber nur aus einer gewissen Ferne. Schließlich waren wir Freunde. Teamkollegen. Er griff nach meiner Hand und ich verschränkte augenblicklich die Finger mit seinen. Als hätten meine Füße den Kontakt zum Boden verloren, stolperte ich hinter ihm her.

Die Schlafzimmertür schloss sich hinter uns. Er sah mich mit großen braunen Augen an, die jetzt sehnsüchtig leuchteten. Wärme stieg in meine Wangen, als ich mir vorstellte, wie seine Lippen meine berührten. Ich griff nach seiner blonden Strähne. Fuhr ihm durch sein weiches Haar. Das einzige was an ihn weich war. Der Rest bestand aus gestählten Muskeln. Ich wollte ihn einfach nur berühren. Ihm nah sein. Mein Puls raste. Mein Körper prickelte.

Sein Lächeln wirkte völlig entspannt. „Schließ die Augen."

Ich kam seiner Aufforderung nach und senkte die Lider. Er öffnete mir mein Haar, das mir über die Schultern fiel. Ich hielt die Luft an, als er seine Hände sanft in meinen Nacken legte. Ich erzitterte. Sein Daumen streichelte meine Haut. Sein heißer Atem schien mich zur berühren und mich zu wärmen wie ein Sonnenstrahl. Ganz plötzlich lagen seine Lippen auf meinen. Zärtlich, fast scheu berührte die Zunge meinen Mund und ich öffnete ihn. Oh Gott, wie gut er schmeckte.

Yuus Hände glitten zu meinen Schultern und er ließ sie sachte über meine Brust zu meinen Rippen wandern und dann noch ein Stück tiefer zu meinen Hüften. Unvermittelt zog er sich ganz nah am mich. Er war steif. Genau wie ich. Unbewusst biss ich mir auf die Unterlippe. Nervös schluckte ich, als er mir mein Shirt auszog und sich auch seines entledigte. Einen atemlosen Herzschlag lang sahen wir uns schweigend an. Meine Neugier, Furcht und endlose Leidenschaft spiegelte sich in seinen Augen. Ich legte die Hand an seine Wange. Berührte mit dem Daumen seine Lippen und er öffnete automatisch den Mund. Ich schob ihn ein winziges Stück hinein. Überrascht keuchte ich, als er dran saugte. Das Pochen zwischen meinen Beinen wurde unangenehm. Mein Atem wurde unregelmäßig. War es richtig, was wir da taten? Würde das nicht alles ändern? Alles zerstören? Ich wollte nicht länger darüber nachdenken.

„Wenn du wüsstest, was ich jetzt gerne mit dir machen würde, würdest du sicher davonrennen."

Er schenkte mir ein Lächeln. „Tu ich nicht. Ich renne nicht davon. Ich bin hier bei dir. Genau da wo ich sein will."

Seine Finger krallten sich in mein Haar. Seine Lippen, seine Zunge ergriffen Besitz von mir. Er drängte sich noch näher an mich. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Unser Kuss wurde wild und leidenschaftlich. Fordernd. Ich schlang die Arme fest um ihn. Nicht gewillt ihn je wieder loszulassen. Ich wollte alles spüren. Alles nehmen, alles geben. Konnte nicht genug bekommen. Er löste sich von mir. Unser beider Atem ging schnell und flach. Und dann nahm ich mir, was ich brauchte und gab ihm, was er wollte und vehement einforderte. Richtig und falsch hatten ihre Bedeutung verloren. Er war alles, was ich in diesem Moment wollte. Was ich brauchte. Wie sehr ich ihn doch liebte, und das war alles, was zählte.

Ende


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