Kapitel 86

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Wincent

Dass ich ausgerechnet mitten in unserem privaten Chaos mit Linda und Marco auf Festivaltour fahren musste, hätte ich mir selbst wahrscheinlich nicht so ausgesucht, aber ehrlich gestanden war das gar nicht so schlecht. Ein bisschen weg vom Geschehen und Ablenkung mit dem besten Job der Welt. Ich schrieb und telefonierte viel mit Marco und wir hatten uns auch für das letzte Tourwochenende verabredet. Schließlich musste er mal raus. Ich hoffte einfach sie würden ihre Beziehung irgendwie auf die Reihe bringen, aber für mehr Gedanken stand mir grad nicht genügend Kapazität zu Verfügung. Es stand ein volles Wochenende an und ich musste zum Soundcheck. Es war so geil die neuen Songs endlich live vor Publikum zu spielen, aber wie immer konnten wir auch keinen Klassiker auslassen. Erstrecht nicht ‚Hier mit Dir'. Jedes Mal, wenn ich den Song sang, spielte sich die Zeit mit Emma vor meinem inneren Auge ab- also die schönen Zeiten im Sommer, als wir noch dachten uns würde eine Freundschaft Plus reichen. Wir hatten so eine gute Zeit! Die hatten wir jetzt natürlich auch, nur anders eben, gut anders. Auch wenn es mal eine Zeit gab, in der ich den Song verfluchte, jedes Mal, wenn er im Radio lief, liebte ich ihn. Ich sang den letzten Refrain und merkte schon, dass es unruhig hinter mir wurde. 

Ich wollte wissen, was da los war und drehte mich um, als mich ein Schwall kaltes Wasser mitten ins Gesicht traf. Gefolgt von lautem Gelächter von der ganzen Band. Ich japste nach Luft und strich mir über das Gesicht, bis ich erkannte, wer da eigentlich vor mir stand und mich so eiskalt erwischte. „Emma?", keuchte ich und meine Fassungslosigkeit wich schnell einem ernstgemeinten Strahlen. Was machte sie hier? Ich schlang meine Arme um sie und drückte sie fest gegen meine Brust. „Okay, das war jetzt nicht besonders clever, du machst mich voll nass", murmelte sie in mein Ohr. „Selbst Schuld", erwiderte ich nur und drückte ihr einen langen Kuss auf die Lippen. „Ich hab dich vermisst, Babe", nuschelte sie. „Ich dich auch", erwiderte ich und drückte sie nochmal an mich. „Aber was tust du hier?", fragte ich nach und sie legte nur ihren Kopf schief.

Scheinbar hatte ich völlig verpeilt, dass sie ja am Wochenende vorbeikommen wollte. Uppsi! „Hauptsache du bist jetzt da", grinste ich sie an. Ich wollte ihr am liebsten alles zeigen, mit ihr den Nachmittag verbringen und einfach nur entspannen. Aber die Rechnung hatte ich ohne Amelie gemacht, die keine Sekunde später neben uns auftauchte. „Es tut mir leid, aber du hast echt noch viel vor", richtete sie ihre Worte an mich. „Sorry, Babe", meinte ich entschuldigend zu Emma, aber sie nickte nur. Sie wusste, wie solche Tage liefen und so erwartete sie auch nichts von mir. „Ich find schon was zu tun", grinste sie und ließ mich gehen. Ich musste zumindest kurz meine Haare trocknen und mein Shirt wechseln, bevor ich zum Interview ging, das gar nicht mal so lange dauerte. Aber als ich danach dachte ich könnte kurz bei Emma vorbeischauen, kam Amelie mit dem nächsten Ding um die Ecke. Merchkram und dann noch ein, zwei Shots für den Tourfilm. Langsam war ich genervt. Ich hatte meine Freundin eine Woche nicht gesehen, sie war nur wenige Meter von mir entfernt und ich konnte keine Zeit mit ihr verbringen. „Wince, schau nicht so genervt", hörte ich Paul sagen, der mit seiner Kamera vor mir rumlief. Ich schüttelte mich kurz und brachte die letzte Einstellung hinter mich. Dann war es geschafft, dachte ich zumindest. Schließlich war es nur noch eine Stunde bis Konzertbeginn. Zielstrebig lief ich in Richtung unseres Aufenthaltsraum in der Hoffnung Emma dort zu finden, als Amelie schon wieder nach mir rief. Ich schloss meine Augen und atmete nochmal tief durch, bevor ich mich zu ihr umdrehte. „Was?", meinte ich und ich hörte selbst, dass ich tierisch genervt klang. Amelie hob nur eine Augenbraue, bevor sie anfing zu reden.

„Entspann dich mal, Mensch. Ich wollt dir nur sagen, dass du in einer Stunde auf dieser Bühne stehen musst. In einer Stunde!", betonte sie und sah mich streng an. „Hast du mich verstanden? Eine Stunde." „Jahaa", machte ich nur noch und setzte dann meinen Weg fort. „Ich dachte schon ich krieg dich vorher gar nicht mehr zu Gesicht", grinste Emma, als ich mich neben sie auf die Couch warf. Das machte meine Laune nicht unbedingt besser. Und das entging ihr natürlich nicht. Sie zog mich zu sich und strich mir durch die Haare. „Wir strukturieren deinen Tag morgen einfach ein bisschen besser und schaufeln uns den Nachmittag frei, okay?", schlug sie vor und das erschien mir als eine gute Idee. Und bis dahin verbrachten wir die letzten Minuten bis zur Show kuscheln auf der Couch, mehr brauchte ich gerade nicht zur Vorbereitung. Emma brachte mich ein bisschen auf Stand, was Zuhause so los war, aber ich hatte das Gefühl sie beschränkte sich auf das Wesentliche. Soviel Zeit hatten wir dann nun auch nicht. „Viel Spaß, du rockst das. Ich freu mich dich da oben zu sehen", waren Emmas letzte Worte, gefolgt von einem langen Kuss und dann musste ich auch schon auf die Bühne. Ich genoss jeden Gig, immer, aber wenn Emma dabei war und hinten auf mich wartete, fühlte sich alles nochmal anders an. Das Adrenalin und auch die Vorfreude im Anschluss in ihre Arme zu fallen. Wir hatten nachmittags schon gerätselt, ob das Wetter wohl halten würde, das tat es, zumindest bis zum vorletzten Song. Dann kam urplötzlich ein Schauer vom Himmel, dass alle binnen Sekunden klitschnass waren, inklusive mir. Wenigstens war es warmer Sommerregen und so tat der der Stimmung keinen Abbruch.

Es war lustig in die Menge zu sehen, wie einige verzweifelt versuchten noch rechtzeitig ihr Regencape überzuziehen. Es waren zwar nur fünf Minuten, die es regnete, aber das reichte schon. Tropfend verließ ich die Bühne und ließ mir direkt von Amelie ein Handtuch geben. Grinsend sah ich zu Emma, die mit ihrem weißen Shirt vor mir stand, und bevor sie flüchten konnte, hatte ich sie schon an mich gedrückt. Sie versuchte sich aus meinem Griff zu winden, aber sie hatte keine Chance. „Ich werd nass", jammerte sie, bevor sie aufgab. Vorsichtig lockerte ich meinen Griff und sah zu ihr runter. „Gleiches Recht für alle", erwiderte ich grinsend. „Aber ich hab ein weißes Shirt an", jammerte sie weiter. „Eben", zwinkerte ich, „gleiches Recht für alle". Ein schelmisches Grinsen schlich sich in ihr Gesicht und sie strich über mein nasses Shirt. Automatisch spannte ich jeden meiner Muskeln an. „Ich hab dich viel zu lang nicht so zu Gesicht bekommen", murmelte sie und fuhr mit ihren Fingerspitzen mein Sixpack nach. Sie machte mich schon wieder wahnsinnig und mein Bauch kribbelte je tiefer sie mit ihrer Hand wanderte. Ich legte meine Hände an ihre Wangen und sah ihr in die Augen. „Du glaubst gar nicht, wie gern ich dich mit nach hinten nehmen würde", flüsterte ich. Emmas Augen blitzten auf. „Dann tu es halt", meinte sie und ich würde wirklich nichts lieber tun, aber...

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