Kapital 2

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Wortlos ging ich durch die Tür, die ich nun nicht mal mehr öffnen musste. Anscheinend war ich wohl zu faul dafür. Ich trat in den Flur hinaus. Wie so oft fragte ich mich, was denn hinter all den Türen hier war. Meine Mutter hatte sie sorgsam abgeschlossen und es mir strengstens verboten, diese Türen auch nur zu berühren. Es musste ein Geheimnis dahinter liegen, warum sollte sie es mir sonst verbieten wollen? Ich drehte mich ein Mal im Kreis. Die Treppe lag vor mir. Sie erinnerte mich mehr an einen dieser Holzstapel, die manchmal an dem Wegrand eines Weges lagen. Aus der Ferne hatte ich dies Mal gesehen, aber leider nicht lange genug, um andere wie mich zu beobachten. Andere wie mich? Wie fremd dieser Satz für mich klang. Ich hoffte, dass es andere gab. Meine Mutter würde ich nicht ewig aushalten können und diese Treppe ging mir auf die Nerven. Während ich runter ging, hoffte ich darauf, dass sie unter mir zerbrechen würden. Ich hätte es so gewollt. Auf dem letztem Stamm rutschte ich aus und konnte meinen Sturz abfangen. Leider sah meine Mutter meine Unachtsamkeit. Ich lag noch auf dem Boden, als sie vor mich trat. Der Gürtel meines verstorbenen Vaters landete auf meinem Rücken. Der Schmerz zog durch meinen gesamten Körper. Sie schlug insgesamt zehn Mal zu. Warum tat sie das? Ich hatte es doch gerade noch geschafft nicht zu stürzen und nun zückte sie direkt den Gürtel... Mir standen die Tränen tief in den Augen. Meine Tränen ließen das Blut auf dem Boden langsam lösen. Das war das einzig positive daran. Unsanft zog meine Mutter mich hoch und trat mich mit dem Fuß an meinem Rücken in die Küche. Der Tisch war gedeckt, nur mangelte es mir an Hunger. Ich sah sie an. Gegenüber von mir und doch so kalt und unnahbar. Ich wusste nicht was in ihr vor ging. Was wollte sie damit erreichen? Sie bemerkte meinen Blick, den ich nicht schnell genug wieder senkte. Ich erhielt eine schallende Ohrfeige, die mich rasend machte. „Kannst du die Treppe auch noch lauter runter kommen?", ihre Stimme donnerte durch das Haus. Ich stand auf und war schneller oben, als sie gucken konnte. Wieder lief ich die Treppe hinunter. Diese zerbrach unter mir und klemmte mir den Arm ein. Meine Mutter kam auf mich zu, um mich zu befreien, was ich jedoch vergeblich hoffte. Sie schlug mich wieder auf die Wange. Diesmal platzte meine rechte Gesichtshälfte auf. Ich schrie wie am Spieß. „Sei leise! Wir haben auch hier unten Fenster!!", sie würde nicht zögern mich noch einmal rauszuwerfen. Sie verließ den Haufen und setzte sich wieder zum Essen in die Küche. Mir kamen die Tränen. Mein Arm war zerquetscht. An meinem Rücken hatte ich eine Fleischwunde, die nun Holzsplitter in sich trug, die ich merkte. Irgendwie schaffte ich es den Balken von meinem Arm zu hiefen. Wenigstens verdeckte dieser Holzstapel die Blutspuren, die unseren Fußboden seit einer Ewigkeit zierten. Mein Blut und kein anderes.

Diese Balken gefielen mir besser, aber ich musste endlich raus hier, bevor ich noch die Treppe alleine wieder aufbauen musste. Leise öffnete ich die Haustür, die jedoch gerne quitschte. Es war also ein Traum von leise. Dennoch gelang es mir das Haus unbemerkt zu verlassen. Also bis jetzt unbemerkt. Ich versteckte mich draußen unter der Bank. In der Nacht würde ich die Flucht wagen wollen. Ich wollte meine Freiheit. Um jeden Preis. Sogar für mein Leben.

Tränen eines DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt