⊱Kapitel 5⊰

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Schneller als ich es mir erwartet habe, steht der Samstag vor der Tür. Heute Mittag muss ich zu Aiden. Tief in mir spüre ich noch immer die Wut auf unsere Lehrerin. Warum musste sie ausgerechnet mich mit ihm in ein Team stecken? Warum musste sie uns ausgerechnet nach den Vornamen sortieren? Die Wahrscheinlichkeit beim Nachnamen genannt zu werden und so mit einem Idioten wie Aiden zusammen arbeiten zu müssen, wäre deutlich geringer gewesen. Rich und Vic freuten sich natürlich über das Projekt. Anscheinend würde ich so schneller viele Kontakte knüpfen. Meiner Meinung nach, eine ziemlich fragwürdige Behauptung. Immerhin will ich überhaupt keine weiteren Leute näher kennen lernen und erst recht nicht ihn. Jo und ihre Freundinnen reichen mir fürs Erste. Mein Bedarf an sozialen Kontakten war mehr als nur gedeckt. Früher hatte schließlich auch eine enger Vertraute, Alli, gereicht. Ich gehöre eben zu den Personen, die nicht Unmengen an Freunden braucht. Lieber verbringe ich meine Zeit mit den gleichen, ein, zwei Leuten.

Mit hängenden Schultern und einer Unmut in den Gliedern half ich Vic beim Abwasch. Ich habe zu so ziemlich allem Blödsinn Lust, nur nicht auf den Besuch bei Aiden. Wären mir meine Noten nicht so wichtig, hätte ich das Treffen einfach sausen lassen. Viel lieber würde ich mich mit einem guten Buch in mein kuscheliges Bett verkriechen oder mit meinem Notizheft in den Park flüchten. Jedenfalls würde ich tausend Mal lieber in den Welten Anderer versinken, als genervt an den bevorstehenden Nachmittag zu denken. Ich meine das ganze Drama in diesen guten Romanen hin oder her. Meistens gab es ein Happy End. Das war es, was ich jetzt wollte. Mit den Protagonisten zusammen leiden und mich gemeinsam mit ihnen freuen. Nach dem Lesen, würde mir sicherlich eine Handlung nicht mehr aus dem Kopf gehen und so meine Fantasie für neue Gedichte in Gang bringen. Bei diesem Gedanken seufze ich sehnsüchtig auf. Fragend nimmt Vic ihren Blick vom Geschirr. »Alles okay?«
Ich nicke und schnappe mir den nächsten Teller, nur um ihn gedankenverloren abzutrocknen.
»Lyn, du musst mir nicht helfen, wenn du nicht möchtest.«
Sofort überkommt mich mein schlechtes Gewissen. Vic denkt wirklich, dass ich ihretwegen so mies gelaunt drauf bin. »Nein nein. Ist schon okay. Ich helfe dir doch gerne.«
Lächelnd richtet sie ihre Aufmerksamkeit erneut dem Spülwasser.
»Was ist es dann Lyn?« Während ich abermals nach dem sündhaft teuren Porzellan greife, schenkt Victoria mir einen kurzen Seitenblick ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Ach ich habe einfach keine allzu große Lust auf dieses Kunstprojekt. Schule eben.« Winke ich mit einer wegwerfenden Bewegung ab und stelle die Teller an ihren Platz im Küchenschrank.
»Das verstehe ich natürlich. Immerhin war ich auch mal in deinem Alter. Aber am Ende weißt du ja, wofür es sich lohnt.«
»Da hast du Recht, Vic.« Schmunzelt hänge ich das Handtuch über den Griff des Backofens.
»Natürlich habe ich das. Du kennst mich doch.« Augenzwinkert trocknet Vic sich die Hände ab.
»Oh ja. Oh ja.« Andächtig schreite ich rückwärts zur Tür. »Ich muss dann aber auch los. Tut mir leid.«
»Alles gut. Die Schule ist schließlich wichtig. Obwohl ich bei diesem Projekt ernsthaft daran zu zweifeln beginne.«
Grinsend drehe ich mich um und lege meine Hand auf die Türklinke, ehe ich mich ihr noch einmal zuwende. »Gut, dass wir da einer Meinung sind.«
Victoria muss kichern und verabschiedet mich.
»Bis später«, erwidere ich ihre Worte und verschwinde endgültig nach oben in mein Zimmer. Innerhalb weniger Minuten füllt sich mein halb auseinandergefallener Rucksack mit allen notwendigen Materialien. Was das angeht, wäre es definitiv schlauer, wenn ich Aiden hierher bestellt hätte. Dann könnte ich mir das Theater getrost sparen. Den Laptop, Block, das Etui und all den Kram, den man ohnehin immer bei sich hat mit sich hat durch die Gegend zu schleppen. Ein Blick in den Spiegel verrät mir, dass ich mich so auf jeden Fall in die Öffentlichkeit trauen kann. Für Aiden würde ich mich sowieso nicht umziehen. Höchstens für seine Familie. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die sich ganz anders benehmen. An Aidens Verhalten hat sich nämlich auch in den letzten Tagen nichts geändert. Er macht weiter einen auf superschönen, obercoolen Quarterback und strahlt dabei die Wärme eines Eisblocks aus. Wie seine Freunde, allen voran Ethan das aushalten ist mir nach wie vor ein absolutes Rätsel. Allerdings kann ich nicht abstreiten, dass sein Charakter keine Wirkung auf mich hätte. Ich verliere mich andauernd regelrecht in seinen blauen Augen und ständig steigt die Hitze bis in meine Knochen, wenn er mir sein Lächeln schenkt. Denn mehr scheint er in Sachen Mimik nicht drauf zu haben. Jedes Mal, wenn wir uns im Unterricht oder in den Pausen sehen, wechselt er kein einziges Wort mit mir. Das Einzige, dass er mir entgegenbringt ist sein unwiderstehliches Lächeln. Wenigstens ist er heute dazu gezwungen, seine Stimme zu benutzen. Ob das unbedingt besser sein wird weiß ich nicht, aber für das Projekt wäre es wohl nicht das Schlechteste.
»Wenn du willst, dann kann ich dich fahren.« Vic fängt mich am Ende der Treppe ab. Sie lehnt mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen zum Wohnzimmer.
»Musst du nicht Vic. Der Weg ist nicht allzu weit. Aber danke, für dein Angebot.«
»Na dann viel Spaß. Und wenn was ist ruf mich an. Ich bin den ganzen Tag zu Hause.«
»Werde ich machen.« In der Hoffnung, dass mir der bevorstehende Spaziergang ein wenig Motivation ums Herz zaubern kann, schlüpfe ich in meine weißen Sneaker und verlasse unser Haus. Besser gesagt Victorias und Richards Haus. Mein Weg führt durch die wenig befahrenen Straßen unseres gepflegten Viertels. Einige beschäftigen sich an diesem Wochenende in ihren Gärten. Die Motoren der Rasenmäher und das leise Bellen einiger Hunde sind die einzigen Lebenszeichen, die ich wahrnehmen kann.

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