Hey Du,
eigentlich wollte ich dir gar nicht schreiben. Das heißt - eigentlich will ich dir schon lange schreiben, ich will nur nicht dass du diesen Brief liest. Wobei - eigentlich solltest du ihn auch lesen, wenn ich mir schon die Mühe mache, alle meine Gefühle, die sonst unausgesprochen bleiben, aufzuschreiben. Schreiben ist manchmal eben einfacher. Hier kann ich alles rauslassen ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie die Person mir gegenüber darauf reagiert. Zumindest nicht im ersten Moment. Das mache ich dann, wenn ich den Brief auf Fehler korrigiere und er sowieso auf direktem Weg im Mülleimer wandert, weil sich alles was ich darin sage, total lächerlich anfühlt. Jedenfalls will ich schon lange mit dir reden. Und für eine Auge-zu-Auge Konversation bin ich einfach zu feige.
Spaß beiseite. Jetzt zu den Gefühlen. In den letzten Monaten hast du gemerkt, dass es mir nicht sonderlich gut geht. Hoffe ich zumindest. Aber du hast nie danach gefragt. Du hast nie gefragt, wie es mir geht. Das soll kein Vorwurf sein. Ich weiß, dass ich dir auch nicht die Wahrheit gesagt hätte, wenn du mich gefragt hättest. Also wäre es auf das Gleiche hinaus gelaufen. Gefühle und Gedanken bleiben ungesagt. Und ich bin wütend und verärgert und enttäuscht. Auf mich selbst. Weil ich mir jedes Mal wieder vornehme, dir einfach alles Ungesagte vor die Füße zu spucken und komplett ehrlich mit dir zu sein. Und jedes Mal, wenn ich kurz davor bin, denke ich, es ist nicht wichtig. Ist ja egal. Bis ich wieder an der Klippe stehe, kurz davor mich runterzustürzen - bildlich gesprochen.
Also ich bin wütend auf mich selbst, weil ich mir Grenzen setze, die mich daran hindern, an deiner Seite ich selbst zu sein. Wenn ich dir 90 Prozent meiner selbst verschweige, wie sollst du dann die Chance bekommen, mich kennenzulernen. Mich wirklich kennenzulernen. Und das Problem dabei - du glaubst, du kennst mich. Weil ich nie ehrlich mit dir bin. Weil ich immer eine Rolle spielen muss. Aus Angst vor Ablehnung. Gottverdammt, ich habe so viel Angst in mir, die mich an allem hindert.
Ich fühle mich alleine. Einsam und alleine. Aber es liegt nicht an dir. Du ahnst nicht, was ich alles mit mir rumschleppe. Was alles darauf wartet, endlich rausgelassen zu werden. Wie viel leichter würde ich mich dann fühlen.
Wie sagt man jemandem, dass man sich nicht gut fühlt, wenn man Angst davor hat zur Belastung zu werden? Wenn ich dir alles offenbare, mit wie viel davon kannst du umgehen? Wenn ich mich danach leichter fühle, fühlst du dich dann schwerer?
Ich wünsche mir so sehr, dass ich endlich ehrlich sein kann. Und ich weiß, dass ich mir vornehme, das nächste Mal mit dir zu reden. Aber ich weiß auch, dass es mir das nächste Mal egal vorkommt. Aber ist ja egal.