6. Kapitel

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Venti hatte mich wie immer morgens abgeholt und wir machten uns auf den Weg zur Schule. Der Junge war malwieder mit seinen Gedanken ganz wo anders und sprach auch nicht. Er sah wie immer ziemlich müde aus, als hätte er fast nicht geschlafen. Ich machte mir ziemlich Sorgen, doch er würde so wie so nicht antworten, wenn ich ihn fragen würde. Er hatte sich ziemlich von mir distanziert und redete kaum noch. Im Unterricht machte er nicht mehr mit und wenn er aufgerufen wurde, reagierte er einfach nicht. Es war für mich schon, wie ein Wunder, dass er überhaupt noch mit mir zusammen zur Schule ging. Wir näherten uns der Straße, die wir auf der Strecke jeden Morgen überqueren mussten. Plötzlich klingelte mein Handy und ich meinte zu Venti: „Warte kurz." Ich nahm den Anruf an und meine Mutter sagte auf der anderen Seite der Leitung: „Ich gehe nach der Arbeit noch einkaufen, was willst du zum Abendessen? Ich habe vorher vergessen dich zu fragen." „Mir ist es egal, ich...", ich sprach nicht aus, da mir vor Schreck mein Handy aus der Hand fiel. „Venti!", schrie ich erschrocken und sprintete los. Er hatte anscheinend nicht mitbekommen, dass ich stehengeblieben war und ist weiter gegangen. So vertieft in seinen Gedanken, achtete er nicht auf die Straße vor ihm und ging, mit Blick auf den Boden, voran. Dabei bemerkte er allerdings nicht den Lastwagen, welcher mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zuraste. Ich schrie erneut seinen Namen und dieses Mal blieb er stehen und sah fragend zu mir. Dann entdeckte auch er den LKW, hatte aber keine Zeit mehr zu reagieren. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, sprang nach vorne, packte ihn und riss ihn in die Richtung der anderen Straßenseite. Das alles geschah, wie in Zeitlupe und ich konnte das Quietschen von Reifen hören. Ein lautes Hupen ertönte und schallte in meinen Ohren. Ich wusste nicht, ob wir es schaffen würden und schloss meine Augen. So fest ich konnte umklammerte ich Venti und hoffte einfach das ich schnell genug war. Ich wollte ihn auf keinen Fall verlieren. Nach wenigen Sekunden, welche sich wie Minuten anfühlten, kamen wir unsanft am Boden auf. „Ngh-" Ein Schmerz durchzuckte mich als ich aufschlug. Ich hörte, wie eine LKW-Tür geöffnet wurde und jemand ausstieg. „Oh mein Gott! Geht es euch gut?", fragte eine panische Stimme. Ich öffnete langsam die Augen und sah mich um. Wir lagen auf dem Bürgersteig der anderen Straßenseite, nur wenige Zentimeter neben dem Fahrzeug. Ich hatte uns gerade so gerettet. „Venti?", sprach ich den Jungen in meinem Arm an. Er öffnete leicht seine Augen und sah mich an. Der Junge stand ziemlich unter Schock und reagierte nicht wirklich. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?", wollte der Mann wissen, welcher den LKW gefahren hatte. Ich schüttelte den Kopf und entgegnete: „Nein, ich bringe ihn erstmal zu mir nach Hause und sag meiner Mutter Bescheid, sie ist Krankenschwester und kann ihn durchchecken." „Na gut, tut mir wirklich leid. Du bist wirklich ein Held Junge, ohne dich hätte ich ihn überfahren", entschuldigte er sich und fuhr davon. Ich nahm Venti im Brautstile hoch und überquerte vorsichtig die Straße. Mir wurde erst jetzt bewusst, wie wenig er eigentlich wog. Es war mir zwar schon aufgefallen, dass er dünner geworden ist, aber dass es so extrem war... Mein Handy lag noch immer am Bürgersteig und ich hörte meine Mutter auf der anderen Seite Leitung reden. „Xiao! Warum antwortest du nicht? Ich komme jetzt nach Hause!", meinte sie mit hysterischer Stimme und legte auf. Ich rief sie nicht zurück, da sie sowieso kommen würde. Ich nahm das Handy und setzte meinen Weg fort.

Nach etwa fünf Minuten erreichte ich endlich mein Zuhause. Ich stellte Venti vorsichtig auf seine Beine, holte meinen Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Da er ziemlich unsicher stand, stütze ich ihn und brachte ihn ins Wohnzimmer, wo ich ihn auf der Couch absetzte. Ich holte ein Glas Wasser und einen Waschlappen. Das Glas gab ich ihm und er trank es langsam aus, mit dem Waschlappen wischte ich ihm etwas Dreck aus dem Gesicht. „Wie geht es dir?", fragte ich besorgt und sah ihm in die Augen, ich konnte in ihnen leider nicht das fröhliche Strahlen wie früher sehen, sondern nur Schmerz und Einsamkeit. Was war nur geschehen? Warum wollte er mit niemandem darüber reden? „Ich...es...", mehr brachte er nicht heraus, da er anfing zu schluchzten und zu weinen. Ich lehnte mich vor und umarmte ihn fest. Venti klammerte sich an mich heulte sich an meiner Brust aus. „Schhh, alles gut", versuchte ich ihn zu beruhigen, hatte jedoch leider keinen Erfolg. „Xiao!", brüllte meine Mutter als sie das Haus, nach einiger Zeit betrat. „Oh mein Gott, ich habe mir solche Sorgen gemacht, weil du plötzlich am Telefon irgendwas gerufen und dann nichtmehr geantwortet hast. Die Schule hat mich auch schon angerufen, weil- Was ist passiert?! Venti alles in Ordnung?", ihre Stimme war ziemlich besorgt und sie kam auf uns zu. „Er wäre fast überfahren worden, aber ich habe ihn noch rechtzeitig gerettet. Am besten du checkst ihn mal durch", erklärte ich ihr, immer noch mit dem Jungen im Arm. Sie sah ziemlich geschockt aus und umarmte uns nun beide fest. Ich hatte ihr schon vor längerem von Ventis Veränderungen erzählt und auch sie machte sich große Sorgen um ihn. „Ich sage in der Schule Bescheid, dass ihr beide nicht kommt", meinte sie und ging aus dem Raum. „Venti, bitte sag mir was in letzter Zeit mit dir los ist!", forderte ich ihn auf. Meine Stimme war ernst, aber besorgt. Er löste sich vorsichtig aus meinen Armen und sah bedrückt nach unten. Er zog langsam sein Oberteil nach oben und darunter kamen unzählige blaue Flecken zum Vorschein. Ich sah ihn geschockt an und brachte gerade so heraus: „Wer war das?!" Dieser Jemand würde dafür bezahlen ihm so etwas angetan zu haben! Einige Minuten schwieg er und beruhigte sich etwas, anschließend begann er mit zittriger Stimme zu sprechen: „Mein...Stiefvater..." Sein Stiefvater?! Ich starrte ihn an und hörte aufmerksam zu als er weitererzählte: „Vor einem Monat ist mein Vater abgehauen und meine Mutter hat angefangen sich zu betrinken. Ich habe es immer hinter einem Lächeln versteckt, da ich niemanden mit meinen Problemen auf die Nerven gehen wollte. Naja...dann vor drei Wochen hat sie einen neuen Mann mit nach Hause gebracht. Er hat sich sofort in alle meine Angelegenheiten eingemischt. Er ist der Meinung, ich würde zu viel Freizeit haben und sollte weniger Zeit mit meinen Freunden und dafür mehr mit Schulsachen verbringen. Natürlich habe ich nicht auf ihn gehört, immerhin habe ich ja keine schlechten Noten. Nach einiger Zeit war er dann super wütend auf mich, weil ich nie wirklich auf ihn gehört habe. Er hat mir einen riesigen Stapel mit Übungen gegeben und ich sollte sie noch am gleichen Tag alle erledigen. Das hätte man niemals an einem Nachmittag schaffen können... Als ich mich geweigert hab, hat er angefangen mich zu schlagen und dazu gezwungen. A...Aus Angs habe ich die Blätter dann ausgefüllt und war erst um halb vier in der Nacht fertig. Deshalb war ich dann so müde und abwesend. Mein Stiefvater meinte auch, wenn ich zu viele Fehler gemacht hab, tut er mir noch schlimmeres an... Ich hatte den ganzen Tag Angst davor nach Hause zu gehen... Er war nicht wirklich zufrieden mit den Aufgaben und hat mehrmals auf mich eingeschlagen. Jeden Tag bekam ich mehr Blätter und irgendwann schlief ich nur noch eine oder eine halbe Stunde pro Nacht. Da er und Meine Mutter immer zu Mittag essen bevor ich nach Hause komme, bekam ich da dann nichts mehr zu essen. Und am Abend bin ich meistens zu beschäftigt, um irgendetwas anderes zu tun als zu Lernen. Ich habe irgendwann nur noch in der Schule etwas gegessen aber selbst das habe ich nach einiger Zeit gelassen... Ich esse eigentlich nur noch, wenn ich es vor Hunger nichtmehr aushalte... Ich hab natürlich mit meiner Mutter darüber gesprochen, aber es war ihr egal... Ich weiß einfach nicht was ich machen soll..." Er begann wieder stärker zu weinen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Ich blickte geschockt zur Tür, wo meine Mutter ebenso erschrocken aussah. „Es tut mir so leid, dass du so etwas durchmachen musstest. Aber jetzt werde ich besser auf dich aufpassen. Dieser Arsch wir dir nie wieder etwas antun", meinte ich mit wütender Stimme und umarmte ihn fest. „D...Danke", flüsterte er. „Nicht dafür", entgegnete ich.

Meine Mutter versicherte sich noch das es uns soweit gut ging und fuhr anschließend wieder zur Arbeit. Ich verbrachte den restlichen Tag zusammen mit Venti auf der Couch. Wir sahen uns einige Filme an und ich machte uns auch etwas Vernünftiges zu Essen. Zum Glück konnte ich einigermaßen gut kochen. Anfangs musste ich ihn zwar dazu zwingen etwas davon zu essen, doch dann schlag er es ziemlich schnell herunter. Ich war ziemlich erleichtert, dass er etwas zu sich nahm, immerhin hatte er viel zu viel abgenommen. Die Wut in mir über dieses Monster, dass ihm das antat, war riesig. Dieser Mann würde dafür noch bezahlen! Aber jetzt konzentrierte ich mich erstmal darauf mit Venti einen schönen Tag zu verbringen. Wir sahen uns einige Filme an oder unterhielten uns über die verschiedensten Sachen. Hin und wieder lächelte er sogar, was er in den letzten Wochen überhaupt nicht getan hatte.

Am Nachmittag klingelte es plötzlich an der Haustüre. So leise wie es ging stand ich auf, um Venti nicht zu wecken, da er vor kurzem eingeschlafen war. Es würde ihm wirklich gut tun sich auszuruhen. Ich öffnete die Tür und sah verwirrt die Person vor mir an. „Was machst du denn hier Xinyan?", fragte ich skeptisch. Sie entgegnete monoton: „Da ich die Einzige aus der Klasse bin, die weiß, wo du wohnst, muss ich dir die Hausaufgaben bringen. Du wirkst zwar nicht sonderlich krank aber... naja egal. Ich gehe gleich auch noch zu Venti..." Sie seufzte einmal, es war ihr sichtlich unangenehm mit mir zu reden, immerhin waren wir ja noch zerstritten. „Du kannst es dir sparen zu Venti zu gehen, er ist nicht zuhause", meinte ich. „Hä? Woher willst du das den wissen?", fragte sie verwirrt. Ich meinte knapp: „Weil er hier ist." Jetzt schien sie nur noch mehr Fragen zu haben. „Xiao? Wer ist da?", ertönte auf einmal die Stimme von Venti hinter mir. Er war anscheinend doch aufgewacht als ich aufgestanden bin...na toll danke für nichts Xinyan... Als er das Mädchen sah, musterte er sie ziemlich skeptisch. Sie erklärte ihm, warum sie hier war, wollte jedoch immer noch eine Antwort darauf, warum wir beide bei mir waren. Venti zögerte kurz, entschied sich dann aber dazu auch ihr von seinem Stiefvater und dem Vorfall mit dem LKW heute zu erzählen, fasste es aber kürzer zusammen. Während er sprach, liefen ihm erneut einige Tränen die Wangen herunter, ich legte ihm deshalb meinen Arm um seine Schulter um ihn zu beruhigen. Als er fertig war starrte ihn Xinyan uns für einige Sekunden geschockt an. „Venti es tut mir so leid! Hätte ich das gewusst, wäre ich nie so ausgerastet und hätte dich auch nicht angeschrien!", meinte sie und umarmte den Jungen fest. „Schon okay", entgegnete er leise und lächelte ein kleines bisschen. Vielleicht würde die Band ja doch wieder zusammenfinden, das hoffte ich zumindest.

High school band // Genshin Impact FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt