Der Beginn einer Freundschaft

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"Herzfrequenz bei 45", hörte ich eine tiefe Stimme murmeln. Um mich herum hörte ich mehrere Leute, viele Schritte, sogar fast schon hektisches Hin- und Herrennen. Mit aller Kraft öffnete ich die Augen und schaute mich um. Ich lag in einem kleinen Zimmer mit ekelhaften Creme-farbenen Tapeten und vielen Schränken und Ablagen überall, wie auch einem Waschbecken. Rechts von mir war so ein Tropf-Ding, das mit einem Kabel an meinem Arm befestigt war. In meinem rechten Arm steckten zwei Nadeln, die mit Mullbinden umwickelt waren. An meinem linken Arm hing so ein Ding mit dem man den Blutdruck misst. Gerade wollte ich mich aufsetzen, da durchzuckte ein starker Schmerz meinen rechten Arm an der Stelle, wo diese verdammte Nadel steckte.

"Sie ist wach", sprach die Stimme erneut. Verwirrt schaute ich auf einen Mann, den ich bisher komplett ignoriert hatte. Es war derselbe Typ wie im Knast, dieselbe Maske, dieselbe bescheuerte OP-Brille. Ich schaute ihn grinsend an. "Bin ich tot?", sagte ich und überlegte, ob es in der Hölle oder wo auch immer ich war wohl Bagels gab. Ich war am verhungern!

Der Typ sah in meine Richtung, aber wegen der Brille und der Maske konnte ich nicht erkennen, was in ihm vorging. Er schüttelte nur den Kopf, seufzte und ging zur Tür. "Schwester Akali, übernehmen Sie. Ich brauche einen Kaffee", grummelte er sichtlich genervt und verließ das Zimmer. Ich schaute zu Schwester Akali, die an den Türrahmen gelegt meine Arme musterte und mich dann direkt ansah.

"Bin ich echt nicht tot? Ich könnt schwören ich hätte mir die Hölle genau so vorgestellt! Nur etwas dunkler vielleicht!" Mit diesen Worten sprang ich auf und wickelte mir langsam meine Mullbinden von den Armen, nur um mir dann die Nadeln aus der Haut zu ziehen. Blut quoll aus meinem rechten Arm und ich schaute grinsend darauf. "Langsam wird's mal weniger langweilig..", murmelte ich. Eigentlich wollte ich ohne ein weiteres Wort den Raum verlassen, meine Waffen suchen und verschwinden, doch Schwester Akali hielt mich an den Schultern fest und drückte mich auf das Bett, dann ging sie einen Schritt zurück und kramte in einer Schublade.

"Was haben Sie sich dabei gedacht? Die Nadeln hätten abbrechen und in Ihrer Haut steckenbleiben können! Sowas ist gefährlich! Sie hätten sich ernsthaft verletzen können!" Mit einem Fläschchen Desinfektionsspray und Pflastern trat sie wieder zu mir, sprühte das Spray auf meine Arme und klebte ein Pflaster auf jede Stelle, wo die Nadeln zuvor gewesen waren. Ich musterte verwirrt meinen Arm. Warum machte die so einen Wirbel darum? Im nächsten Moment grinste ich wieder und schaute sie an. "Machst du dir etwa Sorgen um mich?" Sie sah mich genervt an, legte das Desinfektionsspray wieder weg und wusch ihre Hände.

"Sie sind meine Patientin, da ist es selbstverständlich, dass ich Ihren Aufenthalt hier so angenehm wie möglich gestalte und dafür sorge, dass es ihnen gesundheitlich gut geht." Grinsend stand ich auf und stellte mich neben sie. "Cool, lass uns Freunde sein! Akali, richtig? Freut mich!" Verwirrt dreinblickend drehte sie sich zu mir um. "Tut mir Leid, aber das ist mehr als unangemessen." Mit diesen Worten ging sie zum Türrahmen und bedeutete mir mit einer Handbewegung ihr zu folgen. Grinsend sprang ich hinter ihr her. Das war wirklich der Anbeginn einer wundervollen Freundschaft - davon war ich fest überzeugt.

Wir gingen durch den Flur und Akali sagte kein Wort, was mich aber nicht davon abhielt sie voll zu labern. "Seit wann arbeitest du hier? Gibts irgendwas spannendes, was man hier machen kann? Wo sind meine Waffen? Warum sind die anderen Leute hier? Wann kann ich hier raus?" Letzten Endes platzte ihr der Kragen, sie schaute mich gereizt an und ihr Ton wurde laut und aggressiv. "Bitte seien Sie still, die anderen Patienten könnten sich gestört fühlen!" Grinsend schaute ich sie an. "Du kannst ja richtig laut werden. Spannend!" Ich lief ihr weiter nach, bis wir in meinem Zimmer ankamen. Dort warf ich mich auf mein Bett und rollte mich auf die Seite.

Akali blieb eine Weile stehen - das spürte ich - bis sie irgendwann ein Räuspern von sich gab um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. "Wir haben Ihnen übrigens einige Klamotten zur Verfügung gestellt. Sie befinden sich im Badezimmer. Wenn Sie sonst noch was brauchen melden Sie sich bitte im Schwesternzimmer." Sie wandte mir den Rücken zu und schritt gerade durch die Tür, als ich rief: "Ey, warte!" Sie hielt inne und drehte ihren Kopf leicht in meine Richtung. "Kann man hier irgendwo essen? Seit dem Knast hatte ich nichts mehr und ich würde morden nur um nen Bagel oder so zu kriegen!" Sie nickte kurz, dann antwortete sie: "Der Esssaal ist zwei Türen weiter rechts. Essen ist um 6:30 , 12:30 und 18:30."

Kaum war sie weg sprang ich auf und rannte ins Badezimmer meines Zimmers. Auf dem Waschbecken standen Annies Zahnbürste, ein Kamm und Handtücher. Rechts davon war die Toilette und noch weiter rechts ein kleines Regal mit allen möglichen Pflegeprodukten, daneben eine Badewanne. Auf dem Badewannenrand lag eine Tüte mit der Aufschrift "Für Jinx". In Windeseile öffnete ich die Tüte und holte eine Jogginghose und einen Hoodie aus der Tasche. Gelangweilt schaute ich darauf. Ein Hoodie? Kannten die meinen normalen Style so gar nicht oder was?

Angeekelt von den Sachen warf ich meine eigentlichen Klamotten in die Ecke des Badezimmers und streifte die Jogginghose und den Hoodie über - alles in einheitlichem schwarz. Ich betrachtete mich im Spiegel und erkannte mich kaum wieder. Mit einem Seufzen öffnete ich meine geflochtenen Zöpfe und schaute abermals in den Spiegel. Gott sah ich komisch aus... Schnell machte ich mir zwei Zöpfe um diesen ekelerregenden Anblick loszuwerden und verließ das Badezimmer.

Die Uhr an der Wand zeigte 18:27 Uhr. Aufgeregt sprang ich auf und rannte auf den Flur, schnellstmöglich durch die zweite Tür rechts.

Der Esssaal war ein fast leerer Raum mit nur einem langen Tisch und vielen Stühlen, woneben eine Essensausgabe war. Ich roch bereits das Essen und lief motiviert auf die Essensausgabe zu, nahm mir ein Tablett und schaute die Frau auf der anderen Seite der Ausgabe, die eine Schöpfkelle hielt, mit einem strahlenden Lächeln an. Sie erwiderte den Blick, allerdings eher genervt als freudig. Sie tunkte die Kelle in einen Topf und füllte mir eine Schüssel voll mit Suppe. Danach rief sie aus tiefer Stimme "Nächster!" und würdigte mich keines Blickes mehr.

Mein Blick wanderte immer wieder über die Suppe während ich mich an den Tisch setzte. Was sollte das denn? Ich hatte Tage nicht gegessen und dann das? Annie kam glücklich angehüpft und kicherte als sie meinen Blick bemerkte. "Abends gibt es immer leichte Kost, die wollen uns hier dünn halten. Aber keine Sorge, teils ist das Essen echt gut und nahrhaft." Sie stellte ihr Tablett meinem gegenüber und setzte ihren kleinen Teddy auf den Tisch. Ich musterte ihn - irgendwas an ihm ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen.

"Dein Teddy ist echt süß", murmelte ich und schob mir einen Löffel Suppe in den Mund. "Wie heißt er?" Sie sah mich an - auf einmal nicht mehr am Lächeln, sondern wütend. "Tibbers gehört nur mir!" Geschockt sah ich sie an, dann nickte ich und erwiderte: "Keine Sorge, ich will ihn dir nicht wegnehmen..." Ihr Blick entspannte sich. "Gut." Schweigend löffelten wir beide unsere Suppe weiter und als wir fertig waren brachten wir die Tabletts weg.

Sie setzte sich noch zu anderen Patienten - darunter auch der Typ, dem ich versehentlich Kaffee übergekippt hatte. Ich hatte so null Lust zu denen zu gehen. Am liebsten hätte ich weiter an meinen Waffen getüftelt, aber die wurden mir ja abgenommen. Wo sie wohl waren... In Gedanken versunken lief ich aus dem Raum und mitten in Akali rein. Die Schüssel die sie trug entleerte sich auf ihren Kittel und lange Nudeln und Flüssigkeit zierten ihn.

Ich starrte auf das weiß, das langsam durchzuschimmern begann und sah, dass sie beschämt in den Raum starrte. Schnell ergriff ich ihre Hand und zerrte sie ohne auf ihr Einverständnis zu warten mit in mein Zimmer. Dort zog ich meinen Hoodie aus und warf ihn ihr zu, eilte ins Badezimmer und zog meine üblichen Sachen an.

"Wa-", hörte ich nur von ihr als sie den Hoodie ins Gesicht bekam. Fertig kam ich zu ihr zurück und schaute sie an, dann zeigte ich grinsend auf den Hoodie. "Den solltest du anziehen." Sie schaute mich perplex an, dann zog sie den Hoodie über ihren Kittel. Es sah ziemlich merkwürdig aus, aber besser so als wenn sie mit durchsichtigem Kittel rumrennt. Ich nickte und grinste weiter. Sie murmelte leise "Danke.." und schaute auf den Boden. Ich nickte wieder. "Dafür sind Freunde doch da!"

Jinx - In Scherben gespaltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt