Primrue Mellark 2 | Kapitel 42

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Ich hatte keine Ahnung wie lange wir schon durch den Wald hin und her rannten und lebende Schießbudenfiguren spielten, jedoch war ich mehr als erleichtert, als Aaron endlich wieder bei unseren vereinbarten Treffpunkt auftauchte und breit grinste. 
„Und habt ihr ein paar von ihnen erwischt?“, fragte er und Nex grinste siegessicher.
Er war ja auch derjenige, der im Baum sitzen durfte, und unsere Gegner, wenn sie sich durch einen Schuss enttarnt hatten oder so dumm waren uns nachzulaufen, erschießen durfte. 
Gott sei Dank waren seine Schießkünste immer noch übermenschlich. Trotzdem schien es fast ein Wunder, das wir alle noch am Leben waren. 
„Hast du deinen Teil der Abmachung gehalten?“, gab ich keuchend zurück. 
Der letzte Schuss war mir eindeutig zu nah, an mir vorbei geflogen, als es mir lieb war. 
„Aber Primrue. Zweifelst du etwa an meinen können?“, beschwerte Aaron sich schmollend.
„Nimms nicht persönlich.“
Kurz verzog er das Gesicht, ehe er sofort wieder ernst wurde.
„Wir sollten in Deckung gehen und uns die Ohren zu halten.“
Während Henna und Vicca ihm brav folge leisteten, sprach Shade das aus, was wir alle dachten.
„Warum?“
Ein lauter Knall ertönte, der mir fast das Trommelfell zerplatzen ließ und ich drückte mich so flach wie möglich gegen den Boden, als eine Druckwelle über uns drüber rauschte.
Meine Verbündeten schienen alle, bis auf Aaron, das gleiche getan zu haben. 
Aaron hingegen, auf die Explosion vorbereitet, hatte sich keinen Millimeter bewegt. Dafür hatte sich ein selbstzufriedenes Lächeln auf sein Gesicht gezaubert.
„Deswegen.“
Ich war nicht die einzige die ihn kurz wütend an funkelte, doch schaute dann aus reiner Neugierde nach, was überhaupt in die Luft geflogen war.
Ein Teil des Hauses, welches als Arena gedient hatte, war nicht mehr da, sondern nur noch herumfliegender Staub und Asche. Überall brannte es, was die Gegend in einen hellen Lichtkelch tauchte.
„Das sollte Aufmerksamkeit erregen.“, meinte Nex, der auf einmal neben mir aufgetaucht war.
„Hoffen wir nur von den Richtigen.“, murmelte ich meine Bedenken.
Kurz schlug er mir aufmunternd, auf die Schulter, als er auch schon wieder verschwand, um uns abzusichern. 


Die Explosion hatte nicht nur uns überrascht. Auch die versteckten Soldaten im Wald, waren darauf nicht vorbereitet gewesen. Durch das Feuer der Dunkelheit als Schutz beraubt, war es ein leichtes für uns, sie nach einander auszuschalten, bis wir eindeutig die Oberhand in den Gebiet hatten. 
Jeder hatte hier und da ein paar Schrammen aber nichts weiter schlimmes. 
Erschöpft ließ ich mich auf den Boden fallen und versuchte Luft in meine Lungen zu pumpen. 
Lange würden wir nicht mehr durch die Gegend laufen können und kämpfen. 
Besonders Cato.
Zwar sagte er kein Wort, kämpfte Seite an Seite mit uns, doch allein wie er jetzt zusammen gesackt mit geschlossenen Augen am Baum lehnte, sagte mir alles.
Seine Hand ruhte an seiner Seite und ich konnte sehen, dass er Schmerzen hatte.
Leise ging ich zu ihm und setzte mich daneben.
Er öffnete nicht einmal die Augen, sondern atmete ruhig weiter ein und aus.
Ich konnte ihn nur anstarren. Sah, wie grau, seine Haut wirkte.
„Hör auf mich anzustarren Primrue.“, murmelte er nach einer Weile, „mir geht es gut.“
„Und wem willst du das weiß machen?“, gab ich leise zurück.
„Mir selber.“
Als ich antworten wollte, riss ein Motorengeräusch die Stille um uns auseinander. 
Die meisten von uns sprangen auf, doch keiner wusste wirklich was da kam. 
Ein Hovercraft. 
Es landete auf der nächsten freien Lichtung. 
Wir hatten perfekten Blick darauf, waren aber selber, durch die Bäume geschützt. 
„Nio“, vermutete Nex neben mir und schaute wütend in die Richtung.
Ich konnte nur hoffen, dass er nicht unüberlegt losstürzte. Andererseits hätte er nicht solange überlebt, wenn er nicht immer nachgedacht hätte. 
Trotzdem konnte es nichts gutes bedeuten, wenn dieser Wahnsinnige selber hier auf tauchen würde.
Doch Nex hatte Recht.
Umringt von Soldaten, trat der ältere Mann, denn ich bis vor kurzen nur unter den Namen Geier gekannt hatte, aus dem Hovercraft.
An seiner Hand zerrte er einen kleinen Jungen mit sich.
Navet.
Bryony war die erste die losstürmen wollte, doch Finn war geistesgegenwärtig genug, sie festzuhalten, auch wenn sein Blick Nio regelrecht durchbohrte. 
Shade war da ein anderes Problem.
Als der Mann sich in Bewegung setzte, konnten Nex und ich ihn gerade so gemeinsam festhalten.
Doch in seinen Augen brodelte der pure Hass. 
„Krieg dich ein. So schadest du den Jungen nur, wenn du ihn nicht sogar umbringst.“, redete Nex auf den Mann aus Distrikt Zwei ein und schien damit auch Erfolg zu haben. 
Es dauerte eine Weile, doch dann beruhigte sich Shade ein wenig und wartete ab. 
„Ich hab hier was, was euch gehört.“, rief Nio laut genug, dass wir ihn hören konnten. 
Shade knurrte nur als Antwort, aber Nex hielt ihn unter Kontrolle. 
„Und was willst du dafür?“, gab Nex wütend zurück. 
„Nicht dich Junge.“, sagte Nio kaltherzig zurück und ich konnte mir nur vorstellen wie die Zurückweisung des eigenen Vaters, auch wenn er so ein Irrer wie Nio war, schmerzte. 
Nex ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern wartete darauf, das sein Vater weiter redete.
„Ich schlage einen Tausch vor. Der Junge, gegen Primrue Mellark.“
Um mich herum keuchten einige auf. Ich konnte sie nicht zu ordnen, da ich nicht wusste, was er meinte. Was wollte er mit mir. 
„Der Präsident würde das niemals zu lassen. Egal was du vorhast.“, rief Nex wieder. 
Nio jedoch lachte nur.
„Fragst du dich nicht, warum bis jetzt noch niemand aufgetaucht ist? Trotz der Explosion? Sie war zu hören im Kapitol. Trius hat sie in seiner Zelle sicher gehört.“ Er machte eine kurze Pause, damit wir seine Worte auch wirklich verstanden. „Das Kapitol gehört mir. Ganz Panem gehört mir. Hier und da wehren sich vielleicht noch einige, doch nicht mehr lang und Panem gehört mir. Und was ich will, bekomme ich auch.“
„Wir können ihn und seine Leute besiegen.“, flüsterte Shade auf einmal.
Nex und ich schauten ihn zu gleich an, als sich Cato einschaltete.
„Er hat Recht. Wir sind genug und sie rechnen nicht mit einen Angriff. Es wird nicht einfach, aber wir schaffen es.“
„Sicher?“, mischte sich Bryony ein und Finn drückte sie an sich.
„Wir holen ihn da raus. Ich versprech es dir.“
Bryony nickte, doch ich achtete eher auf Shade, dessen Gesicht kurz schmerzverzerrt zuckte, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte.
„Dann sollten wir angreifen solange, wir die Zeit haben.“, meinte er.
„Nein.“
Alle schauten mich verwirrt oder erstaunt an, als ich nur dieses eine Wort sagte.
Ich blickte in ihre Gesicht. Einer nach den Anderen, als mein Plan klarer in meinen Kopf wurde.
„Er ist paranoid, dass wissen wir alle. Wir können Navet so raus holen, aber nicht ohne Verluste. Ich will niemanden mehr verlieren. Ich kann niemanden mehr verlieren.“ tief atmete ich ein, „Deswegen werde ich mit ihm gehen, ohne Widerstand, wenn er euch dafür laufen lässt.“
Henna keuchte auf.
Cato, Finn und auch Shade schienen alle wiedersprechen zu wollen. Doch ich konzentrierte mich nur auf Nex.
„Wenn du die Zeit hast, kannst du sie in Sicherheit bringen?“
Nex überlegte kurz, doch dann nickte er. 
Das war mir jedoch nicht genug, wodurch ich ihn von Shade wegzog, um zu ihm zu flüstern.
„Auch Cato?“
Nex sagte nichts.
„Wir wissen beide, dass er nicht mehr lange durchhält, wenn ihn niemand hilft. Kannst du ihn helfen?“
Ich hatte Angst vor seiner Antwort, doch Nex nickte.
„Wenn sie uns nicht folgen, kann ich alle ins Kapitol bringen und sozusagen alle vor Nios Augen verstecken. Er hat mich in dreißig Jahren nicht gefunden, als wird er es auch jetzt nicht. Wir haben Ärzte. Sie können ihn helfen.“
Dieses mal nickte ich.
„Bist du sicher, das du das machen willst Primrue? Wir wissen beide wie krank er sein kann. Ich weiß nicht, was er mit dir anstellt.“
„Ich kann ihn nicht sterben lassen.“ , antwortete ich leise. 
Es war die Wahrheit, auch wenn es mir jetzt erst wirklich bewusst wurde. 
Cato war mein Leben. Ohne ihn wäre ich schon längst Tot und ich würde mit ihm sterben.
Während Nex jedoch zustimmend nickte hörte ich schlürfende Schritte hinter mir.
Nex schaute hinter mich und nickte mir dann zu, ehe er verschwand.
Ich atmete ein letztes mal tief ein, ehe ich mich umdrehte und zu Cato auf sah.
„Das machst du nicht.“, knurrte er.
„Was?“
„Du wirst dich nicht für uns opfern.“
„Er will mich lebend Cato.“, versuchte ich ihn zu beruhigen.
„Noch!“, brachte er vorher. Wenn er die Kraft gehabt hätte, hätte er sicher geschrien, aber nicht einmal dafür hatte er noch Energie. 
„Verdammt Cato. Es ist du oder ich!“, schrie ich nun, an seiner Stelle. 
Ehe ich wusste, was ich tat, zog ich mich an ihm hoch und berührte seine Lippen mit meinen. 
Sofort schlangen sich seine Arme um mich und er erwiderte den Kuss. 
Am liebsten hätte ich nie aufgehört, doch wir hatten keine Zeit.
Leicht löste ich mich von ihm und ich legte meine Stirn an seine. Schaute ihn tief in die Augen, damit er verstand, wie ernst es mir war.
„Ich liebe dich, Cato.“, flüsterte ich leise, „Nur dich. Du bist mein Leben und ich kann dich nicht verlieren.“
„Bitte geh nicht.“, gab er genau so leise zurück und zog mich ein wenig fester an sich, „Ich brauch dich genauso. Ich halte durch.“
Tränen sammelten sich in meinen Augen, als mir klar wurde, wie viel Zeit wir verschwendet hatten. Mit Zweifel und Angst. Ich hatte Dillian geliebt aber Cato war die Liebe meines Lebens. 
„Wir wissen beide, dass das nicht war ist.“, erklärte ich deswegen weinend. 
Dieses mal war er es, der den Kuss begann. Sanft und zärtlich berührten sich nur unsere Lippen, während ich innerlich vor Wut schrie. 
„Ich liebe dich und ich hol dich da raus. Vergiss das nie. Bitte halte durch.“
Endlich hatte ich sein Einverständnis, auch wenn er es mir nur gab, weil er wusste, dass ich gehen würde. 
Zu wissen, dass er für mich das gleiche zu fühlen schien war eine bitter süße Qual. 
Noch wenige Sekunden genoss ich es, in seinen Armen zu liegen, ehe ich mich von ihm trennte.
Ohne noch einmal zurück zu schauen, ging ich das Stück durch den Wald, welches uns von der Lichtung trennte.
Im Schutz der Dunkelheit blieb ich stehen.
Ich wollte nicht, dass Nio sah, wie schwer es mir fiel.
„Du willst mich?“, rief ich mit einer festen Stimme, die mich selber überraschte, „Dann nur unter einer Bedingung.“
„Ist diese nicht der Junge?“, fragte Nio.
„Du kennst deinen Sohn. Du kennst Finn. Du kennst mich!“, Seine Augen verengten sich, „Wir geben nicht kampflos auf und wir gewinnen. Also entweder wird das hier eine blutige Schlacht, in der du eventuell dein Leben verlierst oder ich komme freiwillig mit, während der Junge zu seiner Mutter zurück darf.“
„Und die Bedingung ist?“, ging Nio nun auf meinen Handel ein.
„Du lässt die anderen in Ruhe. Du ziehst deine Männer zurück und sie können gehen, ohne verfolgt zu werden.“, ich gab ihn einige Sekunden, um darüber nachzudenken, „Habe ich dein Wort?“
„Reicht dir mein Wort?“
„Einst dachte ich du wärst ein Ehrenmann, aber wir wissen beide, dass ich Wege kenne, mich selber auch ohne wirkliche Waffe umzubringen.“
Es war riskant. Wenn es ihm egal war, dass ich starb, hatte ich meinen Triumph ausgespielt. Aber irgendetwas sagte mir, dass er mich Lebend wollte.
Für einen kurzen Moment entgleisten seine Gesichtszüge und gaben mir Recht.
Ich lächelte, während mein Herz blutete. 
Gewonnen.
Ich hatte wieder einmal gewonnen und doch alles verloren.
Als er seine Männer zurückzog atmete ich tief ein und aus, um nicht in Panik zu geraten. 
Ich wusste nicht, was mich im Kapitol erwartete, aber es würde nichts gutes sein.
Als er den Jungen mit wütenden Blick losschickte, machte auch ich den ersten Schritt. Ich versuchte alles genau im Blick zu behalten, während Navet erst ängstlich einen Schritt vor den Anderen machte, ehe er loslief.
In der Mitte angekommen warf er sich an mich. Schnell suchte ich ihn mit den Augen nach Verletzungen ab aber er schien keine zu haben. 
„Es ist okay Navet. Lauf einfach weiter. Bryony wartet schon auf dich.“
Er nickte, ließ mich aber nicht los. 
„Navet bitte.“
Endlich löste er sich von mir und lief so schnell er konnte in die Richtung, die ich ihn genannt hatte. 
Braver Junge. 
Selber ging ich weiter. 
Schritt für Schritt, näher auf den Mann zu, der mein Leben bereits zerstört hatte und es gerade wieder tat.
Ich konnte nur beten, dass Nex mich nicht angelogen hatte und Cato wirklich retten konnte.
Das die Anderen überlebten. 
Als ich bei Nio ankam und er mich kaltherzig anlächelte, versuchte ich an Cato zu denken. 
Sein Gesicht, seine Augen, seine Stimme. 
Zwei Soldaten kamen und ergriffen meine Arme, während sie mich in Richtung Hovercraft zogen. 
Ich mochte die Dinger noch nie. 
„Wir werden eine menge Spaß haben, Primrue.“, flüsterte Nio in mein Ohr, doch ich ignorierte ihn. Erinnerte mich an die Worte, die ich zu Cato vorher gesagt hatte und in der Arena. Klammerte mich an sie.
Ich bereue es nicht. Nicht eine Sekunde.



ENDE Teil 2 

Teil 3 : http://www.wattpad.com/myworks/33948189-primrue-mellark-3-ungewolltes-vermächtnis

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