Ich schleiche durch einen dunklen Gang. Ich will nicht, aber ich muss. Ich bin gezwungen weiterzugehen und ich höre wieder den Schlüssel am Schloss klackern. Und ich höre das Peng. Ich sehe ihn fallen. Dann sehe ich mich jemanden von einem Dach schubsen, dann eine Wasserleiche, eine einsame Handgranate, ein verschrottetes Auto. Und dann sehe ich Sams Flügel. Blutverschmiert.
Erneut fahre ich komplett durchgeschwitzt hoch, atme schwer, versuche mich zu beruhigen. Ich kämpfe mich hoch, schalte das Licht ein und knete mir die Schläfen.
Seit ich Sam das letzte Mal gesehen habe sind knapp zwei Wochen vergangen. Von Karli und Consorten war nichts zu hören und auch ansonsten war alles ruhig. Ich habe mich zwei-, dreimal bei Dr. Raynor blicken lassen, aber das hat offensichtlich nichts gebracht. Die Alpträume sind fast schlimmer geworden. Persönlicher. Sam kommt jetzt vor. Deswegen wollte ich es ja vermeiden, jemandem näher zu kommen. Es tut einfach nur mehr weh. Ich hätte damals, als Walker durchgedreht ist, so leicht zu spät kommen können. Wäre ich nur minimal langsamer gewesen... Vielleicht kann ich Walker doch ein wenig verstehen, er wolle auch nur einen Freund retten - und konnte es nicht. Würde ich einen ähnlichen Rachefeldzug begehen, sollte Sam...?
Aber in dieser Gedankenspirale habe ich schon zigmal verloren. Dazu habe ich jetzt keinen Nerv. Denk an etwas anderes!
Einer Eingebung folgend checke ich mein Handy und tatsächlich: ich habe eine Nachricht von Shuri.
Hey Barnes, deine Bestellung ist fertig! Ich lasse sie dir vorbeibringen; Du solltest vorerst immer noch nicht in Wakanda auftauchen...
Das trifft sich perfekt, dann komme ich endlich aus dieser Wohnung. Ich schreibe ihr schnell ein Okay, danke! zurück und schlüpfe unter die Dusche. Kaum dass ich fertig und angezogen bin, klingelt es auch schon und Ayo steht mit einem großen und schweren Koffer vor meiner Tür.
"Hier." sagt sie nur und hält mir den Koffer mit ausgestrecktem Arm entgegen. Ich nehme ihn ihr dankend ab und schon dreht sie sich wieder zum gehen um.
"Ciao!" rufe ich ihr noch hinterher, doch das bleibt unbeantwortet.
Ich schüttle den Kopf über so viel Sturheit während ich den Koffer auf den kleinen Esstisch, der unter dessen Gewicht gefährlich knarzt, stelle. Vorsichtig öffne ich den Deckel um einen Blick hinein zu wagen. Das Ergebnis gefällt mir und ich grinse freudig in mich hinein. Jap, anscheinend würde ich jetzt tatsächlich hier wegkommen.
Ich packe alles notige für einen Wochenendtrip in eine Tragetasche und finde einen passenden Bus.
...
Es ist später Nachmittag, als ich endlich aus dem viel zu warmen und stickigen Bus steige und tief Seeluft einatme. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schoneinmal in Lousiana gewesen bin, und das ist gut so. Denn könnte ich mich erinnern, wäre die Erinnerung bestimmt keine schöne.
Das Problem ist, dass ich nicht genau weiß, wo die Wilson wohnen und arbeiten. Also frage ich mich durch. Die Leute wirken recht nett, obwohl natürlich viele einen oder auch zwei abschätzende Blicke auf meinen linken Arm werfen.
Schließlich habe ich es geschafft. Ich stehe mit meiner Tragetasche und dem Koffer an einem belebten Dock, an dem viele Menschen durcheinander wuseln. Alle sind entweder in angeregten Unterhaltungen vertieft oder über ihre Arbeit gebeugt. Es herrscht eine heitere und geschäftige Atmosphäre.
Und inmitten alldem sehe ich Sam, wie er scheinbar versucht, gleichzeitig die Diskussion gegen eine energisch auf ihn einredende Frau zu gewinnen und einem älteren Mann zu danken, der ihm gerade mit großen Gesten etwas, das auf der Lastfläche seines Pickup-Trucks liegt, versucht zu erklären.
Diese Szene ist irgendwie unwirklich und ich muss schmunzeln. So sieht also Sam Wilsons wohlverdienter Urlaub aus. Ich entschließe mich, ihn retten zu gehen.
Als ich mich nähere, höre ich gerade noch wie Sam in die Runde fragt: "Wie bekommen wir das Ding jetzt vom Truck?"
Kurzentschlossen lege ich mein Gepäck beiseite, trete an den Truck und hebe mit Leichtigkeit den Bootsmotor herunter. Die drei sehen mich entgeistert an, doch Sams Ausdruck wechselt schnell zu echter Freude.
"Buck! Was machst du denn hier?"
"Ach was, das ist dieser Bucky? Ich dachte du machst Witze..."
Verwirrt sehe ich die Frau an, aber Sam unterbricht sie schnell.
"Darf ich vorstellen: Bucky, das ist meine Schwester Sarah, Sarah, das ist... das ist Bucky... aber für dich wahrscheinlich eher Barnes"
"Ich werde dich einfach B nennen." Sarah lächelt mich herzlich an. Ich kann nicht anders als zu nicken.
"Oh wow, krass, das ist der coole Typ mit dem Metallarm!"
Zwei Jungen rennen hinter einigen Kisten hervor, verstecken sich hinter Sarah und sehen mich neugierig an.
Ich hebe grinsend die Hand und winke ihnen zu."Um auf deine Frage zurückzukommen, Sam, der coole Typ mit dem Metallarm ist hier, um dir ein Geschenk zu bringen. Hohoho."
Die beiden Jungen bekommen große Augen, Sarah lächelt leicht.
"Kommt Jungs" sie wendet sich an den älteren Mann"?: "Carlos, hilfst du uns mit dem Anker?"
Sie wirft ihrem Bruder ein Zwinkern zu und zieht dann mit den Aufgefordenten ab. Sam verdrehr die Augen und tritt etwas näher zu mir heran.
"Was hast du mir denn bitte für ein Geschenk gebracht?"
Wortlos stelle ich den Koffer auf die Ladefläche des Trucks. Er sieht mich erst verwirrt an, dann breitet sich Verständnis in seiner Miene aus.
"Sind das etwa... hast du mir Flügel...?"
Ich nicke nur stumm.
"Buck, ich weiß nicht, wie ich dir... was ich sagen..."
"Musst du nicht. Ist nichtmal wirklich mein Geschenk. Shuri hat sie gemacht. Für dich. Ich bin nicht der einzige, der an dich glaubt, Sam."
Eine Weile sieht er mich nur schweigend an und ich kann seinen Blick nicht ganz deuten. Dann nickt er langsam.
"Danke, Bucky. Das bedeutet mir viel."
Ich erkenne da etwas in seinen Augen, so als wollte er noch mehr sagen. Aber ich merke auch, dass er das nicht tun wird. Zumindest jetzt nicht.
"Also Sam, warum ist hier eigentlich so ein riesiger Menschenauflauf?"
Er wirkt erleichtert über den Themenwechsel und steigt nur allzu gerne ein.
"Naja, Sarah und ich reparieren das Boot unserer Eltern, und einige Nachbarn helfen uns dabei."
"Einige Nachbarn? Das ist wohl eine kleine Untertreibung."
"Vielleicht." gibt er schmunzelnd zu. "Aber es gibt nie genug helfende Hände. Und einen coolen Typen mit Metallarm können wir auch gut gebrauchen."
Etwas überrascht hebe ich eine Augenbraue. Sam deutet wortlos auf den Bootsmotor, der jetzt neben uns auf dem Boden steht. Ich lache und antworte:
"Alles klar, Sam, was kann ich tun?"
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Winterfalcon - wie du mir; so ich dir
FanfictionBeginnt mit der Story von TWATWS und bleibt bis kurz vor Ende nah an der Originalgeschichte aus Buckys Sicht, dreht sich aber vor allem um seine wachsenden Gefühle für Sam und seiner persönlichen Traumabewältigung. Warnung: Bucky hat viel mit Alpträ...