7. Kapitel

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Der nächste Morgen war wolkenverhangen. Dicke, schwere Regenwolken bedeckten den Himmel und ließen kaum Licht hindurch. Noch war kein Tropfen gefallen, aber Schmutzjunges fühlte sich trotzdem kalt und unbehaglich als sie allein in ihrem Nest im Heilerbau aufwachte.

Von dem Mohnsamen noch schläfrig richtete sie sich auf, ihr Kopf war schwer und ihre Gedanken vernebelt, aber sie fühlte sich nicht ganz so zerschlagen wie am gestrigen Tag. So wie es aussah, hatte Ottersee ihre wunden Ballen behandelt, während sie geschlafen hatte, denn sie brannten nicht mehr und das Fell an ihren getigerten Pfoten war leicht grünlich verfärbt. Probeweise leckte Schmutzjunges an ihrer Tatze, doch ließ es gleich wieder, als sich ein bitterer Geschmack auf ihrer Zunge ausbreitete.

Ist ja widerlich.

Angeekelt wischte sich die kleine Kätzin am Moos ihres Nestes ab, als ihr Blick auf Pfützenwasser fiel. Ihre Mutter lag genau so da, wie gestern, als Gelbschweif sie behutsam in das Nest gelegt hatte und ihre Wange war immer noch mit grüner Paste und Spinnweben bedeckt, doch beruhigenderweise hoben sich ihre Flanken regelmäßig mit ihren Atemzügen.

Ottersee schien gerade nicht da zu sein, ihr Nest lag verwaist in der hinteren Ecke des Heilerbaus. Schmutzjunges versichterte sich kurz, dass Moosschwinge schlief und schlich dann zu ihrer Mutter hinüber, deren Pfoten und Schnurrhaare im Schlaf zu zucken schienen. Pfützenwasser sah nicht gut aus. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt und sie hatte die Krallen so weit ausgefahren, dass es beinahe schon weh tun musste.

Bestimmt kämpft sie gegen das Gift in ihrem Körper...das ist alles nur meine Schuld. Wieso habe ich mich von Schwanenjunges und Himmelsjunges provozieren lassen?

Mitten in ihren düsteren Gedanken öffnete Pfützenwasser auf einmal die Augen, die Pupillen schmal, der Blick gehetzt, als würde sie gejagt. Eiskalte Angst starrte Schmutzjunges aus den hellen Iriden ihrer Mutter entgegen, das sonst so schöne Gelb ihrer Augen war frostig.

Erschrocken wich das Junge zurück, ihre Mutter blickte sie direkt an, als würde sie durch sie hindurchstarren. Plötzlich hob die weiße Kätzin die Tatzen, als wollte sie Schmutzjunges einen Hieb verpassen, doch stattdessen schlug sie ihre Pfoten über dem Kopf zusammen.

"Nein! Nicht! Bitte nicht!" Pfützenwassers Schrei war schrill, voller Panik. Noch nie hatte Schmutzjunges einen so ängsterfüllten Schrei gehört, ein eisiger Schauer jagte ihren Rücken hinunter.

Die getigerte Kätzin zog vor Schreck den Schweif ein, ihre Nackenfell stand ihr bereits zu Berge. Was war nur mit Pfützenwasser los? Träumte sie? Oder hatte sie Halluzinationen?

Schmutzjunges kam nicht dazu, weiter nachzudenken, denn in diesem Moment kehrte Ottersee zurück, in ihrem Maul trug sie ein Bündel frischer, glitzernder Spinnweben. Die schlammbraune Kätzin schien den Schrei ebenfalls gehört zu haben, sofort eilte sie zu Pfützenwasser und fühlte mit der Nase ihre Stirn.

"Sie hat hohes Fieber", murmelte die Heilerin vor sich hin und wandte sich ihrem Kräutervorrat zu. Erstarrt bebachtete Schmutzjunges Ottersee dabei, wie sie einige Pflanzen zusammenmischte, zu einer Masse kaute und der Königin verabreichte, vermutlich um ihr Fieber zu senken. Sie spürte nun auch selbst die Hitze, die der Körper ihrer Mutter ausstrahlte, wie die Sonne.

Schmutzjunges kam sich so hilflos vor. Sie war daran Schuld, dass Pfützenwasser hier lag und sie konnte nichts tun um ihren Schmerz zu lindern. Sie hatte einen großen Fehler begangen und konnte nichts daran ändern, sie konnte es nicht einmal wieder gut machen. Wenn Pfützenwasser überlebte, würde Schmutzjunges ihr nie wieder in die Augen sehen können.

"Geht es dir besser, Schmutzjunges?", fragte Ottersee in ihren Gedankenstrom hinein und sah sie prüfend an. Schmutzjunges nickte nur stumm. Sie wollte hinaus aus diesem Bau, der Geruch nach Kräutern und Blut drohte sie zu erdrücken, sie hielt es nicht mehr aus.

Ich brauche frische Luft!

Ohne auf Ottersees Antwort zu warten, rannte die kleine Tigerkätzin aus dem Heilerbau, Efeuranken streiften ihren Pelz. Frische, kühle Regenluft füllte ihre Lungen, als sie in den schneidenden Wind trat. Kleine Regentropfen prasselten auf sie herunter, platschten ihr auf die Schnauze oder in die Ohren, bildeten ein Ringmuster in den Pfützen oder überzogen ihren Pelz wie Tau ein Spinnennetz.

Am anderen Ende der Lichtung, vor dem Ältestenbau, sah Schmutzjunges ihre Schwestern mit Fuchsblütes Wurf Moosball spielen. Sie hatten nicht auf sie gewartet. Sie hatten sie einfach vergessen, so wie immer. Es fühlte sich so an, als würde Schmutzjunges nicht hierhergehören.

Hektisch blickte sie sich um, ihr braunes Tigerfell war bereits an einigen Stell durchweicht und klebte in Strähnen zusammen, als sie unter einem jungen Busch Schutz suchte. Die Blätter glänzten vom Regen und ließen Schmutzjunges dicke Tropfen auf den Kopf klatschen.

Vielleicht soll das alles hier nicht sein...meine Familie hasst mich, ich habe keine Freunde...vielleicht ist der SumpfClan einfach nicht mein Platz, dachte Schmutzjunges verzweifelt, ihre Augen begannen wässrig zu werden. Noch nie zuvor hatte sie sich die Hilfe einer SternenClan-Katze so sehr gewünscht wie heute.

Schmutzjunges war kurz davor, den Tränen freien Lauf zu lassen, als sie plötzlich hinter sich eine tiefe Stimme vernahm. Sie drehte sich um, nun bis auf die Haut durchnässt, und erhaschte durch die Zweige des Busches ein paar Büschel orangefarbenes Fell. Durch das Geräusch des Regens, der auf den Boden prallte, fiel es ihr leichter, sich geräuschlos zu bewegen, die Schritte ihrer kleinen Tatzen waren kaum zu vernehmen.

Schließlich öffnete sich vor Schmutzjunges eine kleine Lichtung, umgeben von denselben Büschen, in dem sie sich gerade versteckte. Der Boden war von welkem Gras bedeckt und schien bereits zu einer schlammigen Pfütze zu werden. Ein kleines Rinnsal aus Regenwasser strömte vor ihren Pfoten in einer Rille vorbei und versickerte schlussendlich in einer kleinen Kiesgrube.

Und in dieser Kiesgrube saß Sonnenstrahl, der orangefarbene Krieger, der immer so grimmig guckte. Auch sein Fell war triefnass, doch das schien ihn gar nicht zu stören, er saß einfach da und starrte in die Büsche. Seine Lippen bewegten sich, als würde er mit jemandem reden, aber es war niemand da und durch die fallenden Tropfen konnte Schmutzjunges nicht hören was er sagte.

Nun packte sie doch etwas die Neugier. Was suchte der Kater hier? Und mit wem redete er da? Mit sich selbst vielleicht?

Im Dickicht der Büsche war nichts zu entdecken, auch wenn Schmutzjunges ihre Augen noch so anstrengte. Ihre Fragen trieben sie dazu, sich näher heranzuschleichen, ihre Pfoten versanken bereits im Schlamm, doch nun wollte sie unbedingt wissen, was Sonnenstral hier tat.

Mit schief gelegtem Kopf betrachtete das Junge den orangefarbene Kater, zum ersten Mal hatte sie die Gelegenheit, ihn zu mustern, ihn richtig zu sehen.

Er sieht gar nicht mehr so böse aus, gab Schmutzjunges gedanklich zu. Zum ersten Mal sah sie Sonnenstrahls Gesicht ohne dass er es zu einer grimmigen Miene verzerrt hatte und eigentlich sah er ganz freundlich aus. Seine Augen hatten einen warmen Goldton und sein Fell wäre sicher flauschig, wenn es nicht so tropfnass wäre.

Gerade wollte die kleine Tigerkätzin noch ein Stück näher schleichen, doch ein Knistern ließ sie zurückzucken. Sie war auf einen Zweig getreten. Von ihrem eigenen Schritt erschrocken wich sie  zurück, ihre Hinterpfote rutschte im hellgrauen Kies unter ihr weg und sie landete auf dem Bauch. Sofort fraß sich die eisige Kälte des Wassers in ihr Bauchfell und ließ sie frösteln.

"Du musst verschwinden, schnell!" Sonnenstrahls Stimme. Der Kater hatte den Kopf herumgerissen, seine Ohren ware gespitzt. Im Dickicht hinter ihm blitzten ein paar minzgrüne Augen auf, doch sie waren so schnell verschwunden, dass Schmutzjunges schon dachte, sie hätte sie sich eingebildet. Grüne Augen, so hell und weich, als wäre eine Wolke auf einer Wiese gelandet.

Da war also doch jemand!

Misstrauisch beobachtete das Junge, wie Sonnenstrahl an dem Busch vorbeiging, in dem sie sich versteckte, und die Lichtung verließ, als wäre nichts gewesen. Sein Gesicht war wieder die zornige Grimasse, die sie kannte.

Da ist jemand gewesen und Sonnenstrahl hat sich mit ihr oder ihm unterhalten. Aber er will nicht, dass es jemand weiß. Erkenntnis blitzte in Schmutzjunges blaugrünen Augen auf. Er hat ein Geheimnis. Sonnenstrahl. Sonne. Ein Geheimnis. Sonnenstrahls Geheimnis. Das Geheimnis der Sonne!

WarriorCats-Das Geheimnis der SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt