„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Gregor tot ist." Gaia saß neben ihr auf einem Stuhl und hatte ein Tischtuch in der Hand, welches sie soeben mit einer Blume verzierte. Ihr kurzes dunkelbraunes Haar rammte ihr Kinn ein und betonten ihre hohen Wangenknochen und ihre Augen huschten nervös von der Nadel zu dem Tischtuch. Es waren mehrere Tage vergangen und Shyla hatte in den letzten Tagen sich die Zeit für sich genommen, die sie gebraucht hatte, um sich von ihrem Schrecken zu erholen. „Ich weiß." Murmelte sie ebenso und stach mit der Nadel in ihre Stickereien und vervollständigte somit ihr fünftes Tischtuch in jener Frühschicht. Sie hasste es um vier Uhr in der Früh aufzustehen und bis Mittag in diesem engen Raum mit hundert anderen Mädchen eingesperrt zu sein. Neben ihr kochten die riesigen Waschtöpfe, in welcher mehrere die Kleidung in heißem Wasser mit einem riesigen Stab umrühren mussten. Diese Arbeit war einer der angestrengtesten und meisten an jene verteilt, deren Benehmen in letzter Zeit in den Augen von Ruth unpässlich war. Es war so unerträglich heiß in jenem Raum, vor allem direkt neben der Waschtöpfe, die eisern waren und viel Platz in der Halle einnahmen. Die wenige Fenster oberhalb ihrer Köpfe waren klein und schmutzig und spendeten somit wenig frische Luft. Es war unendlich stickig und Shyla wischte sich mit ihrer Arbeitsuniform den Schweiß von ihrer Stirn. Die Nummer 31 war groß an ihrer Brust bestickt, damit es auch jeder sehen konnte. „Ich würde gerne wieder mal ins Paradies." Shyla nickte zustimmend. Hier in jenem Raum war es viel zu heiß und anstrengend, das Paradies war anders und ... besser. Es war der Raum nebenan, wo die Wäsche aufgehängt und zusammengelegt wurde. Der Duft von frisch gewaschener Wäsche war einer der besten in jener Firma und dementsprechend waren die Plätze heiß begehrt. „Weitermachen!" Shyla und Gaia zuckten zusammen und machten sich wieder daran ein neues Tischtuch zu nehmen und zu besticken. Ruth stand oben an der Reling, welche oberhalb der Waschtöpfe angelegt wurde und mit einem unbarmherzigen Blick hielt sie sich an dem eisernen Geländer fest und beobachtete ihre Arbeiter, die schufteten, bis ihre Finger von der heißen Wäsche wund waren, bis Blut an ihren Finger hinunterrann, wenn sie sich mit den Nadeln stachen.
„Biest." Murmelte Bera neben ihr, Nummer 29. Shyla konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, die Gemeinschaft in der Firma Lux, der Wäscherei und Näherei war dafür umso besser, denn sie alle hielten zusammen. Rund zwanzig waren jedes Mal für die Nähereien zugeteilt, vierzig für das Waschen der Wäsche, das Bedienen der riesigen Waschanlagen und vierzig für das Aufhängen und Verpacken der Wäschen. Mittlerweile ließ ein Haufen der Adeligen, Visaner und angesehen Leute, die es sich leisten konnten ihre Wäsche in jener Firma reinigen, denn diese Anlagen und Maschinen, welchen nach dem Aufschwung von Delroy entwickelt wurden, waren nun mal viel schneller und auch effizienter, als das herkömmliche Waschen mit der Hand. „Es ist noch nicht vorbei." Meinte Bera auf einmal und stach energisch mit der Nadel in ein schönes Kleid, welches wohl eine der Adeligen hierhergebracht hatte. Es war ein rosafarbenes, genau jenes, welches Elsa, die Freundin von Daro und eine Visanerin getragen hatte. Shyla musterte das Kleid und wollte es Bera am liebsten aus der Hand reißen und verbrennen.
„Was meinst du?" meinte Gaia und blickte zu der Nummer 29, die sich näher zu ihnen herabbeugte. „Na die Morde. Es ist noch nicht vorbei, das mit Gregor war ein Beißer, aber der vorherige Mord an eine Arbeiterin in Hylaris war ein Dunkler." Shylas Magen zog sich zusammen. „Du hast Recht." Meinte sie daraufhin. „Ich denke auch nicht, dass dies der letzte Angriff sein wird." Gaias Gesicht wurde kreidebleich und sie ließ beinahe ihr schön besticktes Tischtuch fallen. „Die Lumenis werden ihre Aufgabe schon tun." Meinte Shyla und riss einen Faden ab. „Das glaubst du wohl selbst nicht." Murmelte Gaia mit einer solchen düsteren Stimme, wie sie Shyla nur selten von ihr gehört hatte. Die normalerweise so fröhliche, fast unschuldige Gaia, welche nur selten ein schlechtes Wort über jemanden sprach, prangerte die Lumenis an. „Hoffen wir, dass es anders ist. Ich werde jedenfalls zügig heimgehen und die Nächte meiden. Es ist nicht mehr sicher hier auf den Straßen." Energisch legte Bera ihr Tischtuch zusammen und sprang auf, um es auf den Stapel zu legen. Sie hatte Recht, es war wirklich nicht mehr sicher auf den Straßen. „Die Lumenis werden nicht tatenlos zusehen, sie haben Angst, dass die Daemaki auch die Visaner angreifen könnten." „Aber sie können sich verteidigen! Wir nicht." „Errus ist kein Idiot." Shyla legte ihre Hand auf Gaias Arm. „Wir können auch gerne gemeinsam heimgehen, dann bist du nicht so allein." Diese lächelte zaghaft und nickte ihr dankend zu.
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Praedictio
FantasyCybelus ein Land geschmieden von den sechs Göttern, in welchem eine junge Menschenfrau sich ihrem Schicksal stellen muss. Die Visaner, die Nachfahren der Göttern stellen sich über die Menschen, doch einer scheint es sich angetan zu haben, der jungen...