Der Blick des Mannes wandert über die Landschaft. Das Rauschen des Meeres dringt dumpf an die Ohren des Soldaten, als er die aufspritzenden, weißen Schaumkronen unter sich betrachtet. Das Wasser des Ozeans spritzt auf die Holzplanken unter seinen Füßen und schwappt über die ganze Seebrücke. Mit einem kräftigen Atemzug saugt er die kühle, leicht salzige Luft des Meeres ein und lauscht dem fernen Kreischen der Möwen. Kein, von Menschen erzeugter, Laut. Kein Krieg. Nicht hier!
Langsam läuft er immer weiter über die Brücke und hält seinen Blick auf den Horizont gerichtet, da erblickt er einige Meter von ihm entfernt eine weibliche Gestalt, die er bisher ganz ausgeblendet hatte.
Ihr Haar fällt in eleganten, dunkelbraunen Locken über ihre Schultern und ihre nussbraunen Augen richten sich auf die wilden Wellen unter ihr. Die Arme hat sie auf ein hölzernes Geländer gestützt und wirkt, als hätte sie die Welt um sich herum völlig vergessen.
Bei ihr angekommen stützt er seine Arme ebenfalls auf. Er will etwas sagen, sie aber zugleich auch nicht stören. Also betrachtet er sie einfach nur und genießt den Moment der Stille.
"Sergeant Barnes? Was tun Sie in diesen frühen Morgenstunden hier?", sie durchbricht die Stille ohne Vorwarnung. Er ist total perplex: "Ich...äh...ich konnte nicht mehr schlafen, Agent Carter." "Sie sollten sich hier wirklich nicht rumtreiben", in Peggys Stimme liegt ein Anflug von Empörung: "Wir können es uns nicht leisten Sie zu verlieren." "Dann sollten Sie sich auch nicht alleine hier draußen rumtreiben", merkt er an, obwohl er genau weiß, dass es ihr nicht gefallen wird, wenn er sie auf so etwas hinweist. "Ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen, Barnes", ihr Ton ist spitz, doch das kann er ihr nicht wirklich verübeln. Schließlich hat er die Frau gestört und dazu ist sie noch Ranghöher.
"Das weiß ich", sagt er deshalb schnell: "Ich mache mir nur Sorgen. Schließlich wurde ihre Schusswunde gerade erst genäht worden."
Er sieht genau, wie sie bei seinen Worten schwer schluckt: "E-Es geht meiner Wunde gut. Nichts Dramatisches." Bucky verkneift es sich die Augen zu verdrehen. Das war eine maßlose Untertreibung und sie beide wissen das genau. Dass sich seine dunkle Augenbraue hebt, kann er allerdings nicht verhindern: "Sind sie sicher? Immerhin war ich dabei, als sie angeschossen wurden. Es sah ziemlich übel aus."
"Ich weiß", gibt sie zu. In ihren Blick hat sich etwas Verletzliches geschlichen und sofort verspürt er das Bedürfnis sich, um die junge Frau zu kümmern: "Aber es ist wirklich besser geworden." Sein Blick scheint aber ganz eindeutig zu sagen, dass er ihr nicht ganz glaubt. Zu oft hat sie bereits die Tapfere gespielt, obwohl sie augenscheinlich verletzt ist.
Als sie überraschend nach seiner Hand greift, zuckt er fast zusammen. Eigentlich war er nie schreckhaft gewesen, sondern eher ganz im Gegenteil, doch ihre Ausstrahlung macht ihn schwächer. Manchmal würde er sogar sagen, dass sie ihn besser macht, in dem sie ihn von seinem leichten Egotrip hinunterholt.
Ihre Hand liegt auf seiner und führt diese zu dem Körper der schönen Frau. Mit ihrer freien Hand zieht sie ihre weiße Bluse ein Stück hoch und sorgt so für genug Platz, um Buckys Hand darunter zu schieben. Ihre warme, weiche Haut unter seinen Fingern macht ihn fast verrückt.
Schon seit er sie beim Training zum ersten Mal gesehen hat, war er fasziniert von allem an ihr. Sie zeigte schon an seinem ersten Tag dem Mann, wie gut sie sich gegen die Männer durchsetzen kann. Auch ich blieb vor ihr nicht verschont. Sofort haben wir uns in die Haare gekriegt und miteinander diskutiert. Offenkundig hat sie gewonnen, doch für mich wurde sie dadurch nur interessanter.
Immer weiter führt sie seine Hand, bis sie an der Wunde stehen bleibt und ihn vorsichtig darüber streichen lässt. Als sie selbst bei der sanftesten Berührung zusammen zuckt. Er spürt harte Fäden, mit denen ihre Wunde genäht worden sein muss.
Er stand neben ihr, als einer ihrer Feinde die Waffe gezückt und ihr in den Magen schossen. Immer noch spürt er die Schuldgefühle, die ihn übermannen, wenn er daran denkt, dass er sie nicht beschützt hat. Zwar hätte sie ihn sicher angeschrien, wenn er sich vor sie gestellt hätte, um sie schützen zu können, doch das wäre es ihm wert gewesen.
"Sie sollten es zur Sicherheit noch verbinden", seine Finger verschränkt er in ihren, unsicher, ob das wirklich eine gute Idee ist. Sie hebt den Kopf und schaut ihn zum ersten Mal, seit er sich zu ihr gesellt hat, richtig in die grünen Augen. Während er sie ansieht, versucht er seine Finger wieder unter ihrem Shirt heraus zu ziehen, doch sie hält ihn weiter fest und scheint nicht zu wollen, dass er aufhört sie anzufassen.
Sein Herz beginnt schneller zu schlagen und der Atem des Mannes zittert kaum merklich. Plötzlich fühlen sich seine Lungen viel zu klein an, um die Luft aufzunehmen, die er braucht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wandert ihr Blick von seinen Augen und seinen rosafarbenen Lippen. Peggy betrachtet die Form und wie er Ober- und Unterlippe angespannt aufeinander presst.
Dann ist der Moment zwischen ihnen vorbei und sie scheint einen Punkt irgendwo links von seinem Kopf anzuvisieren, während sie seine Hand loslässt.
Der junge Soldat braucht er einige Sekunden, bis er imstande ist seine Finger von ihrem Bauch zu entfernen.
Sie richtet sofort ihre Bluse und bringt sie in den gewohnten, ordentlichen Zustand zurück und verwischt damit auch ein wenig Bucky Erinnerungen an das Gefühl von ihrer Haut an seiner und ihrem angenehmen Geruch.
Kurz räuspert sie sich und fährt sich mit den Fingern kurz durchs Haar, während sie gleichzeitig nachzudenken scheint. Dann wird es wieder kurz stiller und nur das ferne Kreischen der Möwen ist zu vernehmen, bevor sie ihre Stimme wiederfindet: "Sergeant Barnes?"
Als er antwortet, klingt seine Stimme ein wenig rau: "Ja, Agent Carter?" Für wenige Sekunden wirft sie einen Blick auf das sonnenbeschienenen Zifferblatt ihrer Armbanduhr: "Treffen sich mich bitte heute um dreiundzwanzig Uhr in meinem Zimmer."
Bucky bekommt nicht einmal die Chance mehr als "Okay" zu antworten, denn sobald sie ihren Satz beendet hat, schiebt sie sich an ihn vorbei. Dabei streift ihre Hand kurz seine und lässt sein Gehirn für einen Moment aussetzen.
Diese Berührung ist es, die dafür sorgt, dass er sich schnell um dreht und ihr hinterher sieht, als sie über die lange Seebrücke entlang, aufs Festland zurückläuft. Das war seine Bestätigung, dass der kurze Kontakt zwischen ihnen nicht nur ihn fast um den Verstand gebracht hätte. Schon jetzt, am frühen Morgen, weiß er, was er um dreiundzwanzig Uhr tun wird, ohne groß darüber nachzudenken, denn er liebt sie.