Kapitel 8

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»Alle Aufwachen!« Die schrille Stimme von Melaria riss Marie aus dem Schlaf. Mühsam richtete sie sich auf und blinzelte. Jonas war schon wach, doch am Stöhnen der anderen erkannte sie, dass sie ebenfalls auf dem Schlaf gerissen worden waren.

»Och nö«, jammerte Nils.

Ein wenig später kam Melaria mit dem Frühstück herein. Es gab Toastbrot und Tee. Kaum hatten sie fertig gegessen, klopfte es grob an der Tür und Oblivian trat ein. Marie wartete bis alle verschwunden waren, bevor Oblivian sie als die letzte zu Findelus begleite. Sie liefen wieder an dem königlichen Palastgarten vorbei. Marie hörte das Sprudeln des kleinen Springbrunnens und atmete die frische Luft ein. Zügig passierten sie das Tor und gingen auf Findelus zu.

Maries Meister empfing sie, wie immer mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht.

»Na Hallo, Marie«, sprudelte er ihr munter entgegen. »Heute werden wir das Land Venéfaré kennenlernen.«

Hinter Findelus stand die Tafel, auf der heute eine Art schwarz-weiß-Plan zu sehen war. Dieser war in der Mitte mit einem breiten, tiefschwarzen Strich durchzogen. Der Zwerg stellte sich neben die Tafel und präsentierte sein offensichtlich selbst entworfenes Kunstwerk.

»Dreimal darfst du raten, der Streifen ist die breite Schlucht. Auf der einen Seite ist Platarias Reich, auf der anderen Salzaros«, sprudelte er. Marie nickte.

»Und was sind die weißen und die grauen Streifen um die Schlucht?«

»Jaja, nicht so eilig. Dazu komme ich dann noch«, rief ihr Meister. »Erst einmal das wichtigste zur Schlucht. Diese Schlucht hat eine sehr große Anziehungskraft. Jeder, der auch nur in die Nähe dieser Schlucht kommt wird von ihr verschluckt. Also halte dich fern von ihr. Ja?«

»Mhm«, sagte Marie und nickte erneut. So etwas ähliches hatte sie auch schon einmal in Büchern gelesen.

»Das heißt eigentlich kann man nicht über die Schlucht kommen. Doch es gibt ein Tier, was über die Schlucht kommen kann. Es ist der Legus. Hier schau.« Findelus klappte ein Blatt der Tafel um und ein Bild kam zum Vorschein. Es war von Hand gemalt und sehr Farbenfroh. Marie kniff die Augen zusammen. Es sah aus wie ein großer Leopard mit riesige vogelähnlichen Flügeln, die aus vielen weißen Federn mit ein paar rosanen, glitzernden Punkten bestanden. Der Bauch des Tieres war mit grauen Schuppen bedeckt. Im Hintergrund sah man den blauen Himmel mit vereinzelten lila Wolken.

»Wahnsinn, wie groß ist der?«, fragte Marie. Sie war sichtlich erstaunt über den Anblick des Tieres.

»So im etwa, wie ein Elefant in euer Welt, also ganz groß nun auch nicht«, entgegnete Findelus. »Der Legus ist das einzige Tier, das über die Schlucht kommt. Und weißt du warum?« Marie zuckte mit den Schultern.

»Tja, vielleicht, weil er so groß ist!?«

»Ach papperlapapp! Es gibt auch noch ein größeres Tier. Der Luftdrachen. Zu dem kommen wir an anderer Stelle. Aber es ist nicht die Größe. Nächste Chance!«

»Gewicht?«, fragte Marie.

»Nee«, Findelus winkte ab. »Auch das ist es nicht. Du hast noch eine Chance.» Marie seufzte.

»Weil er fliegen kann? Ich weiß es nicht.«

»Wieder falsch! Ich verrate es dir«, rief Findelus. »Er kommt als einziges Tier in Venéfaré über die Schlucht, weil er einen gepanzerten Bauch hat. Diese gepanzerte Fläche wirkt sozusagen wie ein Schild gegen die Anziehungskraft. Und ja, es ist vielleicht auch etwas praktisch, dass der Legus so hoch fliegen kann.« Dann klappte Findelus die Tafel wieder um, sodass die Karte wieder zu sehen war.

Venéfaré - Ein FantasyromanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt