(20) Zusammenbruch

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Moira

„Diese Prophezeiung..."
Schmerzlich kraftlos zogen sich Hicks' Worte aus den Fesseln der Stille.
„Würdest du sie uns trotzdem zeigen?"

Ich nickte schwach. Meine Beine fühlten sich an wie mit Wolle gefüllt, taub und weich. Irgendwie schaffte ich es dennoch zur Satteltasche. Hier bildete die Luft eine Tanzfläche für Hitze und Kälte. Feurig wirbelnde Hauche sausten vom Lichtschein aus den halb geöffneten Drachenmäulern, drehten sich um klirrende Gewitterluft. Im Gegensatz zu dem wilden Treiben war das Leder hart und steif, die Schnallen wehrten sich verbissen gegen meine seltsam fremdartigen Finger. Unerwarteter Weise bekam ich sie doch auf- es folgte der utopische Versuch, mit Armen aus gekochtem Kohl den Deckel zurückzuschlagen. Dreimal rutschte mir die Lederschlappe aus den Händen.

<Moira?>
<Ich...>
Verzweifelnd presste ich meine Zähne aufeinander.
<Ich bekomme das schon hin.>
Selbst meine Wangen waren zu gelähmt, um die Kiefer länger zubeißen zu lassen.
Verflucht, die Angst sollte ihre Anwesenheit gefälligst ein paar Tage hinauszögern! Fürchten konnte ich mich nach meinem Tod, davor brachte es mir auch nichts! Bisher hatte ich sie doch immer verdrängen können, diese scheußliche Schattenbestie und ihre allumfassende Macht. Dass ich die Tatsachen ausgesprochen hatte, änderte an der ganzen Sache nichts.

Etwas zu schwungvoll klappte die Tasche auf. Ich griff reflexartig nach vorn, aber das Objekt kippte bereits. Kippte und schlug dumpf pochend auf.
Fläschchen, Dosen, Kohle, Papier, alles trudelte über den Boden.

Ach, wen kümmerte es? Da gab es eh nichts mehr zu verlieren.

Oder eben doch.

Ein ausladender Windrock erfasste die Prophezeiung, zog sie mit in den Tanz, trieb sie Richtung Höhlenausgang, direkt in die tropfenden Unwetterfänge. Die Wolle in meinen Muskeln füllte sich mit Teer, jeder Schritt war unendlich langsam und schwer. Mit den Fingerkuppen striff ich das Pergament, doch sie wollten einfach nicht zufassen. Eine weitere Wendung, die nächsten Schritte, und springend flatterte es hinaus.
Meine Beine hielten mein Gewicht und den Schwung, mit dem ich mich vornübergebeugt hatte, nicht mehr aus. Plump sackten sie nieder. Ich landete auf dem Boden, zwischen wirren Haarsträhnen sah ich das angelaufene Schriftstück an Fahrt aufnehmen. Nie und nimmer kam ich da noch hinterher.
Jetzt war wirklich alles egal.

Gerade rechtzeitig sprang Ohnezahn vor und schnappte sich die fliegende Rolle, kurz bevor sie vom Strom rasender Blätter aufgenommen werden konnte. Er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Wie gern ich das von mir behaupten können würde.
Himmelstränen fraßen sich dunkel in die vergilbte Oberfläche, die Böen pfiffen habgierig auf, sie wollten ihren Sieg nicht so leicht aufgeben. Blattgeschosse fegten über den Fels, schrammten scharfkantig meine Wangen.
Der Nachtschatten trotte zurück in den Schutz der Höhle, schüttelte sich grummelnd das Wasser vom Kopf und blinzelte mich treuherzig an, ehe er das Stück behutsam in meine definitiv nicht vertrauenswürdigen Hände legte.

„Chrm. Danke."

Wie gut, dass Ohnezahn ein feines Gehört besaß. Ich selbst vernahm meine Worte kaum.
Nochmal räuspern, aufrappeln, mit klammen Fingern das Pergament entrollen und ja gut festhalten. Hoffentlich versagte meine Stimme jetzt nicht wieder.

„Es wird eine Zeit kommen, in der das Schicksal eine Wende einlegt. Die Sterne werden fallen, das Meer bluten und das Ewige vergehen. Nur der nachtblütige Blitz und sein heiliger Fluch können das Verlöschende neu erhalten und die Bestimmung erfüllen, sonst siegt der Untergang mit einer endgültigen Macht, die alles für immer verschlingt."

Sternenfluch - Segen der FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt