15. Ist doch nur Geld

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°○ Maria ○°

Ich hasste Silvester, fast genauso sehr wie meinen Geburtstag.
Keine Ahnung, warum das so war. Vielleicht lag es daran, dass mich diese Tage schon immer eher traurig gemacht haben, während sie andere in Partystimmung versetzten.
Die anderen normalen Menschen.
Die nutzten jeden Anlass zum Feiern.
Da standen die erst mal ewiglang vorm Spiegel, um sich dort schichtweise Farbe ins Gesicht und irgendwelche klebrigen Pasten in die Haare zu kleistern. Und wenn sie damit fertig waren, investierten sie noch mal mindestens genauso viel Zeit darin, ihren Kleiderschrank zu durchwühlen auf der Suche nach dem perfekten Outfit, mit dem Sie später auf der Party dann alle Blicke auf sich ziehen konnten. Mit dem sie vorgeben konnten, jemand zu sein, der sie nicht waren. Und mit dem sie die Erwartungen der anderen erfüllen konnten, die sich sowieso für nichts anderes interessierten, als dafür, möglichst viel Alkohol in sich hineinzukippen, ohne es direkt wieder auszukotzen.
Leon war gestern noch mit mir im BEZ gewesen, hatte mich diesmal nicht nur durchs Wendy's gescheucht, sondern auch noch durch so ziemlich alle Abteilungen von Bel Endroit.
Das Ergebnis unserer Shoppingtour war beachtlich. Zum einen hatte er mir drei neue Jeans gekauft, eine davon grau und weit hochgeschnitten, die anderen blau und eher schlicht, jedoch alle so eng, dass ich dafür schon gar keinen Gürtel mehr gebraucht hätte, wobei Leon mir aber trotzdem gleich zwei ausgesucht hatte - einen in dunklem Grau, der andere in Schwarz.
Oberteile hatte ich noch mehr bekommen. Sechs Stück, um genau zu sein - davon drei Tshirts in dunkelblau, schwarz und rot sowie Pullover, zwei davon eng tailliert in blau und orange, der dritte grau und etwas weiter geschnitten, auch oben rum, so dass er die Schultern freiließ.
Auch einen Minirock hatte ich bekommen, schwarz und hauteng, dazu farblich passende Highheels und einen neuen Wintermantel, ähnlich dem dunkelblauen, welchen Leon mir letztens erst geschenkt hatte, nur deutlich auffälliger in einem knalligen Rot.
In dem Teil hatte ich noch am ehsten das Gefühl, verkleidet zu sein. Aber Leon war begeistert gewesen, als er mich darin gesehen hatte, was hatte ich da also sagen sollen?
Es klingelte.
Wie spät war es denn schon, überlegte ich, während ich den nun schon dritten Versuch unternahm, mir einen geraden Lidstrich über den Wimpernkranz zu setzen.
Ich konnte doch unmöglich schon seit über einer Stunde hier im Bad zugebracht haben?
"Maria!", schallte Leas Stimme durchs Haus. "Dein Freund ist da!"
Ich reagierte nicht, musterte stattdessen eingehend meine Augen im Spiegel und nickte dann zufrieden. Jetzt passte alles.
Die schwarz umrandeten Augen, deren Lider ich in einem hellen Sandton grundiert und in deren Falten noch etwas dunkelbraune Farbe drüber gemalt hatte.
Dazu himbeerrot angemalte Lippen, wobei ich mir mit dem Lippenstift auch ein wenig Farbe auf die Wangen getupft und dort verrieben hatte.
Ja, da hätte Leon jetzt wohl mal nichts zu meckern; immerhin hatte ich jetzt das gesamte Sortiment an Kriegsbemalung, mit dem er mein Fach im Badezimmer bestückt hatte, sowohl im Gesicht, als auch in den Haaren sitzen.
"Maria?" Ein Klopfen an der Tür. "Bist du immer noch im Bad?"
"Ja, ich komm gleich!", sagte ich, zog mir das Haarband vom Kopf, machte mir einen Zopf, drehte ihn ein und steckte ihn mir dann als einfachen Dutt mit einer silbernen Krallenspange am Kopf fest.
Noch ein letzter Blick in den Spiegel.
Ja, schön war immer noch was anderes. Aber hatte ja auch keiner behauptet, dass Schminke Wunder bewirken konnte. Zumindest nicht so große, wie es bei jemandem wie mir nötig gewesen wäre, dachte ich, streckte meinem Spiegelbild die Zunge entgegen und wandte mich dann davon ab.
Für mich selber machte ich diesen ganzen Karneval ja sowieso nicht mit. Nein, das tat ich nur für die anderen. Wer weiß, überlegte ich, als ich gerade die Tür öffnen wollte, dann innehielt und noch einmal zum Spiegel zurückkehrte, vielleicht hatte Leon ja recht.
Vielleicht müsste ich mich ja wirklich immer nur gut genug aufdonnern und dann würde niemand mehr Vogelscheuche zu mir sagen.
Ja, so einfach stellte Leon sich das vor, dachte ich und stieß ein bitteres Lachen aus, während ich mir noch an beiden Seiten meines Gesichts ein paar dünne Strähnen ins Gesicht zupfte. Der hatte doch keine Ahnung!
"Leon wartet in deinem Zimmer auf dich.", meinte Eileen, als ich dann einige Zeit später aus dem Badezimmer kam.
Ich hatte mir absichtlich Zeit gelassen, noch mal meinen Dutt gelöst und neu eingedreht, etwas mehr dunkelbraunen Lidschatten aufgetragen, den Kajalstrich deutlicher nachgezogen und an den Rädern verwischt, um meinem Aussehen eine noch finsterere Wirkung zu verleihen.
Sollte Leon sich mal bloß nicht beschweren, dass ich hier so lange brauchte! War jetzt ja nicht so, als ob mir das hier Spaß machen würde. Das tat ich alles nur für ihn! Da konnte er also ruhig noch etwas warten, bis ich soweit war.
Mal gucken, vielleicht gefiel mir ja auch gleich etwas an meinem Outfit nicht und ich müsste noch einmal den gesamten Kleiderschrank durchprobieren, bis ich die passenden Teile gefunden hätte, überlegte ich und durchquerte den Flur in Richtung meines Zimmers gefolgt von Eileens Blick, welcher sich mir wie Eiszapfen in den Rücken bohrte.
"Wow!", entfuhr es Leon, sobald er von seinem Handy zu mir aufblickte, nachdem ich mein Zimmer betreten und die Tür entgegen meiner sonstigen Angewohnheit, jene mit Hilfe der Klinke sanft zu schließen, stattdessen mit einem lauten Klicken hinter mir ins Schloss fallen gelassen hatte.
"Hi", sagte ich nur, ging an meinen Rucksack neben dem Schreibtisch und verstaute darin neben meiner Zahnbürste erst mal alles von dem, was ich mir heute sowohl ins Gesicht als auch in die Haare geklatscht hatte, nur für den Fall, dass ich da noch mal etwas nacharbeiten müsste.
"Du siehst ja hammermäßig aus!" Leon saß auf meinem Bett, die Füße weit von sich gestreckt und an den Knöcheln überkreuzt. "Dann hat sich das Warten ja gelohnt", fügte er noch hinzu und ich musste mich gar nicht erst zu ihm umdrehen, um dieses schelmische Grinsen vor mir zu sehen, welches Leon immer dann zur Schau trug, wenn er gerade ganz besonders zufrieden mit sich war.
"Ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen", meinte ich, noch eher, um das Thema zu wechseln, als mich für das Chaos bestehend aus drei sperrigen mit Klamotten und sonstigen Dingen aus meinem alten Zimmer gefüllten Kartons zu entschuldigen, die Alex mir erst heute hierher gebracht hatte.
"Wenn du willst, helf ich dir dabei. Sowas ist ja schnell gemacht." Leons Stimme dicht neben mir. Er fasste mich an den Armen, zog mich zu sich hoch und in seine Arme, bevor er mir dann einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte.
"Ich mach das schon", sagte ich und drehte den Kopf zur Seite, bevor Leon mich ein zweites Mal küssen konnte. "Das eilt ja nicht."
"Ja... wie gesagt. Wir können das auch gerne zusammen machen", meinte Leon, fasste mir mit der Hand an mein Kinn, drehte meinen Kopf wieder in seine Richtung und musterte mich noch einmal eingehend.
"Hat Eileen dir das gemacht? Oder diese andere... Laura?"
"Nein", antwortete ich. "Das war ich selber."
"Echt?" Leon lächelte. "Das sieht richtig gut aus." Er küsste mich erneut und blickte dann zu meinem Rucksack. "Hast du denn soweit alles?"
Ich nickte.
"Gut." Ein weiterer Kuss. "Dann können wir los, oder?"
"Ich muss mich vorher noch abmelden."

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt